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Pressemitteilungen » Suchergebnis » Pressemitteilung Nr. 87/98 vom 2.12.1998

 

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Bundesgerichtshof
Mitteilung der Pressestelle

 

 

 

Nr. 87/1998

Bundesgerichtshof zur Scheinselbstständigkeit

 

Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hatte in zwei Verfahren über die Zulässigkeit des Rechtsweges zu den ordentlichen Gerichten zu entscheiden. Im Mittelpunkt stand dabei jeweils die Frage, ob ein Fall der sogenannten Scheinselbständigkeit vorlag.

I. Im ersten Verfahren hatte der Beklagte von der Klägerin einen Lastzug nebst Zubehör zu einem Kaufpreis von rund 260.000 DM auf Darlehensbasis erworben, wobei er auf den Kaufpreis eine Anzahlung von 50.000 DM leistete. Der Lastzug sollte im Rahmen eines "Beschäftigungsvertrages" eingesetzt werden, den der Beklagte am gleichen Tag mit der Schwesterfirma der Klägerin, einem Speditionsunternehmen, abgeschlossen hatte. In dem auf die Dauer von fünf Jahren geschlossenen Vertrag verpflichtete sich das Speditionsunternehmen, ein Tank-/Silofahrzeug des Beklagten zu "beschäftigen" und gleichmäßig auszulasten, soweit dies nach Auftragslage und Marktsituation möglich war. Im Gegenzug hatte der Beklagte sein Fahrzeug nebst Fahrer der Regie und dem Einsatz des Speditionsunternehmens zu unterstellen. Nach einem dreiviertel Jahr kam es zur Beendigung des Beschäftigungsvertrages. Auf Wunsch des Beklagten nahm die Klägerin den Lastzug nebst weiteren Zubehörteilen, die der Beklagte zwischenzeitlich erworben hatte, zurück. Nach Verrechnung sämtlicher Forderungen hat sie den Beklagten vor dem Landgericht auf Zahlung einer Restforderung von rund 17.000 DM in Anspruch genommen. Der Beklagte hat widerklagend Rückzahlung der geleisteten Anzahlung verlangt.

Das Landgericht hat im Vorabverfahren die Zulässigkeit des eingeschlagenen Rechtsweges verneint und den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht verwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, daß hier Ansprüche aus einem Arbeitsverhältnis im Streit stünden, für die nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) die Arbeitsgerichte ausschließlich zuständig sind. Der Beklagte sei nach dem Beschäftigungsvertrag nur scheinbar selbständig gewesen; tatsächlich sei er als arbeitnehmerähnliche Person i.S.d. § 5 Abs. 1 ArbGG anzusehen. Die Klägerin müsse sich als Arbeitgeberin des Beklagten behandeln lassen, weil Kaufvertrag und Beschäftigungsvertrag ein einheitliches Rechtsgeschäft im Sinne des § 139 BGB gebildet hätten.

Im Beschwerdeverfahren hat das Oberlandesgericht den erstinstanzlichen Beschluß aufgehoben und den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für zulässig erklärt. Die hiergegen erhobene zugelassene weitere sofortige Beschwerde ist erfolglos geblieben.

Wie schon die Vorinstanz hat auch der Bundesgerichtshof den Beklagten weder als Arbeitnehmer noch als arbeitnehmerähnliche Person und damit nicht als Scheinselbständigen angesehen. Für die Abgrenzung zwischen Selbständigen und Arbeitnehmern i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 1 ArbGG hat der Senat im Anschluß an die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auf den Grad der persönlichen Abhängigkeit bei der Erbringung der Werk- oder Dienstleistung abgestellt. Selbständig ist danach derjenige, der im wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Unselbständig und persönlich abhängig ist dagegen der Mitarbeiter, der einem umfassenden Weisungsrecht unterliegt oder dessen Freiraum für die Erbringung der geschuldeten Leistung durch die rechtliche Vertragsgestaltung oder die tatsächliche Vertragsdurchführung stark eingeschränkt ist. Im Streitfall unterlag der Beklagte zwar in weitgehendem Umfang den Weisungen des Speditionsunternehmens. Von einem Arbeitnehmer unterschied er sich jedoch insofern maßgeblich, als ihm nach dem Vertrag gestattet und nach den tatsächlichen Umständen auch möglich war, den Lastzug durch einen angestellten Fahrer führen zu lassen. Der Beklagte betrieb nämlich – jedenfalls zu Beginn des Vertragsverhältnisses mit dem Speditionsunternehmen – ein Frachtunternehmen mit dem erworbenen Lastzug und einem weiteren Lastkraftfahrzeug, einem Autotransporter, zu dessen Führung er einen Arbeitnehmer beschäftigte. Mit der daher naheliegenden und gut realisierbaren Möglichkeit, die geschuldete Leistung durch Dritte erbringen zu lassen, bestand für den Beklagten ein Gestaltungsspielraum, der mit dem Status eines Arbeitnehmers nicht vereinbar ist und der einer Einordnung des Beschäftigungsvertrages als Arbeitsverhältnis entgegensteht.

