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Pressemitteilungen » Pressemitteilungen aus dem Monat Juli 2014 » Pressemitteilung Nr. 112/14 vom 18.7.2014

Siehe auch:  Urteil des V. Zivilsenats vom 18.7.2014 - V ZR 30/13 -

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Bundesgerichtshof

Mitteilung der Pressestelle


Nr. 112/2014

Zum Ausschluss von Ansprüchen wegen Spätfolgen durch schadhafte Luftschutzräume aus dem Zweiten Weltkrieg

Der Bundesgerichtshof hat sich heute in einer Entscheidung mit der Frage befasst, unter welchen Voraussetzungen Ansprüche wegen Spätschäden aufgrund der Anlegung von Luftschutzräumen auf privaten Grundstücken während des Zweiten Weltkriegs gegen die Bundesrepublik Deutschland noch bestehen können. Der Entscheidung liegt folgender Fall zugrunde:

Auf dem Grundstück der Klägerin befindet sich ein Felsen mit einer ehemaligen Stollenanlage, die während des Zweiten Weltkriegs als Luftschutzraum genutzt wurde. Diese hat mehrere Eingänge. Einer davon befindet sich auf einem anderen Grundstück und war verschlossen. Vor einem auf dem Grundstück der Klägerin befindlichen weiteren Eingang wurde in den 1960er Jahren eine Mauer errichtet, um ein Betreten der Anlage von dort aus zu verhindern. Nachdem die Klägerin Anfang 1983 ein Angebot zur Besitzübergabe wegen eines darin enthaltenen Anspruchsverzichts nicht annehmen wollte, erklärte die Beklagte mit einem Schreiben an die Klägerin vom 26. April 1983, sie gebe den Besitz an der Anlage auf. Ende 2006 stellte die Klägerin schwere Bauschäden an einem 1954 vor der Wand des Felsens errichteten Lagergebäude fest, die auf einen Felsabbruch oberhalb des Zugangs zu der Stollenanlage zurückzuführen sind. Die Klägerin verlangt von der beklagten Bundesrepublik Deutschland als Ersatz für Sicherungs- und Abtragungsarbeiten Zahlung von zuletzt 215.261,38 € nebst Zinsen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat ihr auf die Berufung der Klägerin weitgehend entsprochen. Die von dem Senat zugelassene Revision der Beklagten führte zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.

Die Anlegung des Luftschutzraums auf dem Grundstück der Klägerin ist eine Eigentumsstörung i.S.d. § 1004 BGB. Dagegen konnte die Klägerin zunächst nichts unternehmen, weil ihre Stollenanlage mit der Anlegung der Schutzräume für einen öffentlichen Zweck, nämlich als Luftschutzraum, gewidmet wurde und sie diese Widmung zu dulden hatte (§ 1004 Abs. 2 BGB). Die Bundesrepublik hat mit § 1 des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes (AKG) ihre Haftung für solche Eigentumsstörungen grundsätzlich ausgeschlossen. Etwas anderes gilt nach § 19 Abs. 2 Nr. 1 AKG, wenn die Beseitigung der Eigentumsstörung zur Abwendung einer unmittelbaren Gefahr für Leben oder Gesundheit erforderlich ist. Dann hat der Bund hierfür einzustehen, allerdings nur, wenn die Ansprüche innerhalb einer Ausschlussfrist von einem Jahr angemeldet werden. Diese Frist beginnt nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AKG mit der Entstehung des Anspruchs. In diesem Sinne entstanden ist der Anspruch mit der Anlegung des Luftschutzraums und dem Fortfall der erwähnten Duldungspflicht. Unerheblich ist dagegen, wann die konkrete Gefahr, etwa durch einen Felsabbruch, eingetreten ist.

