Bundesgerichtshof
Mitteilung der Pressestelle

 

 

Nr. 60/2004

 

Bundesgerichtshof zur Strafbarkeit sadomasochistischer

Praktiken mit tödlichem Ausgang

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft hat der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs ein Urteil des Landgerichts Kassel, durch das der Angeklagte wegen fahrlässiger Tötung seiner Lebensgefährtin zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden war, aufgehoben und die Sache an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gegenstand der Revisionshauptverhandlung war insbesondere die Frage, ob sadomasochistisch motivierte Körperverletzungen gegen die guten Sitten verstoßen und daher trotz einer Einwilligung des Opfers rechtswidrig sind. Der Senat hat diese Frage für den Fall lebensgefährlicher Handlungen bejaht.

Nach den Feststellungen des Landgerichts zeigte die Lebensgefährtin des Angeklagten großes Interesse an der Ausübung besonderer sexueller Praktiken. Sie bevorzugte eine - bereits in der Vergangenheit mehrfach praktizierte - bestimmte Art der Fesselung, verbunden mit einem Drosselvorgang, der bei ihr sexuelle Erregung hervorrief. Am Tattag fesselte der Angeklagte seine Lebensgefährtin wiederum wie von ihr gewünscht. Nachdem sie seine mehrfach geäußerten Bedenken gegen die Art der Vorgehensweise zerstreut hatte, drückte er auf ihr Verlangen hin ein Metallrohr intervallartig mindestens drei Minuten lang auf ihren Hals und erzielte so die gewünschte Sauerstoffunterversorgung. Die massive Kompression der Halsgefäße führte bei der Lebensgefährtin zum Herzstillstand nach unterbundener Sauerstoffzufuhr zum Gehirn. Außerdem kam es bei ihr zu einer vom Angeklagten nicht gewollten massiven Verletzung des Kehlskeletts, welche allerdings nicht todesursächlich war. Der Angeklagte hielt einen tödlichen Verlauf der gewaltsamen Einwirkung auf den Hals seiner Lebensgefährtin für möglich, vertraute jedoch darauf, daß die Gefahr sich nicht verwirklichen werde.

Das Landgericht sah einen (bedingten) Tötungsvorsatz des Angeklagten nicht als erwiesen an und wertete die Tat als fahrlässige Tötung.

Eine Verurteilung wegen Körperverletzung mit Todesfolge lehnte es ab, da der Angeklagte die Kompression der Halsgefäße mit Einwilligung des Opfers vorgenommen habe und die Tat nicht sittenwidrig gewesen sei. Diese Wertung erwies sich als rechtsfehlerhaft.

Nach § 228 StGB handelt derjenige, der eine Körperverletzung mit Einwilligung der verletzten Person vornimmt, nur dann rechtswidrig, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt.

Der Senat hat entschieden, daß sadomasochistische Handlungen, die zu tatbestandsmäßigen Körperverletzungen führen, nicht bereits wegen ihrer sexuellen Motivation einen Verstoß gegen die guten Sitten darstellen. Frühere anderslautende Entscheidungen des Reichsgerichts sind infolge gewandelter allgemeiner Moralvorstellungen als überholt anzusehen. Maßgebend für das Sittenwidrigkeitsurteil im Bezug auf sadomasochistische Handlungen sind Grad und Gewicht der drohenden Rechtsgutsverletzung. Die Grenze zur Sittenwidrigkeit ist deshalb jedenfalls dann überschritten, wenn bei vorausschauender objektiver Betrachtung aller maßgeblichen Umstände der Einwilligende durch die Körperverletzungshandlung in konkrete Todesgefahr gebracht wird. In diesem Fall scheidet eine Rechtfertigung der Tat allein durch die Einwilligung des Verletzten aus. Ein solcher Fall lag angesichts des höchst gefährlichen Vorgehens des Angeklagten hier vor.

Die Revision des Angeklagten hat der Senat verworfen, da das Urteil keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil aufwies.

Urteil vom 26. Mai 2004 - 2 StR 505/03

Karlsruhe, den 26. Mai 2004

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