Bundesgerichtshof
Mitteilung der Pressestelle

 

 

Nr. 87/2004

 

II. Zivilsenat zur Frage der persönlichen Haftung der Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft für fehlerhafte Ad-hoc-Mitteilungen

 

Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte in drei Revisionsverfahren über die Frage der persönlichen Haftung von Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft für fehlerhafte Ad-hoc-Mitteilungen gegenüber Anlegern zu entscheiden, die geltend gemacht hatten, sie hätten im Vertrauen auf die Richtigkeit der Mitteilungen in - mittlerweile wertlos gewordene - Aktien der Gesellschaft investiert.

Die Klagen waren überwiegend in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben; soweit das Landgericht der Klage des Rechtsanwalts aus abgetretenem Recht eines Anlegers stattgegeben hatte, hat das Oberlandesgericht in der Berufungsinstanz das Urteil abgeändert und die Klage ebenfalls abgewiesen.

Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in allen drei Verfahren - insoweit in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht - Schadensersatzansprüche der Anleger gegen die beklagten Vorstandsmitglieder der Infomatec AG aus der Verletzung spezialrechtlicher Schutzgesetze i.S. des § 823 Abs. 2 BGB im Hinblick auf die fehlerhaften Ad-hoc-Mitteilungen verneint.

Die Veröffentlichung falscher Ad-hoc-Mitteilungen - in Kenntnis ihrer Unrichtigkeit - kann jedoch den allgemeinen Tatbestand der sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung i.S. des § 826 BGB erfüllen. Das Hauptproblem bei der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen aus § 826 BGB im Zusammenhang mit unrichtigen Ad-hoc-Mitteilungen besteht für den Anleger allerdings darin, daß der - grundsätzlich ihm obliegende - Beweis der Ursächlichkeit der unrichtigen Ad-hoc-Publizität für die von ihm getroffene Anlageentscheidung nur schwer zu führen ist. Die Anlageentscheidung eines potentiellen Aktienkäufers stellt einen durch vielfältige rationale und irrationale Faktoren, insbesondere teils spekulative Elemente beeinflußten, individuellen Willens-entschluß dar. Bei derartigen individuell geprägten Willensentschlüssen geht die höchstrichterliche Rechtsprechung davon aus, daß es grundsätzlich keinen Anscheinsbeweis für sicher bestimmbare Verhaltensweisen von Menschen in bestimmten Lebenslagen gibt. Auch die von der Rechtsprechung zur Prospekthaftung nach dem Börsengesetz alter Fassung entwickelten Grundsätze über einen Anscheinsbeweis bei Vorliegen einer sog. Anlagestimmung lassen sich nicht ohne weiteres auf die Deliktshaftung nach § 826 BGB im Hinblick auf fehlerhafte Ad-hoc-Mitteilungen übertragen. Eine Ad-hoc-Mitteilung ist - anders als ein Börsenzulassungsprospekt - in der Regel weder dazu bestimmt noch geeignet, über alle anlagerelevanten Umstände des Unternehmens vollständig zu informieren; vielmehr beschränkt sich der Informationsgehalt der Ad-hoc-Mitteilung im allgemeinen ausschnittartig auf wesentliche aktuelle, neue Tatsachen aus dem Unternehmensbereich. Zwar ist denkbar, daß sich im Einzelfall - je nach Tragweite der Information - aus positiven Signalen einer Ad-hoc-Mitteilung auch eine regelrechte Anlagestimmung für den Erwerb von Aktien entwickeln kann. Zur genauen Dauer einer solchen denkbaren Anlagestimmung lassen sich aber ebensowenig verläßliche, verallgemeinerungsfähige Erfahrungssätze aufstellen wie für den Bereich von Emissionsprospekten. Als gesichert kann allenfalls gelten, daß eine derartige Anlagestimmung nicht unbegrenzt ist und daß die Wirkung von positiven Informationen mit zeitlichem Abstand zur Veröffentlichung abnimmt. Auch die durch eine positive Ad-hoc-Mitteilung verursachte Anlagestimmung endet jedenfalls dann, wenn im Laufe der Zeit andere Faktoren für die Einschätzung des Wertpapiers bestimmend werden, etwa eine wesentliche Änderung des Börsenindex, der Konjunktureinschätzung oder aber neue Unternehmensdaten, wie z.B. ein neuer Jahresabschluß, ein Halbjahres- oder Quartalsbericht oder aber eine neue Ad-hoc-Mitteilung. Das reicht aber nach Ansicht des II. Zivilsenats angesichts der vielfältigen kursbeeinflussenden Faktoren des Kapitalmarkts einerseits und der Uneinheitlichkeit der individuellen Willensentscheidungen der einzelnen Marktteilnehmer andererseits nicht aus, um hinsichtlich der Dauer solcher Anlagestimmungen als Folge von Ad-hoc-Mitteilungen auf die Grundsätze des Anscheinsbeweises zurückzugreifen. Bei der Beurteilung, wie lange eine Anlagestimmung etwa von einer Ad-hoc-Mitteilung ausgehen kann, verbietet sich vielmehr jede schematische, an einen bestimmten, festen Zeitraum angelehnte Betrachtungsweise; einen solchen fe-sten Zeitraum könnte angesichts der tatsächlichen Unwägbarkeiten und der damit verbundenen Gefahr willkürlicher Entscheidungen allenfalls der Gesetzgeber allgemeinverbindlich festlegen.

Danach verbleibt es bei der allgemeinen Darlegungs- und Beweislast der Kläger für den von ihnen behaupteten Kausalzusammenhang zwischen fehlerhaften Ad-hoc-Mitteilungen und ihren individuellen Kaufentschlüssen im jeweiligen - tatrichterlich zu beurteilenden - Einzelfall. Gelingt einem Anleger ein solcher Kausalitätsnachweis, wobei ihm im Einzelfall eine große zeitliche Nähe seines Aktienerwerbs zu der falschen Ad-hoc-Mitteilung als Beweiserleichterung zugute kommen kann, so kann er - bei Vorliegen auch der subjektiven Voraussetzungen der sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung - grundsätzlich verlangen, im Wege der Naturalrestitution so gestellt zu werden, wie er stehen würde, wenn die für die Veröffentlichung Verantwortlichen ihrer Pflicht zur wahrheitsgemäßen Mitteilung nachgekommen wären. Hätte er in einem solchen Fall die Aktien nicht gekauft, kann er Erstattung des gezahlten Kaufpreises gegen Übertragung der erworbenen Aktien verlangen.

Ausgehend von dieser Grundsituation ist der II. Zivilsenat in den drei ihm zur Entscheidung unterbreiteten Fällen zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangt: Die Revision des aus abgetretenem Recht klagenden Rechtsanwalts in der Sache II ZR 402/02 führte, nachdem ihm bereits in den Vorinstanzen der Kausalitätsnachweis gelungen war, zur Wiederherstellung der seiner Klage stattgebenden landgerichtlichen Entscheidung, während in der Sache II ZR 218/03 die infolge des fehlenden Kausalitätsnachweises in den Vorinstanzen erfolgte Klageabweisung im Revisionsverfahren bestätigt wurde. Die Sache II ZR 217/03 wurde hingegen zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen, weil es zur Kausalitätsfrage keine Feststellungen getroffen hatte und seine weiteren Erwägungen zum Fehlen eines Schadens und der subjektiven Voraussetzungen der sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung i.S. des

§ 826 BGB rechtsfehlerhaft waren.

Urteile vom 19. Juli 2004 - II ZR 217/03, II ZR 218/03, II ZR 402/02

Karlsruhe, den 19. Juli 2004

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