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Pressemitteilungen » Pressemitteilungen aus dem Jahr 2010 » Pressemitteilung Nr. 247/10 vom 23.12.2010

Siehe auch:  Beschluss des II. Zivilsenats vom 23.4.2013 - II ZB 7/09 -, Beschluss des II. Zivilsenats vom 22.10.2013 - II ZB 7/09 -, Beschluss des II. Zivilsenats vom 22.11.2010 - II ZB 7/09 -

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Bundesgerichtshof

Mitteilung der Pressestelle


Nr. 247/2010

Vorlage des Bundesgerichtshofs an den Gerichtshof der Europäischen

Union im Verfahren gegen Daimler AG wegen verspäteter

Veröffentlichung von Insiderinformation

Der u. a. für Gesellschaftsrecht zuständige II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in einem Kapitalanleger-Musterverfahren**** gegen die Daimler AG wegen angeblich verspäteter Ad-hoc-Mitteilung über das vorzeitige Ausscheiden ihres damaligen Vorstandsvorsitzenden Prof. Schrempp dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zur Auslegung der Richtlinie 2003/6/EG vom 28. Januar 2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauchs-Richtlinie)* und der zu deren Durchführung erlassenen Richtlinie 2003/124/EG vom 22. Dezember 2003 (Durchführungs-Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Am 17. Mai 2005 erörterte der damalige Vorstandsvorsitzende der Daimler AG Prof. Schrempp mit dem damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden Kopper seine Absicht, zum Ende des Jahres 2005 von seinem Amt zurückzutreten. Im Juni/Juli 2005 wurden zwei Aufsichtsratsmitglieder und das Vorstandsmitglied Dr. Zetsche, der Nachfolger Schrempps als Vorstandsvorsitzender werden sollte, sowie weitere Mitarbeiter über die Pläne informiert. Am 18. Juli 2005 verständigten sich Schrempp und Kopper darauf, in der Aufsichtsratssitzung vom 28. Juli 2005 das vorzeitige Ausscheiden Schrempps zum Ende des Jahres vorzuschlagen. Am 25. Juli 2005 erörterte Schrempp mit dem Vorsitzenden des Konzern- und Gesamtbetriebsrats den Wechsel.

Am 27. Juli 2005 beschloss der Präsidialausschuss von Daimler nach 17.00 Uhr, dem Aufsichtsrat am Folgetag vorzuschlagen, dem vorzeitigen Ausscheiden Schrempps zum Jahresende zuzustimmen. Der Aufsichtsrat fasste am 28. Juli 2005 gegen 9.50 Uhr einen entsprechenden Beschluss. Hiervon informierte die Daimler AG die Geschäftsführungen der Börsen und der Bundesanstalt für Finanzdienst-leistungsaufsicht (BaFin). Um 10.32 Uhr wurde die Ad-hoc-Mitteilung in der Meldungsdatenbank der Deutschen Gesellschaft für Ad-hoc-Publizität (DGAP) veröffentlicht.

In dem Musterverfahren, dem eine Vielzahl von Klagen von Aktionären zugrunde liegt, werden Schadensersatzansprüche nach § 37b Abs. 1 WpHG** geltend gemacht. Der Musterkläger ist der Ansicht, eine veröffentlichungspflichtige Insiderinformation über das Ausscheiden von Schrempp habe spätestens im Mai 2005 seit dem Gespräch mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden Kopper vorgelegen. Nach dem 17. Mai 2005, aber vor der Ad-hoc-Mitteilung über das Ausscheiden am 28. Juli 2005, seien Aktien der Musterbeklagten zu einem Kurs von 31,85 € bzw. 36,50 € verkauft worden. Da der Kurs der Daimler-Aktien nach der Ad-hoc-Mitteilung noch am selben Tag auf 40,40 € und in der Folgezeit auf 42,95 € angestiegen sei, habe das Unterlassen der rechtzeitigen Veröffentlichung der Ad-hoc-Mitteilung zu einem entsprechenden Veräußerungsschaden geführt, den die Musterbeklagte zu ersetzen habe.

Das Oberlandesgericht hatte in einem ersten Musterentscheid festgestellt, dass durch die Vorgänge im Zusammenhang mit dem vorzeitigen Ausscheiden Schrempps eine Insiderinformation im Sinne des § 37 b Abs. 1 WpHG erst aufgrund der Entscheidung des Aufsichtsrats am 28. Juli 2005 um ca. 9.50 Uhr entstanden sei und die Musterbeklagte diese unverzüglich veröffentlicht habe. In einem ersten Rechtsbeschwerdeverfahren hatte der Bundesgerichtshof im Februar 2008 diesen Musterentscheid aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen (Beschl. v. 25.2.2008 – II ZB 9/07, ZIP 2008, 639; vgl. Pressemitteilung Nr. 53/2008).

Das Oberlandesgericht hat nunmehr festgestellt, dass frühestens am 27. Juli 2005 mit der Beschlussfassung des Präsidialausschusses des Aufsichtsrats der Musterbeklagten nach 17.00 Uhr eine veröffentlichungspflichtige Insiderinformation über die Zustimmung des Aufsichtsrats zum einvernehmlichen Rücktritt zum Jahresende entstanden sei. Auch bei gestreckten Vorgängen komme es nicht darauf an, ob bereits Zwischenschritte - wie hier etwa die Unterrichtung des Aufsichtsratsvorsitzenden Kopper im Mai 2005 oder des Nachfolgers Dr. Zetsche im Juni 2005 über die Rücktrittsabsichten Schrempps - den Kurs der Aktie beeinflussen könnten; maßgeblich sei vielmehr, ob das künftige Ereignis, das das Oberlandesgericht hier im Beschluss des Aufsichtsrats vom 28. Juli 2005 gesehen hat, hinreichend wahrscheinlich sei.

