Bundesgerichtshof
Mitteilung der Pressestelle

 

 

 

Nr. 95/1998

 

"Erbunfähigkeit" im Hause Preußen

 

Der Bundesgerichtshof hatte in einem Erscheinsverfahren über die Wirksamkeit der in einem Erbvertrag aus dem Jahre 1938 vorgesehenen Erbfolge im Hause Preußen zu entscheiden. Unter Beteiligung des früheren Kaisers Wilhelm II. hatte damals Wilhelm von Preußen, der ehemalige Kronprinz, seinen zweiten Sohn, Louis Ferdinand Prinz von Preußen, zum Vorerben eingesetzt. Louis Ferdinand ist 1994 gestorben. Nach dessen Tod sollte sein (1938 noch nicht geborener) ältester Sohn Nacherbe werden. Für den Fall, daß dieser den Tod des Louis Ferdinand nicht erleben würde, sollte an die Stelle des ältesten Sohnes dessen ältester männlicher Abkömmling treten; falls der Sohn keine männlichen Abkömmlinge hätte, sollten der nächstjüngere Bruder (beziehungsweise dessen Söhne an seiner Stelle) folgen. Von dieser Regelung der Nacherbfolge machte der Erbvertrag aber eine Ausnahme: Erbunfähig sollte derjenige Sohn oder Enkel des Vorerben sein, der nicht aus einer den Grundsätzen der alten Hausverfassung des Brandenburgisch-Preußischen Hauses entsprechenden Ehe stammte oder in einer nicht hausverfassungsmäßigen Ehe lebte (sogenannte Erbunfähigkeitsklausel).

Die Vorinstanzen (OLG Stuttgart/LG Hechingen) hielten diese Klausel für sittenwidrig oder jedenfalls mit Treu und Glauben nicht vereinbar. Sie beeinträchtige insbesondere die in Art.6 GG geschützte Eheschließungsfreiheit und verstoße gegen das Verbot der Diskriminierung nach Abstammung und Herkunft (Art.3 Abs.3 GG). Da aber das Bayerische Oberste Landesgericht in einem anderen Rechtsstreit eine Klausel für wirksam gehalten hat, nach der von der Erbfolge in einem fürstlichen Haus ausgeschlossen ist, wer eine Ehe ohne die Zustimmung des Fürsten als Hausherrn eingeht, hat das Oberlandesgericht Stuttgart das Verfahren über die im Hause Preußen vorgesehene Erbfolge dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hält die hier zu beurteilende Regelung der Erbfolge für wirksam. Verstöße gegen Grundrechte der Abkömmlinge in einer letztwilligen Verfügung können mit Rücksicht auf die in Art.14 Abs.1 Satz 1 GG geschützte Testierfreiheit des Erblassers nur in Ausnahmefällen dazu führen, daß die letztwillige Verfügung sittenwidrig und daher nichtig ist. Dies kann etwa in Betracht kommen, wenn ein schwerer Eingriff in den grundrechtlich gesicherten Bereich der Abkömmlinge vorliegt und die letztwillige Verfügung darauf abzielt, die Freiheit der Betroffenen in ihren höchstpersönlichen Entscheidungen zu beeinträchtigen oder sie in ihrer Menschenwürde herabzusetzen.

Der Bundesgerichtshof hat nicht feststellen können, daß die umstrittene Erbunfähigkeitsklausel den Zweck hätte, in die Auswahl eines bestimmten Ehepartners einzugreifen oder Kinder aus einer - nach den Anschauungen des Adels - nicht ebenbürtigen Ehe zu diffamieren. Vielmehr sollte für den von der Familientradition geprägten Nachlaß ein geeigneter Nachfolger gefunden werden. Ihn sah der Erblasser in demjenigen ältesten männlichen Abkömmling, der nach seiner Abstammung und - soweit er beim Tod des Vorerben überhaupt schon verheiratet war - durch seine Ehe die auf ihre Herkunft bedachte Familientradition repräsentierte. Ein solches Ziel ist von der Testierfreiheit gedeckt. Demgegenüber fällt die Beeinträchtigung der Grundrechte hier nicht so ins Gewicht, daß die Klausel sittenwidrig und daher nichtig wäre. Die berechtigten Belange der Abkömmlinge werden im Erbrecht schon durch das Pflichtteilsrecht gewahrt, das ihnen grundsätzlich die Hälfte des Nachlasses sichert.

Die Sache ist zur Klärung weiterer Tatsachen, auf die es nach der Erbunfähigkeitsklausel ankommt, an das Landgericht Hechingen zurückverwiesen worden.

 

Beschluß vom 02. Dezember 1998 - IV ZB 19/97

Karlsruhe, den 17. Dezember 1998

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