Bundesgerichtshof 76125 Karlsruhe, den 28.07.1998

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p e r T e l e f a x

 

 

Betr.: Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen

Bezug: Mein Schreiben vom 06. April 1998 (Nr. 29 a/1998)

 

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

im Anschluß an mein o. g. Schreiben zur Presseberichterstattung über anstehende Verhandlungstermine in Revisionsstrafsachen vor dem Bundesgerichtshof darf ich Ihnen anliegend eine Übersicht über das Verfahren in Revisionsstrafsachen übersenden in der Hoffnung, daß Ihnen dies für Ihre Arbeit nützlich ist.

 

Mit freundlichen Grüßen

Prof. Dr. Wolfgang Krüger

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

I.

Die Anberaumung einer Revisionshauptverhandlung in Strafsachen besagt nichts über die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels. Nach Maßgabe der Vorschriften des § 349 StPO wird über eine Revision entweder - ohne mündliche Verhandlung - durch Beschluß oder - nach mündlicher Verhandlung - durch Urteil entschieden. Von Besonderheiten abgesehen, gilt folgendes:

 

1) Nur unzulässige Revisionen können ohne weiteres durch Beschluß verworfen werden (§ 349 Abs. 1 StPO). Das schließt nicht aus, daß auch erst aufgrund einer Hauptverhandlung die Unzulässigkeit festgestellt und im Urteil ausgesprochen wird. Doch sind solche Fälle infolge verschiedener Vorprüfungen überaus selten.

2) Durch Beschluß (§ 206 a StPO) oder Urteil (§ 260 Abs. 3 StPO) kann ein Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses eingestellt werden, das ohne Rücksicht auf einen diesbezüglichen Antrag eines Verfahrensbeteiligten zu berücksichtigen ist. Steht ein Verfahrenshindernis im Raum, so besagt die Anberaumung eines Verhandlungstermins nichts über das wahrscheinliche Ergebnis der Verhandlung. Denn sie kann der Erörterung von Rechtsfragen dienen oder derjenigen der tatsächlichen Voraussetzungen des Verfahrenshindernisses, die im Freibeweisverfahren festzustellen sind. Eine Verhandlung kann auch insofern zunächst dazu dienen, den Verfahrensbeteiligten dazu Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, also rechtliches Gehör zu gewähren. Das Ergebnis der Verhandlung ist dadurch nicht angedeutet.

3) Die Verwerfung des Rechtsmittels durch Beschluß nach § 349 Abs. 2 StPO setzt voraus, daß

- ein diesbezüglicher Antrag des Generalbundesanwalts vorliegt,

- das Rechtsmittel unbegründet ist und dies offensichtlich ist.

Beantragt der Generalbundesanwalt die Bestimmung eines Verhandlungstermins, so scheidet eine Verwerfung der Revision im Beschlußverfahren ohne Rücksicht auf die Rechtsansicht des Senats aus. Die Sache wird terminiert.

 

 

4) Ohne Rücksicht auf den Antrag des Generalbundesanwalts ist eine Aufhebung des angefochtenen Urteils durch Beschluß des Revisionsgerichts möglich, wenn im Senat Einstimmigkeit über die Begründetheit des Rechtsmittels erzielt wird

(§ 349 Abs. 4 StPO). Besteht diese Einstimmigkeit nicht, weil mindestens ein Senatsmitglied die Aufhebung nicht für geboten erachtet, so muß wiederum verhandelt werden, ohne daß also bereits durch die Anberaumung eines Verhandlungstermins deutlich wäre, wohin die Mehrheit im Senat tendiert.

5) Verhandelt werden kann, auch wenn eine Beschlußentscheidung nach dem Antrag des Generalbundesanwalts und/oder dem Meinungsstand im Senat möglich wäre, auch dann, wenn eine wichtige Rechtsfrage zu erörtern ist, um den Verfahrensbeteiligten die Gelegenheit zur Stellungnahme dazu zu geben. Auch in dieser Konstellation deutet die Terminierung der Sache noch nicht auf ein bestimmtes Ergebnis der Entscheidung hin.

