Bundesgerichtshof
Mitteilung der Pressestelle

 

 

 

Nr. 77/2004

Bundesgerichtshof entscheidet über Massenerschießungen
am Turchino-Paß im Jahre 1944

Der 5. (Leipziger) Strafsenat des Bundesgerichtshofs hatte über Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen ein Urteil des Schwurgerichts in Hamburg zu entscheiden, mit dem ein im Jahre 1909 geborener Angeklagter wegen Mordes zu sieben Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden war. Nach den Feststellungen des Schwurgerichts hatte der Angeklagte im Mai 1944 als SS-Sturmbannführer und Leiter der Sicherheitspolizei in Genua nach einem Bombenanschlag italienischer Partisanen auf ein deutsches Soldatenkino, bei dem fünf oder sechs Soldaten getötet wurden, eine ihm befohlene "Sühnemaßnahme" organisiert. Dabei waren am Turchino-Paß 59 italienische Gefangene unter Begleitumständen erschossen worden, welche das Schwurgericht als grausam bewertet hat.

Der Bundesgerichtshof hat die Auffassung des Schwurgerichts gebilligt, daß der Angeklagte für das Massaker strafrechtlich verantwortlich war. Ungeachtet von Tatzeitauffassungen zur Rechtmäßigkeit von "Repressalmaßnahmen" im Krieg hat er die Rechtswidrigkeit der Tat des Angeklagten bejaht, angesichts der qualvollen Begleitumstände der Massenerschießung auch einen Schuldausschluß wegen Handelns auf Befehl verneint. Selbst vor dem Hintergrund der während des Zweiten Weltkrieges herrschenden Sittenverrohung hat der Senat die Annahme der objektiven Voraussetzungen des Mordmerkmals der Grausamkeit bejaht. Für die subjektiven Voraussetzungen dieses Mordmerkmals fehlte es indes an einem ausreichenden Beweis. Die hierfür erforderliche gefühllose unbarmherzige Gesinnung des auf strikte Befehlsausübung bedachten Angeklagten, dem es auf das den Opfern zugefügte besondere Leid nicht ankam, hatte das Schwurgericht daraus hergeleitet, daß der Angeklagte Möglichkeiten ungenutzt gelassen habe, die ihm befohlene "Sühnemaßnahme" unter für die Opfer weniger qualvollen Begleitumständen durchzuführen. Diese Sichtweise war zwar im Ansatz zutreffend; das Schwurgericht hat indes die verlangten Alternativen, die sich nicht von selbst verstanden, nicht dargelegt.

Als Totschlag wäre die Tat des Angeklagten bereits bei der erst im Jahre 2000 erfolgten Anklageerhebung längst verjährt gewesen. Es hätte daher zur Aufklärung, ob Mordmerkmale doch nachweisbar sind, der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung der Sache bedurft. Dies wäre möglicherweise auch auf die Strafmaßrevision der Staatsanwaltschaft in Betracht gekommen, mit welcher die im Hinblick auf den Zeitablauf erfolgte Herabsetzung der eigentlich zwingend vorgesehenen lebenslangen Freiheitsstrafe beanstandet worden ist.

Mit Rücksicht auf den – zusätzlich wegen schwieriger Verjährungsfragen – ausstehenden erheblichen weiteren Aufklärungsbedarf und auf das hohe Alter des jetzt 95jährigen Angeklagten, das eine baldige beträchtliche Minderung seiner Verhandlungsfähigkeit erwarten läßt, hat der Bundesgerichtshof von einer Aufhebung und Zurückverweisung abgesehen und das aller Voraussicht nach nicht mehr rechtskräftig abschließbare Verfahren eingestellt. Dies erfolgte auch vor dem Hintergrund, daß mit der strafrechtlichen Verfolgung des Angeklagten ernstlich erst in den 90er Jahren und damit unbegreiflich spät begonnen worden war.

Aus einer Verurteilung des Angeklagten in Abwesenheit durch ein italienisches Militärgericht im Jahre 1999 zu lebenslanger Freiheitsstrafe wegen des gegenständlichen Vorwurfs und dreier weiterer kriegsverbrecherischer Morde hatte sich kein Verfahrenshindernis für das vorliegende Verfahren ergeben. Der Bundesgerichtshof hat auf eine sich eventuell eröffnende Möglichkeit einer Vollstreckung des italienischen Urteils im Blick auf die weiteren dort abgeurteilten Taten nach der bevorstehenden Einführung von Neuregelungen im Zusammenhang mit dem Europäischen Haftbefehl hingewiesen.

Beschluß vom 17. Juni 2004 – 5 StR 115/03

Karlsruhe, den 25. Juni 2004

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