Bundesgerichtshof
Mitteilung der Pressestelle

 

 

Nr. 54/2004

Urteil in Sachen Bremer Vulkan in vollem Umfang aufgehoben

Das Landgericht Bremen hat die drei Angeklagten, die Mitglieder des Vorstands der mittlerweile in Konkurs gegangenen Bremer Vulkan Verbund AG (BVV AG) waren, jeweils wegen Untreue in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und die Vollstreckung der Strafen zur Bewährung ausgesetzt.

Die BVV AG hatte über zwischengeschaltete Tochterunternehmen im Jahr 1992 von der Treuhandanstalt die MTW-Schiffswerft in Wismar sowie die Volkswerft in Stralsund übernommen, die zu Zeiten der ehemaligen DDR in einem Kombinat zusammengefaßt waren. Um die nicht kostendeckend arbeitenden Werften zu erhalten, wurden in den Verträgen über den Verkauf der Werften Zuschüsse in der Größenordnung von insgesamt über 1 Mrd. DM vereinbart. Damit sollte zum einen ein Ausgleich geschaffen werden für zu erwartende Aufwendungen aus Sozialplänen und für Verluste aus bereits abgeschlossenen Geschäften. Weiterhin waren in dem Subventionsbetrag auch Investitionsbeihilfen in Höhe von über 600 Mio. DM vorgesehen, mit denen grundlegende Maßnahmen zur Modernisierung der Ostwerften bezuschußt werden sollten.

Die BVV AG, die im Zuge der Werftenkrise zunehmend in wirtschaftliche Probleme geriet, richtete ein konzerninternes Cash-Management-System ein. Dieses System stellte sicher, daß Guthaben in einem Tochterunternehmen innerhalb des Konzerns zugleich zum Ausgleich etwaiger Schuldsalden anderer Unternehmenseinheiten verwandt werden konnten. Mit einem solchen – im übrigen auch in anderen Konzernen verbreiteten – internen Ausgleichssystem wurde die Finanzlage der BVV AG optimiert und insbesondere die Zinsbelastung des Gesamtkonzerns vermindert. Nachdem die beiden Ostwerften mit Rücksicht auf Bedenken der EU-Kommission zunächst ausgeklammert waren, wurden sie später in das Cash-Management-System einbezogen, zumal sie infolge der Zuschüsse in erheblichem Umfang über freie Finanzmittel verfügten. Dadurch kam es in der Folgezeit zu Kapitalumschichtungen von den Ostwerften zu den übrigen Tochterunternehmen. Betroffen waren davon Geldanlagen der beiden Ostwerften in Höhe von über 800 Mio. DM. Die finanzielle Situation des Gesamtkonzerns verschlechterte sich trotz weiterer Kreditgewährungen ständig. Im Februar 1996 wurde schließlich Vergleichsantrag gestellt und später das Anschlußkonkursverfahren über das Vermögen der BVV AG eröffnet.

Nach Auffassung des Landgerichts hätten die Angeklagten als Verantwortliche der BVV AG die Vermögenswerte der Ostwerften nicht in das Konzernvermögen überführen dürfen. Indem sie diese Pflicht verletzten, hätten sie gegenüber den beiden Tochterunternehmen jeweils eine Untreue begangen. Die Angeklagten haben mit ihren Revisionen die Verurteilung insgesamt angegriffen, die Staatsanwaltschaft hat höhere Strafen erstrebt.

Beide Revisionen haben in vollem Umfang Erfolg.

Der 5. (Leipziger) Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat die Auffassung des Landgerichts nicht geteilt, wonach sich aus den jeweiligen Verträgen über den Erwerb der Ostwerften ein Verbot herleiten ließe, keinerlei Transferzahlungen an die Konzernmutter zu leisten. Eine solche Auslegung läßt sich weder mit konzernrechtlichen Grundsätzen vereinbaren, noch enthalten die Erwerbsverträge hierfür entsprechende Anhaltspunkte. Vielmehr sehen die Verträge jeweils ein ausdrückliches Gewinnbezugsrecht zugunsten der BVV AG vor. Da es mithin bereits an einer entsprechenden vertraglichen Verpflichtung fehlte, konnten schon aus diesem Grunde die Verurteilungen wegen Untreue keinen Bestand haben.

Der Senat hat auch – im Anschluß an frühere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – eine für den Untreuetatbestand nach § 266 StGB erforderliche Vermögensbetreuungspflicht der Angeklagten hinsichtlich der den Ostwerften gewährten Inve- stitionsbeihilfen verneint. Er hat jedoch das Verfahren an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen, weil geprüft werden muß, ob die Angeklagten sich unter dem Gesichtspunkt eines existenzgefährdenden Eingriffs wegen Untreue strafbar gemacht haben.

Alle Angeklagte waren als Organe der Muttergesellschaft (§ 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB) verpflichtet, den Tochtergesellschaften diejenigen Mittel zu belassen, die diese für die Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten benötigten. Insoweit traf sie eine den Untreuetatbestand begründende Vermögensbetreuungspflicht jedenfalls im Hinblick auf die im Gesamtkonzern angelegten Gelder. Der 5. Strafsenat knüpft dabei an das Urteil des II. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 17. September 2001 - II ZR 178/99 (PM Nr. 65/2001) an, das einen Teilkomplex des auch hier zu beurteilenden Sachverhalts betraf. In der neuen Hauptverhandlung wird deshalb zu prüfen sein, in welchem Umfang die Angeklagten wissentlich Gelder der Ostwerften in den Gesamtkonzern trotz dessen wirtschaftlicher Notlage überführt haben und ob die Angeklagten damit im Falle einer – dann später auch eingetretenen – Insolvenz der Konzernmutter den wirtschaftlichen Fortbestand der Ostwerften gefährdeten. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft hat der Senat wegen eines Wertungsfehlers zugleich den Strafausspruch aufgehoben, so daß in dem neuen Durchgang vor dem Landgericht die gegebenenfalls zu bildenden Strafen ohne Bindung an das Verschlechterungsverbot festgesetzt werden können.

Urteil vom 13. Mai 2004 – 5 StR 73/03

Karlsruhe, den 13. Mai 2004

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