Bundesgerichtshof

Mitteilung der Pressestelle


Nr. 92/2006

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir möchten folgenden Terminhinweis geben:

Verhandlungstermin: 12. Oktober 2006

III ZR 144/05

LG Bonn – 1 O 459/00 ./. OLG Köln - 7 U 29/04

Die Klägerin begehrt aus abgetretenem Recht dänischer Schweinezüchter und Schlachthofgesellschaften von der beklagten Bundesrepublik Deutschland Schadensersatz wegen der Verletzung europäischen Gemeinschaftsrechts. Gegenstand des Verfahrens ist der von der Klägerin erhobene Vorwurf, die Beklagte habe von Anfang 1993 bis 1999 entgegen dem geltenden Gemeinschaftsrecht faktisch ein Importverbot verhängt, das sich auf Fleisch von nicht kastrierten männlichen Schweinen aus Dänemark bezogen habe. Hierdurch sei den Schweinezüchtern und Schlachthofgesellschaften in der genannten Zeit ein Schaden von mindestens 280.000.000 DM entstanden.

Dem lag im Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde. In Dänemark wurde Anfang der neunziger Jahre das „Male-Pig-Projekt“ zur Aufzucht nicht kastrierter männlicher Schweine ins Leben gerufen. Diese – nach der Behauptung der Klägerin wirtschaftlich vorteilhaftere – Aufzucht birgt die Gefahr, dass das Fleisch beim Erhitzen einen strengen Geruch bzw. Geschmack, den sog. Geschlechtsgeruch, aufweisen kann, wobei diese Gefahr mit zunehmendem Alter und Gewicht der Schweine zum Schlachtzeitpunkt zunimmt. Nach Auffassung der dänischen Forschung lässt sich diese Geruchsbelastung bereits beim Schlachtvorgang durch Prüfung des Skatolgehalts, eines im Darm gebildeten Abbauprodukts, feststellen und geruchsbelastetes Fleisch aussortieren. Nach Auffassung der deutschen Seite geht die Geruchsbelastung auf das Hormon Androstenon zurück, dessen Bildung durch eine frühe Kastration ausgeschaltet werden könne; der Skatolgehalt sei für sich allein betrachtet kein Maß für den Geschlechtsgeruch und seine Prüfung führe daher zu keinen zuverlässigen Ergebnissen.

Durch die bis zum 31. Dezember 1991 umzusetzende Richtlinie des Rates vom 11. Dezember 1989 zur Regelung der veterinärrechtlichen Kontrollen im innergemeinschaftlichen Handel im Hinblick auf den gemeinsamen Binnenmarkt (89/662/EWG) wurde das bisherige System der Grenzkontrollen zugunsten einer durch den Versandmitgliedstaat durchzuführenden veterinärrechtlichen Kontrolle abgelöst; der zuständigen Behörde an den Bestimmungsorten sollte nur eine nichtdiskriminierende veterinärrechtliche Kontrolle im Stichprobenverfahren vorbehalten bleiben. In Art. 8 dieser Richtlinie ist ein Verfahren zur Regelung des Falls vorgesehen, dass die Übereinstimmung des Fleisches mit den geltenden gesundheitsrechtlichen Vorschriften von den zuständigen Behörden des Bestimmungs- und des Ursprungslands unterschiedlich beurteilt wird. In der Richtlinie 64/433/EWG des Rates vom 26. Juni 1964 über die gesundheitlichen Bedingungen für die Gewinnung und das Inverkehrbringen von frischem Fleisch, die durch die bis zum 1. Januar 1993 umzusetzende Richtlinie des Rates vom 29. Juli 1991 (91/497/EWG) neu gefasst worden ist, heißt es in Art. 5 Abs. 1 Buchst. o, dass die Mitgliedstaaten dafür sorgen, dass der amtliche Tierarzt Fleisch, das einen starken Geschlechtsgeruch aufweist, für genussuntauglich erklärt. Nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. b Ziffer iii tragen die Mitgliedstaaten Sorge dafür, dass Fleisch – unbeschadet der in Art. 5 Abs. 1 Buchst. o vorgesehenen Fälle – von nicht kastrierten männlichen Schweinen mit einem Tierkörpergewicht von mehr als 80 kg ein besonderes Kennzeichen trägt oder einer Hitzebehandlung unterzogen wird, außer wenn der Betrieb durch eine nach dem Verfahren des Art. 16 anerkannte bzw. – wenn kein entsprechender Beschluss gefasst worden ist – durch eine von den zuständigen Behörden anerkannte Methode sicherstellen kann, dass Schlachtkörper mit einem starken Geschlechtsgeruch festgestellt werden können.