Im vorliegenden Fall stellte sich die Frage, wann die Pflicht zur Duldung eines Luftschutzraums entfallen ist. Nach Ansicht der Klägerin kommt es darauf an, wann die Beklagte den Besitz aufgegeben hat. Die Beklagte selbst hält die Schließung der Stollenanlage als Luftschutzraum für den maßgeblichen Zeitpunkt. Im ersten Fall wäre die Anmeldung der Klägerin rechtzeitig, im zweiten nicht. Der Bundesgerichtshof folgt weder der einen noch der anderen Sicht. Normalerweise entfällt eine Duldungspflicht zwar mit der Aufgabe der öffentlichen Nutzung des privaten Grundstücks. Bei der öffentlichen Nutzung privater Grundstücke für Zwecke des Luftschutzes galt aber in dem hier relevanten Zeitraum (1982/83) eine Besonderheit: Nach dem seinerzeit geltenden Schutzbaugesetz entfiel die Duldungspflicht nicht schon mit der Schließung des Schutzraums. Vielmehr durfte der Grundstückseigentümer auch einen geschlossenen Schutzraum ohne Zustimmung der staatlichen Stelle so lange weder verändern noch beseitigen, bis über eine Wiederverwendung entschieden und diese endgültig abgelehnt worden war (sog. Veränderungssperre). Der Anspruch auf Beseitigung eines Schutzraums entsteht deshalb erst, wenn der Schutzraum nicht nur stillgelegt worden, sondern auch entschieden ist, dass es dabei auf Dauer bleiben soll. Von beiden Entscheidungen – die Schließung des Schutzraums und die Entscheidung darüber, dass er auch nicht mehr wiederverwendet werden soll – muss der betroffene Grundstückseigentümer erfahren, weil er anders die Anmeldefrist nicht wahren kann. Deshalb reicht es nicht, wenn sie behördenintern getroffen worden sind. Vielmehr müssen sie dem Grundstückseigentümer mitgeteilt oder wenigstens öffentlich bekannt gemacht werden.

Ob und wann dies geschehen war, hat das Oberlandesgericht nicht festgestellt. Darum ließ sich nicht feststellen, ob die Anmeldefrist eingehalten worden war. Deshalb war das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur Aufklärung dieser Fragen an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen.

Die Entscheidung hat über den entschiedenen Fall hinaus Bedeutung: Die Anmeldefrist für Ansprüche wegen der Spätfolgen defekter Luftschutzräume, die während des Zweitens Weltkriegs errichtet worden sind, beginnt grundsätzlich nicht schon mit der Schließung des Schutzraums, sondern erst mit der Entscheidung, dass sie endgültig sein soll. Das bedeutet einerseits, dass sich manche Anmeldung im Nachhinein als rechtzeitig erweisen kann, führt aber andererseits nicht dazu, dass solche Ansprüche auch heute noch angemeldet werden könnten. Die Beschränkungen des Grundstückseigentümers bei stillgelegten Schutzbauten sind nämlich mit der Aufhebung der Vorschrift über die Veränderungssperre zum 4. April 1997 entfallen. Die Frist für die Anmeldung von Ansprüchen wegen solcher Schutzbauten begann deshalb spätestens mit diesem Zeitpunkt. Für die neuen Bundesländer hat die Entscheidung keine Auswirkungen, weil dort nur der Anspruchsausschluss nach § 1 AKG, nicht aber die Haftung des Bundes nach § 19 Abs. 2, § 27 AKG gilt.

Urteil vom 18. Juli 2014 – V ZR 30/13

Landgericht Koblenz - Urteil vom 10. Dezember 2009 – 1O 278/09

Oberlandesgericht Koblenz - Urteil vom 10. Januar 2013 – 1 U 42/10

Karlsruhe, den 18. Juli 2014

Anhang

Auszug aus dem BGB

§ 1004 Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch

(1) Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen.

(2) Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist.

Auszug aus dem AKG

§ 1 Erlöschen von Ansprüchen

(1) Ansprüche gegen

1.das Deutsche Reich einschließlich der Sondervermögen Deutsche Reichsbahn und Deutsche Reichspost,

2.das ehemalige Land Preußen,

3.das Unternehmen Reichsautobahnen

erlöschen, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt.

(2) Unberührt bleiben Gesetze der Bundesrepublik Deutschland, ihrer Länder, der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes oder Gesetze der Besatzungsmächte, in denen Ansprüche dieser Art geregelt sind oder wegen bisher bestehender Ansprüche dieser Art Leistungen gewährt werden.

