Bundesgerichtshof

Mitteilung der Pressestelle


Nr. 136/2005

Sehr geehrte Damen und Herren,

auf folgenden Termin möchten wir hinweisen:

Verhandlungstermin: 18. Oktober 2005

KZR 36/04

LG Mannheim – 22 O 64/02 (Kart.) (RdE 2004, 122) ./. OLG Karlsruhe – 6 U 22/04 (ZNER 2004, 397 = RdE 2005, 51)

Zur zivil- und kartellrechtlichen Überprüfung von Netznutzungsentgelten

In der Auseinandersetzung zwischen den Parteien geht es u.a. um die Frage, ob ein Netznutzer (ein Stromversorgungsunternehmen, das das Netz eines anderen zur "Durchleitung" elektrischer Energie nutzt) eine Überprüfung des Netznutzungsentgelts am Maßstab des § 315 BGB verlangen kann. Ferner bietet der Rechtsstreit gegebenenfalls Gelegenheit zur Klärung der Frage, ob die bis zum 31.12.2003 befristete Vermutungswirkung des § 6 Abs. 1 Satz 5 EnWG (in der bis zum 12. Juli 2005 geltenden Fassung, fortan: a. F.) auch für die Zeit danach anzuwenden ist.

Bei der Klägerin handelt es sich um ein Stromversorgungsunternehmen. Auf der Grundlage eines Rahmenvertrages stellt die Beklagte der Klägerin das Stromverteilungsnetz zur Verfügung, das sie auf dem Gebiet der Stadt Mannheim betreibt. Nach dem Vertrag hat das klagende Stromversorgungsunternehmen für die Durchleitung ein Entgelt „gemäß der jeweils geltenden Anlage 3“ – dem von der Beklagten erstellten Preisblatt – zu zahlen. Nach dem Vorbringen der Beklagten berechnet sie die dem klagenden Stromversorgungsunternehmen in Rechnung gestellten Entgelte nach der Anlage 3 zur Verbändevereinbarung über Kriterien zur Bestimmung von Netznutzungsentgelten für elektrische Energie und über Prinzipien der Netznutzung vom 13. Dezember 2001 (BAnz. Nr. 85 b vom 8.5.2002; fortan: VV Strom II plus). In einem Anschreiben, mit der es der Beklagten den von ihr unterzeichneten Vertragstext zur Gegenzeichnung zuleitete, erklärte das klagende Stromversorgungsunternehmen, es behalte sich vor „ die … in Rechnung gestellten Entgelte im ganzen und in ihren einzelnen Bestandteilen energie- und kartellrechtlich überprüfen zu lassen“.

Das klagende Stromversorgungsunternehmen macht geltend, die Beklagte verlange überhöhte Netznutzungsentgelte. Das Landgericht hat die Feststellungsklage abgewiesen (LG Mannheim, RdE 2004, 122). Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben (OLG Karlsruhe, ZNER 2004, 397 = RdE 2005, 51).

Das Berufungsgericht hielt sich zu einer Überprüfung anhand des (Billigkeits-) Maßstabs des § 315 Abs. 3 BGB nicht für befugt, weil der Beklagten kein Leistungsbestimmungsrecht eingeräumt worden sei. Vielmehr habe das klagende Stromversorgungsunternehmen das Preisangebot der Beklagten, wenn auch unter Protest, angenommen. Auch aus § 6 Abs. 1 EnWG a. F. ergebe sich keine Verpflichtung der Beklagten, geringere Durchleitungsentgelte zu verlangen. Es fehle an einer Abweichung des von der Beklagten berechneten Preises von den Grundsätzen guter fachlicher Praxis, da die Beklagte das Netznutzungsentgelt nach den bindenden tatbestandlichen Feststellungen des Landgerichts nach der VV Strom II plus berechne. Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 5 EnWG a. F. werde die Erfüllung der Bedingungen guter fachlicher Praxis vermutet. Die Vermutungswirkung gelte über den 31. Dezember 2003 hinaus und sei lediglich auf nach diesem Datum festgesetzte Preise nicht mehr anwendbar. Die Behauptung des klagenden Stromversorgungsunternehmens, die von der Beklagten berechneten Entgelte seien ungünstiger als die Preise, die von der Beklagten in vergleichbaren Fällen für Leistungen innerhalb ihres Unternehmens oder gegenüber verbundenen oder assoziierten Unternehmen in Rechnung gestellt würden, sei unsubstantiiert.

§ 315 BGB hat folgenden Inhalt:

Bestimmung der Leistung durch eine Partei

Soll die Leistung durch einen der Vertragsschließenden bestimmt werden, so ist im Zweifel anzunehmen, dass die Bestimmung nach billigem Ermessen zu treffen ist.

Die Bestimmung erfolgt durch Erklärung gegenüber dem anderen Teil.

Soll die Bestimmung nach billigem Ermessen erfolgen, so ist die getroffene Bestimmung für den anderen Teil nur dann verbindlich, wenn sie der Billigkeit entspricht. Entspricht sie nicht der Billigkeit, so wird die Bestimmung durch Urteil getroffen; das Gleiche gilt, wenn die Bestimmung verzögert wird.

§ 6 Abs. 1 EnWG a. F. hat folgenden Inhalt:

Betreiber von Elektrizitätsversorgungsnetzen haben anderen Unternehmen das Versorgungsnetz für Durchleitungen zu Bedingungen zur Verfügung zu stellen, die guter fachlicher Praxis entsprechen und nicht ungünstiger sind, als sie von ihnen in vergleichbaren Fällen für Leistungen innerhalb ihres Unternehmens oder gegenüber verbundenen oder assoziierten Unternehmen tatsächlich oder kalkulatorisch in Rechnung gestellt werden. Dies gilt nicht, soweit der Betreiber nachweist, dass ihm die Durchleitung aus betriebsbedingten oder sonstigen Gründen unter Berücksichtigung der Ziele des § 1 nicht möglich oder nicht zumutbar ist. Die Ablehnung ist schriftlich zu begründen. Die Bedingungen guter fachlicher Praxis im Sinne des Satzes 1 dienen der Erreichung der Ziele des § 1 und der Gewährleistung wirksamen Wettbewerbs. Bei Einhaltung der Verbändevereinbarung über Kriterien zur Bestimmung von Netznutzungsentgelten für elektrische Energie und über Prinzipien der Netznutzung vom 13. Dezember 2001 (BAnz. Nr. 85 b vom 8. Mai 2002) wird bis zum 31. Dezember 2003 die Erfüllung der Bedingungen guter fachlicher Praxis vermutet, es sei denn, dass die Anwendung der Vereinbarung insgesamt oder die Anwendung einzelner Regelungen der Vereinbarung nicht geeignet ist, wirksamen Wettbewerb zu gewährleisten. § 19 Abs. 4 und § 20 Abs. 1 und 2 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen bleibt unberührt.

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