Bundesgerichtshof
Mitteilung der Pressestelle

 

 

Nr. 92/1998

Bundesgerichtshof hebt Freisprüche im Havemann-Prozeß auf

Der 5. (Leipziger) Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die Revision der Staatsanwaltschaft das Urteil des Landgerichts Frankfurt(Oder) vom 30. September 1997 aufgehoben. Das Landgericht hatte erst- und zweitinstanzliche Richter sowie Staatsanwälte der DDR, die in Gerichtsverfahren gegen den Regimekritiker Robert Havemann mitgewirkt hatten, vom Vorwurf der Rechtsbeugung freigesprochen.

In den Jahren 1976/1977 und 1979 wurden in der DDR zwei Gerichtsverfahren gegen Havemann durchgeführt. Im November 1976 verurteilte das Kreigsgericht Fürstenwalde Havemann in einem Schnellverfahren zu einer Aufenthaltsbeschränkung auf dessen Grundstück in Grünheide; die Berufung Havemanns wurde vom Bezirksgericht Frankfurt (Oder) verworfen. Der Vollzug der Aufenthaltsbeschränkung endete im Mai 1979. Im Mai/Juni 1979 wurde Havemann durch das Kreisgericht Fürstenwalde wegen Devisenvergehen zu einer Geldstrafe verurteilt, und seine Bücher, Schriften und zahlreiche andere Gegenstände wurden sichergestellt; seine Berufung wurde vom Bezirksgericht Frankfurt (Oder) verworfen.

Die Gerichtsverfahren waren nach den Feststellungen des Landgerichts Teil einer Verfolgung Havemanns als politischer Gegner. Die Durchführung beider Gerichtsverfahren basierte auf einer bis ins einzelne schriftlich festgelegten - drehbuchartigen - Abstimmung der obersten Justizorgane (Oberstes Gericht, Generalstaatsanwaltschaft und Justizministerium) einerseits mit dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) andererseits, in die teilweise auch Erich Honecker eingeschaltet war. Die Gerichtsverfahren wurden von den Angeklagten im wesentlichen entsprechend der Abstimmung durchgeführt, wobei auch der Berufungsrichter den erstinstanzlichen Richter detailliert "anleitete". Das Landgericht gelangte hauptsächlich deshalb zum Freispruch, weil es sich nicht vom Rechtsbeugungsvorsatz der Angeklagten überzeugen konnte. Auch wenn zahlreiche Indizien auf die Verfahrenssteuerung durch das MfS hinwiesen, sei ihnen nicht nachzuweisen gewesen, daß sie selbst die Zielsetzung des MfS gekannt und deshalb die dazu erstellten Maßnahmepläne, Konzeptionen und Prozeßvorschläge bewußt und gewollt umgesetzt hätten.

Der Bundesgerichtshof hat entschieden, daß beide Gerichtsverfahren den objektiven Tatbestand der Rechtsbeugung erfüllen. Im Aufenthaltsbeschränkungs-Verfahren wurde die Rechtsgrundlage, auf welche die Zuweisung auf das Grundstück gestützt wurde, über deren Wortlaut hinaus willkürlich überdehnt. Beide Verfahren - das ist der Schwerpunkt der BGH-Entscheidung - dienten zudem überhaupt nicht der Verwirklichung von Gerechtigkeit, sondern der Ausschaltung des politischen Gegners; die Art und Weise der Durchführung der Verfahren war deshalb rechtsbeugerisch. Wegen dieser Fallgruppe von Rechtsbeugung ("Drehbuch-Fälle") war bislang noch keine Verurteilung ergangen; der Bundesgerichtshof hat hierzu nunmehr nähere rechtliche Maßstäbe entwickelt. Daran gemessen hat das Landgericht eine fehlerhafte Beweiswürdigung zum Vorsatz der Angeklagten vorgenommen, so daß das angefochtene Urteil aufzuheben war. Der Bundesgerichtshof hat die Sache an ein anderes Landgericht - das Landgericht Neuruppin - zurückverwiesen.

 

Karlsruhe, den 10. Dezember 1998

Urteil vom 10. Dezember 1998 - 5 StR 322/98

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