Aus den gleichen Erwägungen hat der Bundesgerichtshof auch die Stellung des Beklagten als arbeitnehmerähnliche Person i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG verneint. Hierunter fallen solche Personen, die wegen ihrer fehlenden Eingliederung in eine betriebliche Organisation und im wesentlichen freier Zeitbestimmung nicht im gleichen Maß persönlich abhängig sind wie Arbeitnehmer; an die Stelle der persönlichen Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit tritt das Merkmal der wirtschaftlichen Abhängigkeit. Ferner muß der wirtschaftlich Abhängige seiner gesamten sozialen Stellung nach einem Arbeitnehmer vergleichbar schutzbedürftig sein. Hieran jedenfalls fehlte es im Streitfall, weil der Beklagte durch die Möglichkeit der Leistungserbringung durch Dritte ein Maß unternehmerischer Dispositionsfreiheit besaß, das mit der Typik eines unselbständigen Arbeitnehmers nicht vereinbar ist.

Beschluß vom 21. Oktober 1998 - VIII ZB 54/97

 

II. In einem weiteren Verfahren (mit anderen Parteien) war der Beklagte auf der Grundlage eines "Partnerschaftsvertrages" für die Klägerin als Franchisenehmer tätig gewesen. Nach dem Vertrag war dem Beklagten ein räumlich abgegrenztes Verkaufsgebiet zugewiesen, in dem er mit einem von der Klägerin gemieteten Verkaufsfahrzeug Tiefkühlprodukte vertrieb, die er von der Klägerin bezog.

Nachdem die Parteien den Vertrag einvernehmlich aufgehoben hatten, hat die Klägerin wegen behaupteter Restforderungen gegen den Beklagten Zahlungsklage vor dem Landgericht erhoben. Auf Rechtswegrüge des Beklagten haben die vorinstanzlichen Gerichte im Vorabverfahren den eingeschlagenen Rechtsweg für zulässig befunden (siehe OLG Düsseldorf, NJW 1998, 2981). Auf die zugelassene weitere sofortige Beschwerde des Beklagten hat der Bundesgerichtshof den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das zuständige Arbeitsgericht verwiesen.

Der Senat ist aufgrund der rechtlichen Ausgestaltung des Vertrages und den vorgetragenen wirtschaftlichen Verhältnissen des Beklagten -wie das Bundesarbeitsgericht in dem Fall eines anderen Franchisenehmers der Klägerin- zu dem Ergebnis gelangt, daß der Beklagte sowohl wirtschaftlich von der Klägerin abhängig als auch nach seiner gesamten Stellung, einem Arbeitnehmer vergleichbar, sozial schutzbedürftig war und daher jedenfalls als arbeitnehmerähnliche Person im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG anzusehen ist.

Für die wirtschaftliche Abhängigkeit des Beklagten sprach dabei insbesondere, daß der Beklagte neben dem Verdienst aus der Tätigkeit für die Klägerin über keine anderweitigen Einkünfte verfügte und daß ihm eine weitere Erwerbstätigkeit praktisch nicht möglich war. Die umfassend reglementierte Verkaufstätigkeit des Beklagten war nämlich nach dem Vertrag und nach dessen tatsächlicher Handhabung darauf ausgelegt, seine Arbeitszeit vollständig in Anspruch zu nehmen, zumal die Beschäftigung eigener Arbeitnehmer für den Beklagten zwar rechtlich möglich, praktisch indes ausgeschlossen war.

Der Beklagte war zudem sozial schutzbedürftig, da seine Stellung nach der vertraglichen Gestaltung der eines angestellten Verkaufsfahrers entsprach. Die im einzelnen vorgeschriebene Verkaufstätigkeit mußte der Beklagte letztlich persönlich erbringen; er verfügte über keine eigene betriebliche Organisation mit Ausnahme des Fahrzeugs, das er von der Klägerin mieten mußte. Aufgrund eines vertraglich vorgeschriebenen Abrechnungsverfahrens bezog er praktisch einmal im Monat ein – wenn auch der Höhe nach wechselndes – Gehalt, dessen Höhe zu dem erforderlichen Zeitaufwand und dem gebotenen persönlichen Einsatz des Beklagten in keinem vernünftigen Verhältnis stand. Dem Beklagten, der das volle wirtschaftliche Risiko seiner Tätigkeit tragen mußte, eröffnete die Tätigkeit für die Klägerin damit gerade keine unternehmerischen Erwerbschancen, die ihn von einem Arbeitnehmer hätten unterscheiden können.

Für die mithin im Streit stehenden Ansprüche aus einem Arbeitsverhältnis waren die Arbeitsgerichte gem. § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchstabe a ArbGG ausschließlich zuständig.

Beschluß vom 04. November 1998 - VIII ZB 12/98

Karlsruhe, den 02. Dezember 1998

Pressestelle des Bundesgerichtshofs

76125 Karlsruhe

Telefon (0721) 159-422

Telefax (0721) 159-831

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