Bundesgerichtshof
Mitteilung der Pressestelle

 

 

Nr. 78/2004

 

 

Bundesgerichtshof bestätigt Freispruch eines Polizeibeamten vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung

 

Das Landgericht Mühlhausen hat den zur Tatzeit 30jährigen Polizeibeamten S. vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen, weil es dessen Schußwaffeneinsatz gegen den getöteten B. aus Notwehr für gerechtfertigt hielt.

 

Nach den Feststellungen des Landgerichts wollten der alkoholisierte und später getötete B. und sein Begleiter M. am 28. Juli 2002 gegen 4.20 Uhr Zigaretten an einem Automaten ziehen, was jedoch mißlang. Weil das Gerät das Geld angenommen, aber keine Zigaretten ausgegeben hatte, schlugen beide jeweils mit lose herumliegenden Gehwegplatten auf den Automaten ein. Nachdem von Anwohnern wegen des Lärms die Polizei gerufen worden war, trafen der Angeklagte Polizeiobermeister S. und seine Kollegin L. am Tatort ein, wo sie sich durch Zuruf als Polizei zu erkennen gaben. Während M. durch die Polizistin L. festgenommen werden konnte, entwand sich B. dem Griff des Angeklagten S., schlug auf den Polizeibeamten ein und lief davon. Der Angeklagte folgte ihm. Der Einsatz von Pfefferspray blieb erfolglos. B. ergriff dann einen ca. 3 kg schweren Pflasterstein und warf ihn in die Richtung des Kopfes des von ihm 3 bis 4 m entfernt stehenden Angeklagten. Dieser zog nunmehr die Dienstwaffe, um einen Warnschuß abzugeben. In diesem Augenblick warf B. mit großer Wucht einen zweiten Stein, der den Kopf des Angeklagten nur knapp verfehlte, und drehte sich erneut nach hinten, um einen dritten Stein aufzuheben. Angesichts dessen hielt S. einen Warnschuß nicht für erfolgversprechend, zielte auf die Beine von B. und betätigte den Abzug der nicht vorgespannten Waffe, um B. von einem weiteren Angriff abzuhalten. Beim Abfeuern verriß diese nach oben. Der Schuß traf den sich nach unten beugenden B. in einer Höhe von 81 cm über Grund in den Rücken, wo er die Körperhauptschlagader eröffnete. B. verstarb innerhalb kürzester Zeit durch Verbluten.

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat die Revisionen der Nebenkläger und der Staatsanwaltschaft, die sich gegen die Annahme einer Rechtfertigung durch Notwehr richten, verworfen. Die Bewertung des Landgerichts ist rechtlich nicht zu beanstanden. In der konkreten Situation und angesichts der lebensgefährlichen Steinwürfe mußte der Angeklagte das Risiko eines Warnschusses oder einfachen körperlichen Zwangs nicht mehr eingehen. Diese weniger einschneidenden Abwehrmöglichkeiten waren nicht geeignet, die Gefahr zweifelsfrei und endgültig zu beseitigen. Er war vielmehr berechtigt, auf die Beine des Angreifers zu schießen. Die durch das Verreißen der Waffe bewirkte, an sich geringfügige Abweichung des Schusses vom gewollten Ziel führte durch die Bewegung des Geschädigten zu einer tödlichen Verletzung. In dieser Folge verwirklichte sich das mit der Notwehrhandlung verbundene typische Risiko; der fahrlässig herbeigeführte Erfolg wird daher von der Rechtfertigung umfaßt.

Urteil vom 30. Juni 2004 – 2 StR 82/04

Karlsruhe, den 30. Juni 2004

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