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Pressemitteilungen » Pressemitteilungen aus dem Jahr 2023 » Pressemitteilung Nr. 191/23 vom 21.11.2023

Siehe auch:  Urteil des V. Zivilsenats vom 9.2.2024 - V ZR 33/23 -, Urteil des V. Zivilsenats vom 9.2.2024 - V ZR 244/22 -

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Bundesgerichtshof

Mitteilung der Pressestelle


Nr. 191/2023

Verhandlungstermin am 8. Dezember 2023 in Sachen V ZR 244/22 (9.00 Uhr) und V ZR 33/23 (10.00 Uhr) (Zulässigkeit von

baulichen Veränderungen des Gemeinschaftseigentums

zur Barrierereduzierung)

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf der Grundlage des im Jahr 2020 reformierten Wohnungseigentumsrechts in zwei Verfahren über die Voraussetzungen und Grenzen baulicher Veränderungen des Gemeinschaftseigentums zu entscheiden, die von einzelnen Wohnungseigentümern als Maßnahmen zur Barrierereduzierung (Errichtung eines Personenaufzugs bzw. Errichtung einer 65 Zentimeter erhöhten Terrasse nebst Zufahrtsrampe) verlangt werden.

Sachverhalt und bisheriger Prozessverlauf im Verfahren V ZR 244/22

Die Kläger sind Mitglieder der beklagten Gemeinschaft der Wohnungseigentümer. Die Anlage besteht aus zwei zwischen 1911 und 1912 im Jugendstil errichteten Wohnhäusern und steht unter Denkmalschutz. Das Vorderhaus erhielt im Jahr 1983 den Fassadenpreis der Stadt München. Die Wohneinheiten der Kläger befinden sich im dritten und vierten Obergeschoss des Hinterhauses (ehemaliges "Gesindehaus"), bei dem die Fassade und das enge Treppenhaus im Vergleich zum Vorderhaus eher schlicht gehalten sind. Ein Personenaufzug ist nur für das Vorderhaus vorhanden. In der Eigentümerversammlung vom 26. Juli 2021 wurde unter anderem ein Antrag der nicht körperlich behinderten Kläger abgelehnt, ihnen auf eigene Kosten die Errichtung eines Außenaufzugs am Treppenhaus des Hinterhauses als Zugang für Menschen mit Behinderungen zu gestatten. Mit der Beschlussersetzungsklage wollen die Kläger erreichen, dass die Errichtung des Personenaufzugs dem Grunde nach beschlossen ist.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Kläger hat das Landgericht durch Urteil den Beschluss ersetzt, dass am Hinterhaus auf der zum Innenhof gelegenen Seite ein Personenaufzug zu errichten ist. Dagegen wendet sich die Beklagte mit der von dem Landgericht zugelassenen Revision.

Das Landgericht meint, die Voraussetzungen des mit Inkrafttreten des Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetzes im Jahr 2020 neu geschaffenen Anspruchs einzelner Wohnungseigentümer auf Maßnahmen zur Barrierereduzierung lägen vor. Die Kläger könnten die Errichtung eines Personenaufzugs als privilegierte bauliche Veränderung gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 WEG verlangen; ein entsprechender Grundlagenbeschluss sei gerichtlich zu ersetzen. Der verlangte Aufzug diene dem Gebrauch durch Menschen mit Behinderungen und stelle eine angemessene Maßnahme dar. Mit dem Merkmal der Angemessenheit habe der Gesetzgeber bezweckt, im Einzelfall unangemessene Forderungen eines Wohnungseigentümers zurückweisen zu können. Eine privilegierte Maßnahme unter Berufung auf deren Unangemessenheit vollständig zu versagen, komme lediglich in atypischen Ausnahmefällen in Betracht. Ein solcher Ausnahmefall liege hier nicht vor. Soweit sich die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer auf Nutzungseinschränkungen, optische Veränderungen oder baurechtliche Einwände berufe, stehe dies der Errichtung des Aufzuges nicht grundsätzlich entgegen. Wegen der Vielzahl von Gestaltungsvarianten könne man diese Einwände bei der noch zu treffenden Entscheidung über die konkrete Durchführung der baulichen Veränderung (§ 20 Abs. 2 Satz 2 WEG) berücksichtigen.

Die Wohnanlage werde auch nicht grundlegend umgestaltet im Sinne von § 20 Abs. 4 WEG. Dies erfordere im Vergleich zu dem früheren Recht mehr als eine Änderung der Eigenart der Wohnanlage im Sinne von § 22 Abs. 2 Satz 1 WEG aF. Ausgehend von einem objektiven Vorher-Nachher-Vergleich und unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls müsse die bauliche Veränderung der ganzen Anlage ein neues Gepräge geben. Davon könne bei der Errichtung eines Personenaufzugs für das im Gegensatz zum Vorderhaus eher schlicht gehaltene Hinterhaus nicht ausgegangen werden. Schließlich werde kein Wohnungseigentümer im Sinne von § 20 Abs. 4 WEG unbillig benachteiligt.

