Bundesgerichtshof
Mitteilung der Pressestelle

 

 

Nr. 76/1998

 

Bundesgerichtshof zum Handelsvertreter im Nebenberuf

Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte über die Frage zu entscheiden, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Handelsvertreter, den der Unternehmer als Handelsvertreter im Nebenberuf mit der Vertretung betraut hatte, die Rechtsstellung eines hauptberuflichen Vertreters erlangen kann. Es ging hierbei um folgenden Sachverhalt:

I. Die Klägerin nahm im Jahre 1981 eine Tätigkeit als nebenberufliche Versicherungsvertreterin für zunächst vier, später sechs Versicherungsunternehmen einer Versicherungsgruppe, die Beklagten, auf. In diversen Schreiben der Beklagten zu 1) aus dem Jahre 1981 wird sie als nebenberuflich tätiger "Vertrauensmann" bezeichnet. Ihr wurde zu Beginn ihrer Tätigkeit mitgeteilt, daß die Versicherungsgruppe aus geschäftspolitischen Gründen nicht mit hauptberuflich tätigen Versicherungsvertretern zusammenarbeite.

Seit 2. November 1982 betrieb die Klägerin mit Billigung der Beklagten ein Kundendienstbüro in Krefeld. Die Beklagte zu 1) sagte ihr hierfür finanzielle Unterstützung für die Anlaufzeit zu. Dabei brachte sie die Erwartung zum Ausdruck, daß das Kundendienstbüro regelmäßig von Montag bis Freitag in der Zeit von 8.00 Uhr bis 11.20 Uhr und - außer mittwochs - von 14.00 Uhr bis 16.00 Uhr für den Kundenverkehr geöffnet sein und daß die Klägerin auch außerhalb der Geschäftszeit den Versicherungsnehmern der Beklagten mit Rat und Tat zur Verfügung stehen werde.

Die Vermittlungstätigkeit der Klägerin entwickelte sich in der Folgezeit positiv. Im August 1986 teilte sie der Beklagten zu 1) mit, daß sie das Kundendienstbüro seit 1. Juli 1985 mit ihrem Ehemann gemeinsam hauptberuflich führe. Mit Schreiben vom 21. Juli 1988 forderte sie den Abschluß eines schriftlichen Vertrages des Inhalts, daß sie seit 1. November 1982 als hauptberufliche Versicherungsvertreterin tätig sei. Nach einem Telefongespräch vom 14. September 1988 erklärte die Klägerin gegenüber der Beklagten zu 1) mit Schreiben vom 15. September 1988, sie ziehe ihr Schreiben vom 21. Juli 1988 zurück und bestätige wunschgemäß, daß sie das Kundendienstbüro "zu den bisherigen Modalitäten" weiterführen werde.

Nach erneuten Auseinandersetzungen erhob die Klägerin im August 1996 Klage auf Feststellung, daß sie hauptberufliche Versicherungsvertreterin der Beklagten sei, und auf Abschluß eines entsprechenden schriftlichen Vertrages. Daraufhin kündigten die Beklagten das Vertragsverhältnis zum 28. Februar 1997.

Die Klage blieb in erster und zweiter Instanz ohne Erfolg. Die Revision der Klägerin führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

II. Ob ein Handelsvertreter haupt- oder nebenberuflicher Vertreter ist, bestimmt sich gemäß § 92 b Abs. 3 HGB nach der Verkehrsauffassung. Auf die für nebenberufliche Handelsvertreter geltenden gesetzlichen Einschränkungen (§ 92 b Abs. 1 HGB) kann der Unternehmer sich allerdings nur dann berufen, wenn - wie im zu entscheidenden Fall geschehen - er den Handelsvertreter ausdrücklich als Handelsvertreter im Nebenberuf mit der Vermittlung oder dem Abschluß von Geschäften betraut hat und der Vertreter nicht in Wahrheit von Anfang an hauptberuflich tätig ist.

Umstritten ist die Rechtslage, wenn ein solcher Vertreter seine Tätigkeit im Laufe der Zeit auf einen Umfang ausweitet, der nach der Verkehrsanschauung als hauptberufliche Tätigkeit einzustufen ist. Während nach einer Auffassung schon die bloße Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse dem Handelsvertreter die Rechtsstellung eines hauptberuflichen Vertreters verschafft, ist nach der Gegenmeinung zu einer solchen Rechtsänderung die ausdrückliche oder stillschweigende Zustimmung des Unternehmers erforderlich.

Der Bundesgerichtshof brauchte diese Streitfrage nicht zu entscheiden, weil die Klägerin nach den in der Revisionsinstanz nicht beanstandeten tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts ab einem allerdings nicht näher konkretisierten Zeitpunkt nach Eröffnung des Kundendienstbüros in einem nach der Verkehrsauffassung hauptberuflichen Umfang für die Beklagten tätig war und diese sich hiermit stillschweigend einverstanden erklärt hatten. Dieses Einverständnis kam jedenfalls darin zum Ausdruck, daß die Beklagten die Vermittlungsdienste der Klägerin weiterhin widerspruchslos entgegennahmen, nachdem diese ihnen im August 1996 mitgeteilt hatte, daß sie das Kundendienstbüro seit Juli 1985 gemeinsam mit ihrem Ehemann hauptberuflich führe. Die Klägerin war daher zumindest seit Herbst 1986 mit Zustimmung der Beklagten als hauptberufliche Versicherungsvertreterin für diese tätig.

Auf die damit eingetretene Rechtsänderung blieben der im Jahre 1988 geführte Schriftwechsel der Parteien und die Erklärung der Klägerin vom 15. September 1988 ohne Einfluß. Das gilt selbst dann, wenn die Parteien sich zu diesem Zeitpunkt darauf geeinigt haben sollten, daß die Klägerin künftig oder weiterhin als Versicherungsvertreterin im Nebenberuf tätig werden sollte. Ob die Klägerin haupt- oder nebenberufliche Versicherungsvertreterin war, beurteilt sich gemäß § 92 b Abs. 3, 4 HGB allein nach der Verkehrsauffassung. Ein Handelsvertreter, der nach der Verkehrsauffassung hauptberuflich tätig ist, kann nach allgemeiner Auffassung nicht allein durch eine Vereinbarung der Vertragsparteien zum nebenberuflichen Vertreter "herabgestuft" werden, solange er nicht auch seine Vertretertätigkeit auf ein Maß reduziert, das nach der Verkehrsanschauung einer nebenberuflichen Tätigkeit entspricht. Letzteres war hier nicht der Fall.

Die Sache wurde daher unter Aufhebung des Berufungsurteils an die Vorinstanz zurückverwiesen, weil unter anderem noch zu klären ist, von welchem Zeitpunkt an die Klägerin hauptberufliche Versicherungsvertreterin der Beklagten war.

 

Urteil vom 4. November 1998 - VIII ZR 248/97 -

Karlsruhe, den 4. November 1998

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