Bundesgerichtshof

Mitteilung der Pressestelle


Nr. 61/2021

Bundesgerichtshof trifft erste Entscheidung zum

Urteil im sog. NSU-Verfahren

Beschluss vom 10. März 2021 - StB 32/20

Der Bundesgerichtshof hat die Beschwerde des Verurteilten Carsten S. gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung verworfen, die das Oberlandesgericht München im sog. NSU-Verfahren mit Urteil vom 11. Juli 2018 getroffen hat.

Das Oberlandesgericht hat den zur Tatzeit heranwachsenden Verurteilten der Beihilfe zu neun Fällen des Mordes schuldig gesprochen und deswegen auf eine Jugendstrafe von drei Jahren erkannt. Es hat festgestellt, dass er im Jahr 2000 an der Beschaffung der Tatwaffe beteiligt war, mit der Mitglieder der Vereinigung "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) bis zum Jahr 2006 die meisten ihrer Mordanschläge ausführten (sog. Ceska-Serie). Zugleich hat es ihm, zusammen mit weiteren Mitangeklagten, sämtliche Kosten des Verfahrens auferlegt, die wegen der Taten angefallen sind, derentwegen er als Gehilfe verurteilt worden ist, des Weiteren die notwendigen Auslagen der von diesen Taten betroffenen Nebenkläger. Von der nach Jugendstrafrecht vorgesehenen Möglichkeit, im Rahmen des tatgerichtlichen Ermessens von der Auferlegung der Kosten und Auslagen abzusehen, hat es keinen Gebrauch gemacht.

Der Verurteilte hatte ebenso wie seine vier Mitangeklagten gegen die Verurteilung Revision eingelegt. Dieses Rechtsmittel hat er zwischenzeitlich zurückgenommen, bevor es dem Bundesgerichtshof vorgelegen hat. Gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung hat er Beschwerde erhoben.

Der für Staatsschutzstrafsachen zuständige 3. Strafsenat hat die Kostenbeschwerde des Verurteilten im Ergebnis für unzulässig erachtet. Denn die von einem Oberlandesgericht getroffene Kosten- und Auslagenentscheidung kann nicht isoliert angegriffen werden. Eine Anfechtungsmöglichkeit sieht das Prozessrecht vielmehr nur dann vor, wenn und solange der Bundesgerichtshof mit der Revision des Beschwerdeführers befasst ist. Der 3. Strafsenat hat erwogen, ob im Fall einer objektiv willkürlichen Entscheidung des Oberlandesgerichts etwas anderes gelten könnte. Die Nachprüfung der zum Nachteil des Beschwerdeführers angeordneten Kosten- und Auslagenfolge auf der Grundlage des Urteils vom 11. Juli 2018 hat jedoch keine willkürliche Rechtsanwendung ergeben. Insbesondere hat es sich nicht als rechtlich unvertretbar erwiesen, dass das Oberlandesgericht im Rahmen seines Ermessens auch das Gewicht der Tat des Beschwerdeführers und deren Folgen berücksichtigt hat.

Vorinstanz:

OLG München - 6 St 3/12 - Urteil vom 11. Juli 2018

Karlsruhe, den 19. März 2021

Maßgebliche Vorschriften:

§ 74 JGG - Kosten und Auslagen

Im Verfahren gegen einen Jugendlichen kann davon abgesehen werden, dem Angeklagten Kosten und Auslagen aufzuerlegen.

§ 109 JGG - Verfahren gegen Heranwachsende

...

(2) 1Wendet der Richter Jugendstrafrecht an (§ 105), so gelten auch die §§ 45, 47 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 und 3, Abs. 2, 3, §§ 52, 52a, 54 Abs. 1, §§ 55 bis 66, 74 und 79 Abs. 1 entsprechend. ...

§ 304 StPO - Zulässigkeit der Beschwerde

...

(4) 1Gegen Beschlüsse und Verfügungen des Bundesgerichtshofes ist keine Beschwerde zulässig. 2Dasselbe gilt für Beschlüsse und Verfügungen der Oberlandesgerichte; in Sachen, in denen die Oberlandesgerichte im ersten Rechtszug zuständig sind, ist jedoch die Beschwerde zulässig gegen Beschlüsse und Verfügungen, welche

1.die Verhaftung, einstweilige Unterbringung, Unterbringung zur Beobachtung, Bestellung eines Pflichtverteidigers oder deren Aufhebung, Beschlagnahme, Durchsuchung oder die in § 101 Abs. 1 oder § 101a Absatz 1 bezeichneten Maßnahmen betreffen,

2.die Eröffnung des Hauptverfahrens ablehnen oder das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses einstellen,

3.die Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten (§ 231a) anordnen oder die Verweisung an ein Gericht niederer Ordnung aussprechen,

4.die Akteneinsicht betreffen oder

5.den Widerruf der Strafaussetzung, den Widerruf des Straferlasses und die Verurteilung zu der vorbehaltenen Strafe (§ 453 Abs. 2 Satz 3), die Anordnung vorläufiger Maßnahmen zur Sicherung des Widerrufs (§ 453c), die Aussetzung des Strafrestes und deren Widerruf (§ 454 Abs. 3 und 4), die Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 372 Satz 1) oder die Einziehung oder die Unbrauchbarmachung nach den §§ 435, 436 Absatz 2 in Verbindung mit § 434 Absatz 2 und § 439 betreffen.

3§ 138d Abs. 6 bleibt unberührt.

...

§ 464 StPO - Kosten- und Auslagenentscheidung; sofortige Beschwerde

...

(3) 1Gegen die Entscheidung über die Kosten und die notwendigen Auslagen ist sofortige Beschwerde zulässig; sie ist unzulässig, wenn eine Anfechtung der in Absatz 1 genannten Hauptentscheidung durch den Beschwerdeführer nicht statthaft ist. 2Das Beschwerdegericht ist an die tatsächlichen Feststellungen, auf denen die Entscheidung beruht, gebunden. 3Wird gegen das Urteil, soweit es die Entscheidung über die Kosten und die notwendigen Auslagen betrifft, sofortige Beschwerde und im übrigen Berufung oder Revision eingelegt, so ist das Berufungs- oder Revisionsgericht, solange es mit der Berufung oder Revision befaßt ist, auch für die Entscheidung über die sofortige Beschwerde zuständig.

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