Sachverhalt und bisheriger Prozessverlauf im Verfahren V ZR 33/23

Die Kläger und die Streithelferin der Beklagten sind Mitglieder der beklagten Gemeinschaft der Wohnungseigentümer. Die Anlage besteht aus drei miteinander verbundenen Häusern mit jeweils zwei Wohnungen im Erdgeschoss und zwei weiteren Wohnungen im ersten Obergeschoss. Im rückwärtigen Teil des Anwesens befindet sich eine Gartenfläche, an der den Erdgeschosswohnungen zugewiesene Sondernutzungsrechte gebildet wurden. Nach der Teilungserklärung dürfen auf den Gartenflächen Terrassen in der Größe von maximal 1/3 der Fläche des jeweiligen Sondernutzungsrechts errichtet werden. Mit Ausnahme der den beiden Eckwohnungen zugewiesenen Gartenflächen wurden jeweils gepflasterte Terrassen errichtet. Auf Antrag der Streithelferin, die Sondereigentümerin einer der Eckwohnungen ist, beschlossen die Wohnungseigentümer in der Eigentümerversammlung vom 14. Oktober 2021, ihr als privilegierte Maßnahme gemäß § 20 Abs. 2 WEG zu gestatten, auf der Rückseite des Gebäudes eine Rampe als barrierefreien Zugang sowie eine etwa 65 Zentimeter aufzuschüttende Terrasse zu errichten und das Doppelfenster im Wohnzimmer durch eine verschließbare Tür zu ersetzen; ggf. soll ein aus Bodenplatten bestehender Zugang vom Hauseingang bis zur Terrasse errichtet werden. Hiergegen richtet sich die von den Klägern erhobene Anfechtungsklage.

Das Amtsgericht hat den Beschluss für ungültig erklärt. Die Berufung der Beklagten war erfolglos. Mit der von dem Landgericht zugelassenen Revision will die Streithelferin die Abweisung der Klage erreichen.

Nach Ansicht des Landgerichts ist die Klage begründet. Der Prüfungsmaßstab richte sich bei der Anfechtung eines Beschlusses, mit dem – wie hier – einem einzelnen Wohnungseigentümer die Vornahme einer baulichen Veränderung gestattet werde, allein nach § 20 Abs. 4 WEG. Ob es sich um eine angemessene bauliche Veränderung im Sinne von § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 WEG handele, sei lediglich mittelbar bei der Frage einer grundlegenden Umgestaltung der Wohnanlage nach § 20 Abs. 4 WEG maßgeblich. Ausgehend von einem objektiven Vorher-Nachher-Vergleich werde vorliegend der Charakter der Anlage erheblich verändert. Eine von der Wohnung der Streithelferin aus begehbare Terrasse gebe der allenfalls mittleren Wohnstandards entsprechenden Anlage insgesamt ein neues, erheblich moderneres und luxuriöses Gepräge. In der Gesamtschau verändere sich nicht nur die Symmetrie des Hauses, sondern der Charakter der Wohnanlage als Ganzes. Eine andere Bewertung ergebe sich nicht aus § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 WEG, weil die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht erfüllt seien. Die gestattete Terrasse sei zur Herstellung eines barrierefreien Zugangs zu der Wohnung weder erforderlich noch angemessen, insbesondere bestünden andere Möglichkeiten eines barrierefreien Zugangs, die mit geringeren Eingriffen in das Gebäude verbunden seien.

Vorinstanzen:

V ZR 244/22

AG München – Urteil vom 10. Februar 2022 – 1294 C 13970/21 WEG

LG München I – Urteil vom 8. Dezember 2022 – 36 S 3944/22 WEG (siehe u.a. NZM 2023, 164)

und

V ZR 33/23

AG Bonn – Urteil vom 15. August 2022 – 211 C 47/21

LG Köln – Urteil vom 26. Januar 2023 – 29 S 136/22 (siehe u.a. ZWE 2023, 176)

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 20 WEG Bauliche Veränderungen

(1) Maßnahmen, die über die ordnungsmäßige Erhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums hinausgehen (bauliche Veränderungen), können beschlossen oder einem Wohnungseigentümer durch Beschluss gestattet werden.

(2) Jeder Wohnungseigentümer kann angemessene bauliche Veränderungen verlangen, die

1. dem Gebrauch durch Menschen mit Behinderungen,

2. - 4. [...]

dienen. Über die Durchführung ist im Rahmen ordnungsmäßiger Verwaltung zu beschließen.

(3) [...]

(4) Bauliche Veränderungen, die die Wohnanlage grundlegend umgestalten oder einen Wohnungseigentümer ohne sein Einverständnis gegenüber anderen unbillig benachteiligen, dürfen nicht beschlossen und gestattet werden; sie können auch nicht verlangt werden.

§ 22 WEG aF Besondere Aufwendungen, Wiederaufbau

(1) [...]

(2) Maßnahmen gemäß Absatz 1 Satz 1, die der Modernisierung entsprechend § 555b Nummer 1 bis 5 des Bürgerlichen Gesetzbuches oder der Anpassung des gemeinschaftlichen Eigentums an den Stand der Technik dienen, die Eigenart der Wohnanlage nicht ändern und keinen Wohnungseigentümer gegenüber anderen unbillig beeinträchtigen, können abweichend von Absatz 1 durch eine Mehrheit von drei Viertel aller stimmberechtigten Wohnungseigentümer im Sinne des § 25 Abs. 2 und mehr als der Hälfte aller Miteigentumsanteile beschlossen werden. Die Befugnis im Sinne des Satzes 1 kann durch Vereinbarung der Wohnungseigentümer nicht eingeschränkt oder ausgeschlossen werden.

(3) [...]

(4) [...]

Karlsruhe, den 21. November 2023

Pressestelle des Bundesgerichtshofs
76125 Karlsruhe
Telefon (0721) 159-5013
Telefax (0721) 159-5501

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