Bundesgerichtshof
Mitteilung der Pressestelle

 

 

Nr. 95/2003

 

Bundesgerichtshof entscheidet über den Verlust des Rechtes zur Minderung der Wohnungsmiete nach neuem Mietrecht

Der u.a. für das Wohnungsmietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hatte über die Frage zu entscheiden, ob ein Mieter das Recht, die Miete wegen eines Mangels der Wohnung zu mindern, verliert, wenn er die Miete über einen längeren Zeitraum ungekürzt und vorbehaltlos weiterzahlt. In dem dem Senat vorliegenden Fall hatte der Mieter wegen einer von der Nachbarwohnung ausgehenden Lärmbelästigung seit September 1999 die Miete monatlich um 69,90 DM gemindert. Die Vermieterin war der Auffassung, der Mieter habe das Recht zur Minderung der Miete verloren, weil er erst etwa zwei Jahre nach Beginn der Störung erstmals diesen Zustand gerügt hatte. Mit ihrer Klage hat sie die bis einschließlich September 2001 aufgelaufenen Mietrückstände geltend gemacht.

Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, die auf eine Entscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahre 1936 zurückging und bei den Instanzgerichten einhellige Zustimmung gefunden hatte, verlor der Mieter in einem solchen Fall auf Dauer das Recht zur Minderung der Miete. Allerdings war diese Fallgestaltung in den mietrechtlichen Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches nicht geregelt; die Rechtsprechung ging deshalb davon aus, daß das Gesetz insofern eine Lücke aufweise, die durch die entsprechende Anwendung des § 539 BGB in der bis zum 31. August 2001 geltenden Fassung zu schließen sei. Nach jener Vorschrift konnte der Mieter die Miete nicht wegen eines von Anfang an vorhandenen Mangels der Mietsache herabsetzen, wenn ihm der Mangel bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt war. Der dieser Bestimmung zugrundeliegende Gedanke war nach Ansicht des Bundesgerichtshofes auch für die Minderung wegen eines nachträglich aufgetretenen oder bekannt gewordenen Mangels sinngemäß heranzuziehen.

Der im August 2000 beschlossene Regierungsentwurf zur Reform des Mietrechts hat in der Begründung zu § 536b BGB n.F., der von geringen sprachlichen Anpassungen abgesehen im wesentlichen unverändert an die Stelle des § 539 BGB a.F. treten sollte, in bewußter Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung ausgeführt, daß in den Fällen, in denen ein Mangel - wie in dem jetzt vom Bundesgerichtshof entschiedenen Sachverhalt - erst im Laufe des Mietverhältnisses entsteht, grundsätzlich nur noch § 536c BGB n.F., der dem früheren § 545 BGB entspricht, anzuwenden ist. Danach ist der Mieter nur dann und solange an der Minderung der Miete gehindert, als er den Mangel dem Vermieter nicht anzeigt. Die der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zugrundeliegende Analogie zu § 539 BGB a.F. - jetzt § 536b BGB - sollte nach der Vorstellung des Regierungsentwurfs damit für die Zukunft erkennbar ausgeschlossen sein.

Der Bundesgerichtshof hat nunmehr entschieden, daß es auch bei laufenden Mietverhältnissen für die Zeit bis zum Inkrafttreten des neuen Mietrechts am 1. September 2001 bei der bisherigen Rechtslage verbleibt. Das bedeutet, daß die analog § 539 BGB a.F. bis zu diesem Zeitpunkt erloschenen Minderungsrechte nicht wieder aufleben. Die zum Mietrechtsreformgesetz ergangene Übergangsbestimmung des Art. 229 § 3 EGBGB läßt den Willen des Gesetzgebers erkennen, aus dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes die vor dem 1. September 2001 abgeschlossenen Sachverhalte, d.h. die bis dahin entstandenen monatlichen Mietansprüche, von dem neuen Recht unberührt zu lassen.

Für die ab dem 1. September 2001 fällig werdenden Mieten gilt dies jedoch nicht. Insoweit ist das neue Mietrecht ohne Einschränkung maßgebend. Bei der Beurteilung der Frage, ob der an die Stelle des § 539 BGB a.F. getretene § 536b BGB auf Fälle eines nachträglich aufgetretenen oder bekannt gewordenen Mangels analog anzuwenden ist, ist die in dem Regierungsentwurf enthaltene, im weiteren Gesetzgebungsverfahren nicht in Frage gestellte Begründung zu den §§ 536b, 536c BGB zu berücksichtigen. Danach ist die Annahme einer sogenannten planwidrigen Regelungslücke, die stets Voraussetzung für eine Analogie ist, ausgeschlossen. Vielmehr ist davon auszugehen, daß sich der parlamentarische Gesetzgeber nicht nur die - unverändert belassenen - Vorschriften des Regierungsentwurfs, sondern auch die dazu gegebenen Begründungen zu eigen gemacht hat. Hat der Gesetzgeber aber - wie hier - in Kenntnis der entgegenstehenden bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung eine Regelungslücke verneint und die neuen Vorschriften - ggf. korrigiert durch die Generalklausel von Treu und Glauben (§ 242 BGB) und das Bereicherungsrecht (§ 814 BGB) - ausdrücklich als ausreichend bezeichnet, bleibt für die Annahme einer planwidrigen Regelungslücke kein Raum mehr.

Im vorliegenden Fall kann dem Mieter daher entgegen der Auffassung der Vorinstanzen sein Recht zur Minderung der Miete für die Zeit ab 1. September 2001 nicht durch eine analoge Anwendung des § 536b BGB abgesprochen werden. Daß er die Lärmbelästigung erstmals mehr als zwei Jahre nach ihrem Beginn gegenüber der Vermieterin gerügt hat, kann aber dazu führen, daß er das Minderungsrecht durch (stillschweigenden) Verzicht oder durch Verwirkung verloren hat. Der Bundesgerichtshof hat deshalb auf die Revision des beklagten Mieters das Urteil des Oberlandesgerichts aufgehoben, soweit es die Mietminderung für den Monat September 2001 betrifft, und hat die Sache insoweit zur Prüfung dieser und der weiteren Frage, ob und in welchem Umfang eine zur Minderung berechtigende Lärmbelästigung vorgelegen hat, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Im übrigen - hinsichtlich der Mietrückstände aus der Zeit vor dem 1. September 2001 - hat er die Revision zurückgewiesen.

 

Urteil vom 16. Juli 2003 - VIII ZR 274/02

Karlsruhe, den 16. Juli 2003

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