Bundesgerichtshof
Nr. 62/2003
Freispruch eines Hamburger Zivildienstleistenden aufgehoben
Das Landgericht Hamburg hatte den Angeklagten von dem Vorwurf freigesprochen, einen von ihm im Rahmen seines Zivildienstes betreuten Schwerstbehinderten vorsätzlich getötet zu haben. Nach den Feststellungen des Landgerichts war dem Angeklagten übergangsweise die Tagesbetreuung eines in einem Wohnheim lebenden 28-jährigen Schwerstbehinderten übertragen. Dieser litt an stark ausgeprägter progressiver Muskeldystrophie, war infolge seiner Krankheit nahezu vollständig bewegungsunfähig und in seiner Atmungskapazität stark eingeschränkt; in intellektueller Hinsicht war er jedoch nicht beeinträchtigt. In den Mittagsstunden des 22. Februar 2001 bat er den Angeklagten – ähnliche extreme Vorstellungen hatte er schon Dritten gegenüber geäußert –, in zwei Müllsäcke verpackt und in einen Müllcontainer gelegt zu werden. Auf mehrfaches Nachfragen versicherte ihm der Schwerstbehinderte, es sei dafür Vorsorge getroffen worden, daß andere ihn wieder aus dem Container herausholen würden. Der Angeklagte erklärte sich schließlich zur Mitwirkung bereit. Er verpackte den Patienten nackt in Mülltüten mit einer Öffnung für den Kopf, verklebte fast vollständig dessen Mund und legte ihn bei Temperaturen um den Gefrierpunkt in einen Müllcontainer der Pflegeeinrichtung. Der Angeklagte verließ das Heim im Glauben an die Zusicherung des Schwerstbehinderten, er werde am Nachmittag aus dem Behälter geborgen, was jedoch nicht geschah. Der Patient starb vielmehr infolge Erstickung. Der Leichnam wurde erst am nächsten Tag gefunden. Obwohl der Angeklagte eigenhändig die zum Tode führende Gefährdungshandlung vollzogen habe, liege – so das Landgericht – nach den anzuwendenden Grundsätzen einer Risikoübernahme keine strafbare Tötungshandlung vor. Die dagegen gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft hatte Erfolg. Der 5. (Leipziger) Strafsenat des Bundesgerichtshofs folgte in seinem Urteil vom heutigen Tage der Wertung des Landgerichts nicht. Vielmehr begründe eine eigenhändige Vornahme der zum Tode führenden Handlung grundsätzlich – und auch hier – die Tatherrschaft. Dies schließe eine bloße Förderung einer Selbstgefährdung und damit eine straflose Teilnahme an einem Suizid aus. Zwar habe der Schwerstbehinderte den Angeklagten darüber getäuscht, daß gleiche Gefährdungen bereits folgenlos praktiziert worden seien und auch diesmal für Rettung gesorgt sei. Diese Täuschungen würden aber nicht die konkreten Umstände der extrem lebensgefährdenden, vom Angeklagten bewußt vorgenommenen Handlungen betreffen und könnten deshalb ein seine Täterschaft in Frage stellendes Handeln als ein durch Täuschung des Suizidenten gelenktes Werkzeug nicht begründen. Auch die tragischen Lebensumstände des Schwerstbehinderten, die es ihm weitgehend versagt hätten, ohne strafrechtliche Verwicklung Dritter aus dem Leben zu scheiden, könnten – auch unter Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Wertungen – die Straflosigkeit nicht begründen. Der Angeklagte habe insbesondere nicht in einer Konfliktsituation eines den Sterbewillen seines Patienten respektierenden Arztes oder unter den Voraussetzungen einer indirekten Sterbehilfe straflos gehandelt. Nach Zurückverweisung wird eine andere Jugendkammer des Landgerichts Hamburg über den Fall erneut befinden. Urteil vom 20. Mai 2003 - 5 StR 66/03 Karlsruhe, den 20. Mai 2003 Pressestelle des Bundesgerichtshofs 76125 Karlsruhe Telefon (0721) 159-422 Telefax (0721) 159-831 |
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