(3) Absatz 1 steht einer bundesgesetzlichen Regelung nicht entgegen, welche Gläubigern, deren Ansprüche nach diesem Gesetz nicht zu erfüllen oder nicht abzulösen sind, eine über den Rahmen dieses Gesetzes hinausgehende Entschädigung gewährt, soweit sich auf Grund der in Durchführung dieses Gesetzes gewonnenen Erfahrungen eine solche weitergehende Entschädigung als notwendig erweisen sollte.

§ 19 Ansprüche aus dinglichen Rechten und aus der Beeinträchtigung dieser Rechte

(1) Ansprüche (§ 1) aus dem Eigentum oder anderen Rechten an einer Sache auf Herausgabe der Sache sind zu erfüllen. Bei einem Anspruch auf Herausgabe eines Grundstücks finden die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über Ansprüche aus dem Eigentum mit der Maßgabe Anwendung, daß bis zum Ablauf der in § 20 Abs. 1 bezeichneten Fristen die in §§ 987 bis 992 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bezeichneten Voraussetzungen als nicht vorliegend zu erachten sind. Ansprüche auf Nutzungsentschädigung nach § 11 bleiben unberührt.

(2) Ansprüche (§ 1), die auf einer sonstigen Beeinträchtigung oder Verletzung des Eigentums oder anderer Rechte an einer Sache oder an einem Recht beruhen, sind nur dann zu erfüllen,

1.wenn die Erfüllung des Anspruchs zur Abwendung einer unmittelbaren Gefahr für Leben oder Gesundheit erforderlich ist oder

2.wenn der Beeinträchtigung oder Verletzung eine nach dem 31. Juli 1945 begangene Handlung zugrunde liegt, es sei denn, daß die Beeinträchtigung oder Verletzung auf Veranlassung der Besatzungsmächte erfolgt ist. Bei einem Beseitigungsanspruch kann der Anspruchsschuldner (§ 25) den Anspruchsberechtigten in Geld entschädigen. Dies gilt jedoch nicht, wenn die Voraussetzungen der Nummer 1 vorliegen. Die Entschädigung soll den gemeinen Wert der Sache oder des Rechts nicht übersteigen, den diese ohne Beeinträchtigung haben würden.

(3) Sonstige Ansprüche (§ 1) aus dem Eigentum oder anderen Rechten an einer Sache oder an einem Recht sind zu erfüllen. Dies gilt nicht für Ansprüche auf Zahlung von Geld oder auf Leistung einer sonstigen vertretbaren Sache, die vor dem 1. August 1945 fällig geworden sind.

(4) Hypotheken, Grundschulden, Rentenschulden, Reallasten, Schiffshypotheken und sonstige Pfandrechte erlöschen, soweit die durch sie gesicherten Ansprüche (§ 1) nicht zu erfüllen sind.

§ 25 Anspruchsschuldner

(1) In den Fällen der §§ 4 bis 24 ist Anspruchsschuldner der Bund.

§ 26 Anmeldung

Auf Grund der nach diesem Gesetz zu erfüllenden Ansprüche können Leistungen nur verlangt werden, soweit die Ansprüche bei den Anmeldestellen (§ 27) fristgerecht (§ 28) angemeldet worden sind.

§ 28 Anmeldefrist, Nachsichtgewährung

(1) Die in §§ 4, 5, 9, 10, 11, 12 Nr. 2 und § 19 Abs. 2 bezeichneten Ansprüche können nur innerhalb einer Frist von einem Jahr nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes angemeldet werden. In Abweichung hiervon beginnt die Frist,

1.wenn der Anspruch nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes entsteht, mit seiner Entstehung;

(2) War der Antragsteller ohne sein Verschulden verhindert, die Anmeldefrist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Nachsicht zu gewähren. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann Nachsichtgewährung nicht mehr beantragt werden.

(3) Ablehnende Entscheidungen der Anmeldestelle sind nach den Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes zuzustellen.

Pressestelle des Bundesgerichtshofs
76125 Karlsruhe
Telefon (0721) 159-5013
Telefax (0721) 159-5501

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