Die Beklagte teilte den obersten Veterinärbehörden der Mitgliedstaaten durch den Bundesminister für Gesundheit im Januar 1993 mit, die Regelung in Art. 6 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 64/633/EWG werde in der Weise in nationales deutsches Recht umgesetzt, dass unabhängig von der Gewichtsgrenze ein Wert von 0,5 µg/g Androstenon festgesetzt werde. Bei Überschreitung dieses Werts weise das Fleisch einen starken Geschlechtsgeruch auf und sei nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. o untauglich zum Genuss für Menschen. Als Methode zum Nachweis des Androstenons werde nur der modifizierte Immunoenzymtest nach Prof. Claus als spezifisch anerkannt. Das Fleisch männlicher, nicht kastrierter Schweine, bei dem dieser Wert überschritten werde, dürfe nicht als frisches Fleisch in die Bundesrepublik Deutschland verbracht werden. Weiter heißt es in dem Schreiben, im Einvernehmen mit der EG-Kommission und dem Rat (s. Protokollerklärung zu Art. 6 Abs. 1 Buchst. b) bei Beschluss der Richtlinie 91/497/EWG werde für alle Sendungen von Schweinefleisch aus anderen Mitgliedstaaten Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 89/622/EWG angewandt. Schweinefleischsendungen würden am Bestimmungsort, unabhängig von ihrer Genusstauglichkeitskennzeichnung, auf die Einhaltung des Grenzwertes überprüft und bei Überschreitung des Wertes beanstandet.

Nachdem die Beklagte und die Kommission keine Einigung über die Auslegung der gemeinschaftsrechtlichen Normen finden konnten, stellte der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften auf die von der Kommission im Jahr 1996 erhobene Vertragsverletzungsklage durch Urteil vom 12. November 1998 (Rs. C-102/96) fest, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtung aus Art. 5 Abs. 1 Buchst. o und Art. 6 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 64/433 in der Fassung der Richtlinie 91/497 sowie aus Art. 5 Abs. 1, Art. 7, 8 der Richtlinie 89/662 verstoßen hat, dass sie Schlachtkörper von nicht kastrierten männlichen Schweinen der Kennzeichnung und Hitzebehandlung bereits dann unterwirft, wenn das Fleisch unabhängig vom Körpergewicht der Tiere einen Androstenongehalt von mehr als 0,5 µg/g – festgestellt unter Anwendung des modifizierten Immunoenzymtests nach Prof. Claus – aufweist, und dass sie das Fleisch bei Überschreiten des Grenzwerts von 0,5 µg/g als mit einem starken Geschlechtsgeruch belastet betrachtet, der die Genussuntauglichkeit des Fleisches für den menschlichen Verzehr nach sich zieht.

Die Klägerin hat den geltend gemachten Schadensersatzanspruch auf die Behauptung gestützt, die dänischen Schweinezüchter und Schlachthofgesellschaften hätten im Hinblick auf das gemeinschaftswidrige Verhalten der Beklagten bis im Herbst 1993 von dem Male-Pig-Projekt Abstand genommen und in der Zeit bis 1999 unter Berücksichtigung ihrer Planung, den Anteil von Fleisch, welches von nicht kastrierten männlichen Schweinen stammt, bezogen auf die Gesamtexportmenge von 130 Millionen Schweinen zu steigern, etwa 39 Millionen kastriert aufgezogene Schweine für die Vermarktung in Deutschland geschlachtet. Bei der Vermarktung einer entsprechenden Menge unkastrierter männlicher Schweine hätten sich für sie Kosteneinsparungen von mindestens 280.000.000 DM ergeben.

Beide Vorinstanzen haben die Beklagte dem Grunde nach für verpflichtet gehalten, der Klägerin den erlittenen Schaden zu ersetzen. Das Landgericht hat die Klage im Hinblick auf die Beantragung eines Mahnbescheids am 6. Dezember 1999 allerdings insoweit als verjährt abgewiesen, als es um Schadensersatzansprüche geht, die bis zum 6. Dezember 1996 entstanden sind. Demgegenüber hat das Berufungsgericht die Ansprüche insgesamt für unverjährt angesehen. Die Beklagte hat die zugelassene Revision eingelegt.

Im Revisionsverfahren geht es unter anderem um die Frage, ob sich aus den genannten Richtlinien Rechte der dänischen Schweinezüchter und Schlachthofgesellschaften ergeben, die eine Schadensersatzpflicht auslösen können, oder ob diese sich unmittelbar auf eine Verletzung der Warenverkehrsfreiheit (Art. 28 EG; früher Art. 30 EWG-Vertrag) berufen können. Daneben sind die Fragen aufgeworfen, in welcher Frist der gemeinschaftsrechtliche Staatshaftungsanspruch nach der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Rechtslage verjährt, ab wann von einem Geschädigten angesichts der Entwicklung des gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften in den Jahren nach 1991 die Erhebung einer Schadensersatzklage zur Unterbrechung der Verjährung zumutbar war, ob die Geschädigten im Hinblick auf das von der Kommission im Jahr 1996 gegen die Beklagte eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften von verjährungsunterbrechenden Maßnahmen absehen durften oder ob die Verjährungsfrist im Hinblick darauf, dass das innerstaatliche Recht nicht vor 1999 mit dem Gemeinschaftsrecht in Übereinstimmung gebracht wurde, erst zu diesem Zeitpunkt zu laufen begonnen hat. Schließlich geht es auch um die Frage, ob die Geschädigten Möglichkeiten des Primärrechtsschutzes wahrgenommen haben oder ob ihnen entgegenzuhalten ist, dass die am Fleischimport und –export beteiligten Unternehmen vor den Verwaltungsgerichten keinen Rechtsschutz gegen Einfuhrkontrollen und die Zurückweisung zur Einfuhr bestimmter Lieferungen in Anspruch genommen haben.

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