Bundesgerichtshof
Mitteilung der Pressestelle

 

 

Nr. 39/2003

 

Bundesgerichtshof zum Deckungsschutz in der Rechtsschutz-versicherung für die Schadensersatzklage eines

Rauchers gegen Zigarettenhersteller

 

Der Kläger unterhält bei der Beklagten seit dem 1. Dezember 1983 eine Rechtsschutzversicherung, die Familien- und Verkehrs-Rechtsschutz umfaßt. Dem Vertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 75) zugrunde.

Der Kläger begehrt Rechtsschutz für eine Klage auf Schadensersatz gegen einen Zigarettenhersteller. Seit 1964 raucht der Kläger, und zwar ausschließlich Zigaretten einer von diesem Hersteller produzierten Marke. Im Jahr 1993 erlitt er einen Herzinfarkt. Danach mußte er mehrere operative Eingriffe vornehmen lassen, unter anderem eine Bypass-Operation im März 1999.

Mit der beabsichtigten Klage gegen den Zigarettenhersteller sollen Ansprüche aus § 823 BGB und nach dem Produkthaftungsgesetz geltend gemacht werden. Der Kläger lastet dem Hersteller an, keine Warnhinweise auf seinen Produkten angebracht zu haben, obwohl ihm aufgrund von Forschungsergebnissen eines amerikanischen Tabakkonzerns aus dem Jahr 1983 seit 1984 bekannt gewesen sei, daß beim Rauchen der suchterregende Wirkstoff Acetaldehyd freigesetzt werde. Außerdem seien dem Zigarettentabak seit 1984 Ammoniak und andere Zusatzstoffe beigemischt worden, um dadurch die Suchterzeugung zu verstärken und eine Suchtverhaftung auszulösen.

Die Beklagte hat die erbetene Kostenzusage für die erste Instanz im beabsichtigten Schadensersatzprozeß gegen den Zigarettenhersteller abgelehnt, weil das den Versicherungsfall im Sinne von § 14 Abs. 1 Satz 1 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen für Rechtsschutzversicherungen (ARB 75) darstellende Schadenereignis schon vor Beginn des Rechtsschutzversicherungsvertrages eingetreten sei. Die Beklagte sieht als Schadensereignis die Nikotinsucht des Klägers an, die bereits seit 1975 bestanden habe. Im Deckungsprozeß hat sie ihre Ablehnung auch auf fehlende Erfolgsaussicht der beabsichtigten Klage gestützt. Das Oberlandesgericht Celle (VersR 2002, 91) hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger Rechtsschutz zu gewähren.

Der Bundesgerichtshof hat die Revision des beklagten Rechtsschutzversicherers zurückgewiesen, weil der Versicherungsfall erst nach Vertragsbeginn eingetreten ist und sich der Versicherer nicht mehr auf fehlende Erfolgsaussicht der beabsichtigten Klage gegen den Zigarettenhersteller berufen kann. Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 ARB 75 gilt bei Schadensersatzansprüchen aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen als Versicherungsfall der Eintritt des dem Anspruch zugrunde liegenden Schadensereignisses. Als ein solches Ereignis kommt nicht eine mögliche Selbstschädigung durch das Rauchen, sondern nur das behauptete schadensstiftende Verhalten des Schädigers in Betracht, auf das der Anspruch gestützt wird. Das sind hier die Vorwürfe gegen den Zigarettenhersteller, seit 1984 pflichtwidrig Warnhinweise unterlassen und dem Tabak suchtfördernde Stoffe beigemischt zu haben. Fehlende Erfolgsaussicht der Klage gegen den Zigarettenhersteller kann dem Anspruch auf Rechtsschutz nicht mehr entgegengehalten werden, weil die Beklagte diesen Ablehnungsgrund dem Kläger entgegen § 17 Abs. 1 Satz 2 ARB 75 nicht unverzüglich schriftlich mitgeteilt hatte. Die Erfolgsaussicht dieser Klage war deshalb nicht zu prüfen.

Urteil vom 19. März 2003 - IV ZR 139/01 

Karlsruhe, den 19. März 2003

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