6) Auch dann, wenn über das Rechtsmittel eines Verfahrensbeteiligten verhandelt wird, über das in derselben Sache eingelegte Rechtsmittel eines anderen Verfahrensbeteiligten (zunächst) jedoch nicht, kann daraus nicht abgeleitet werden, daß nur das erstere Erfolgsaussichten hat. Das nicht terminierte Rechtsmittel kann nach § 349 Abs. 2 StPO durch Beschluß verworfen werden oder gemäß § 349 Abs. 4 StPO bei Einstimmigkeit zur Urteilsaufhebung führen oder durch nachträgliche Terminsbestimmung noch zum Gegenstand einer Revisionsverhandlung werden oder vom Rechtsmittelführer nach dem Ausgang der Verhandlung über das Rechtsmittel des anderen Verfahrensbeteiligten zurückgenommen werden. Das Ergebnis ist also wiederum offen.

7) Häufig anzutreffen sind auch Teilentscheidungen in der Weise, daß Revisionen in einzelnen Punkten zur Urteilsaufhebung und Abänderung oder Zurückverweisung der Sache führen, im übrigen aber verworfen werden. Dies erhöht die Variationsbreite der Entscheidungsmöglichkeiten und führt auch dazu, daß der Ausgang des Revisionsverfahrens mit oder ohne Hauptverhandlung vor der Verkündung der Revisionsentscheidung generell offen ist.

 

 

 

 

 

II.

Eine Annahme oder Nichtannahme der Revisionsentscheidung oder sonstige Vorprüfung durch das Revisionsgericht gibt es in Strafsachen nicht. Eine einzige Vorprüfungsstufe besteht bei dem Gericht, dessen Urteil angefochten ist. Es hat ausschließlich die Zulässigkeit des Rechtsmittels zu prüfen und diese auch nur hinsichtlich der Einhaltung der Form und Frist von Revisionseinlegung und Revisionsbegründung (§ 346 Abs. 1 StPO). Ist das Rechtsmittel insofern zulässig, muß die Sache dem Revisionsgericht vorgelegt werden. Ist es unzulässig, kann das Tatgericht selbst die Revision durch Beschluß als unzulässig verwerfen. Verwirft es sie nicht, hat das Revisionsgericht seinerseits erneut die Zulässigkeit auch im Hinblick auf die genannten Punkte zu prüfen.

III.

Verfahrensabschließende Sachentscheidungen durch das Revisionsgericht finden nur statt, wenn und soweit dafür keine Tatsachenfeststellungen (erstmals, erneut oder ergänzend) getroffen werden müssen und keine dem Tatgericht vorbehaltenen Wertungen - wie die Strafzumessung - mehr erforderlich sind. Das Revisionsgericht erhebt zur Sache keine Beweise. Es darf die vom Tatgericht erhobenen Beweise auch nicht selbst würdigen. Rechtlich nicht fehlerhafte Beweiswürdigungserwägungen des Tatgerichts hat es hinzunehmen, mag auch eine andere Entscheidung möglich gewesen sein. Rechtlich fehlerfrei festgesetzte Strafen kann das Revisionsgericht nicht selbst korrigieren, sofern nicht ausschließlich Höchst- oder Mindeststrafen zu verhängen sind und kein Beurteilungsspielraum mehr verbleibt. Wird das Urteil des Tatgerichts aufgehoben und kann das Revisionsgericht nicht - ganz ausnahmsweise - selbst zur Sache entscheiden, so bleibt nur die Zurückverweisung der Sache an das Tatgericht möglich (das kann auch ein anderes erstinstanzliches Gericht als das sein, dessen Urteil aufgehoben wird). Dort wird das Verfahren sodann neu verhandelt (in der Presse häufig als "neu aufgerollt" bezeichnet), und zwar auch nur in dem Umfang, in dem das frühere Urteil aufgehoben wurde.