Die Entscheidung über die Musterrechtsbeschwerde hängt davon ab, ob bei einem zeitlich gestreckten Vorgang Zwischenschritte selbständig von Bedeutung und damit veröffentlichungspflichtig sein können oder nur dann, wenn der Eintritt des angestrebten künftigen Ereignisses mit ihrer Verwirklichung hinreichend wahrscheinlich wird und ob die hinreichende Wahrscheinlichkeit des Eintritts des künftigen Ereignisses eine Beurteilung mit überwiegender oder sogar hoher Wahrscheinlichkeit verlangt. Dies lässt sich nach Auffassung des Bundesgerichtshofs durch Auslegung von Art. 1 Abs. 1 der Marktmissbrauchs- und Art. 1 Abs. 1 und 2 der Durchführungs-Richtlinie***, auf deren Umsetzung die deutschen Vorschriften über Insiderinformationen beruhen, nicht zweifelsfrei beantworten. Der Bundesgerichtshof hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union diese Fragen nach Art. 267 AEUV zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Beschluss vom 22. November 2010 – II ZB 7/09

OLG Stuttgart - Beschluss vom 22. April 2009 – 20 Kap 1/08

LG Stuttgart - Beschluss vom 3. März 2006 - 21 O 408/05

Karlsruhe, den 23. Dezember 2010

*Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/6/EG (Marktmissbrauchs-Richtlinie)

Für die Zwecke dieser Richtlinie gelten folgende Definitionen:

"Insider-Information" ist eine nicht öffentlich bekannte präzise Information, die direkt oder indirekt einen oder mehrere Emittenten von Finanzinstrumenten oder ein oder mehrere Finanzinstrumente betrifft und die, wenn sie öffentlich bekannt würde, geeignet wäre, den Kurs dieser Finanzinstrumente oder den Kurs sich darauf beziehender derivativer Finanzinstrumente erheblich zu beeinflussen.

….

**§ 37b Abs. 1 des Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG)

Unterlässt es der Emittent von Finanzinstrumenten, die zum Handel an einer inländischen Börse zugelassen sind, unverzüglich eine Insiderinformation zu veröffentlichen, die ihn unmittelbar betrifft, ist er einem Dritten zum Ersatz des durch die Unterlassung entstandenen Schadens verpflichtet, wenn der Dritte

1. die Finanzinstrumente nach der Unterlassung erwirbt und er bei Bekanntwerden der Insiderinformation noch Inhaber der Finanzinstrumente ist oder

2. die Finanzinstrumente vor dem Entstehen der Insiderinformation erwirbt und nach der Unterlassung veräußert.

***Art. 1 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2003/124/EG (Durchführungs-Richtlinie)

Insider-Informationen

(1) Für die Anwendung von Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 2003/6/EG ist eine Information dann als präzise anzusehen, wenn damit eine Reihe von Umständen gemeint ist, die bereits existieren oder bei denen man mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, dass sie in Zukunft existieren werden, oder ein Ereignis, das bereits eingetreten ist oder mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in Zukunft eintreten wird, und diese Information darüber hinaus spezifisch genug ist, dass sie einen Schluss auf die mögliche Auswirkung dieser Reihe von Umständen oder dieses Ereignisses auf die Kurse von Finanzinstrumenten oder damit verbundenen derivativen Finanzinstrumenten zulässt.

(2) Für die Anwendung von Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 2003/6/EG ist unter einer "Insider-Information, die, wenn sie öffentlich bekannt würde, geeignet wäre, den Kurs dieser Finanzinstrumente oder den Kurs damit verbundener derivativer Finanzinstrumente spürbar zu beeinflussen" eine Information gemeint, die ein verständiger Anleger wahrscheinlich als Teil der Grundlage seiner Anlageentscheidungen nutzen würde.

****Gesetz über Musterverfahren in kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten (Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz – KapMuG)

§ 1 Musterfeststellungsantrag

(1) Durch Musterfeststellungsantrag kann in einem erstinstanzlichen Verfahren, in dem

1. ein Schadensersatzanspruch wegen falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformation

geltend gemacht wird, die Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens anspruchsbegründender oder anspruchsausschließender Voraussetzungen oder die Klärung von Rechtsfragen begehrt werden (Feststellungsziel), wenn die Entscheidung des Rechtsstreits hiervon abhängt.

§ 4 Vorlage an das Oberlandesgericht

(1) Das Prozessgericht führt durch Beschluss eine Entscheidung des im Rechtszug übergeordneten Oberlandesgerichts über das Feststellungsziel gleichgerichteter Musterfeststellungsanträge (Musterentscheid) herbei, wenn

1. in dem Verfahren bei dem Prozessgericht der zeitlich erste Musterfeststellungsantrag gestellt wurde und

innerhalb von vier Monaten nach seiner Bekanntmachung in mindestens neun weiteren Verfahren bei demselben oder anderen Gerichten gleichgerichtete Musterfeststellungsanträge gestellt wurden.

Pressestelle des Bundesgerichtshofs
76125 Karlsruhe
Telefon (0721) 159-5013
Telefax (0721) 159-5501

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