Bundesgerichtshof
Mitteilung der Pressestelle

 

 

Nr. 62/2002

Bundesgerichthof entscheidet über Schadensersatz bei Verletzung des Umgangsrechts des nicht sorgeberechtigten Elternteils

Der für das Familienrecht zuständige XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in einem heute verkündeten Urteil entschieden, daß ein sorgeberechtigter Elternteil dem anderen Elternteil schadenersatzpflichtig werden kann, wenn er diesem die Wahrnehmung seines Umgangsrechts mit dem gemeinsamen Kind nicht in der vom Gericht vorgesehenen Weise ermöglicht und dem anderen Elternteil daraus Mehraufwendungen entstehen.

Die Parteien sind geschiedene Eheleute. Das Familiengesicht hatte der Mutter die Sorge für das gemeinsame Kind übertragen und in einem gesonderten Verfahren das Umgangsrecht des Vaters geregelt. Danach sollte das Kind u. a. den Vater an bestimmten Wochenenden an dessen Wohnsitz in Berlin besuchen. Zu diesem Zweck sollte die Mutter das Kind zum Flughafen bringen, von wo es – mit einem Begleitservice - nach Berlin fliegen sollte. Die Mutter hatte gegen diese Regelung Beschwerde eingelegt und es abgelehnt, das Kind nach Berlin fliegen zu lassen. Der Vater hat daraufhin das Kind jeweils mit dem Auto am Wohnsitz der Mutter abgeholt und ist mit ihm nach Berlin gefahren. Er verlangt von der Mutter Ersatz der Mehrkosten, die ihm aus dem nutzlosen Erwerb von Flugtickets sowie aus seinen zusätzlichen Autofahrten entstanden sind.

Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs besteht zwischen dem umgangsberechtigten und dem zur Gewährung des Umgangs verpflichteten Elternteil ein gesetzliches Rechtsverhältnis eigener Art. Da die mit der Ausübung des Umgangsrechts verbundenen Kosten grundsätzlich vom Umgangsberechtigten zu tragen sind, umfaßt dieses gesetzliche Rechtsverhältnis auch die – im wohlverstandenen Interesse des Kindes liegende - Pflicht, bei der Gewährung des Umgangs auf die Vermögensbelange des Umgangsberechtigten Rücksicht zu nehmen und diesem die Wahrnehmung seines Umgangsrechts nicht durch die Auferlegung unnötiger Vermögensopfer zu erschweren.

Diese Pflicht kann nach der Entscheidung verletzt sein, wenn das Umgangsrecht des eines Elternteils durch eine wirksame Entscheidung des Familiengerichts konkretisiert worden ist und der andere, zur Gewährung des Umgangs verpflichtete Elternteil sich der Wahrnehmung des so konkretisierten Umgangsrechts verweigert. Ob aus der Sicht des zur Umgangsgewährung verpflichteten Elternteils beachtliche Gründe des Kindeswohls gegen die familiengerichtliche Regelung sprechen, ist ohne Belang; denn die ordnende Wirkung dieser Regelung wäre obsolet, könnte jeder Elternteil seine eigene Bewertung des Kindswohls an die Stelle der gerichtlichen Würdigung setzen.

Soweit ein Elternteil die gerichtliche Einschätzung der Belange des Kindeswohls durch das Familiengericht nicht teilt, hat er die Möglichkeit, dem im Wege der Beschwerde Geltung zu verschaffen. Seine Beschwerde hindert indessen die fortgeltende Verbindlichkeit der familiengerichtlichen Entscheidung nicht; sie erlaubt insbesondere nicht, der familiengerichtlichen Regelung in der Hoffnung auf den Erfolg der Beschwerde nicht nachzukommen. Das gilt auch dann, wenn – wie im vorliegenden Fall – das Beschwerdegericht später für die Zukunft eine abweichende Umgangsregelung trifft. Das Beschwerdegericht hat in solchen Fällen die Möglichkeit, durch einstweilige Anordnung die Vollziehung der familiengerichtlichen Entscheidung auszusetzen oder diese durch eine eigene vorläufige Regelung zu modifizieren. Auch kann der zur Gewährung des Umgangs verpflichtete Elternteil bei dem Familiengericht selbst eine Änderung der Umgangsregelung – in dringlichen Fällen im Wege der einstweiligen oder vorläufigen Anordnung - beantragen. Beide Möglichkeiten schließen zwar nicht generell die Befugnis aus, zwingenden Belangen des Kindeswohls auch ohne vorherige familiengerichtliche Gestattung durch einseitige Maßnahmen Rechnung zu tragen. Für eine solche Befugnis ist jedoch regelmäßig nur insoweit Raum, als eine rechtzeitige erneute Befassung des Familiengerichts nicht möglich ist und die für eine Abweichung von der gerichtlichen Reglung geltend gemachten Belange erst nach der familiengerichtlichen Regelung aufgetreten oder erkennbar geworden, jedenfalls aber vom Familiengericht bei seiner Würdigung des Kindeswohls ersichtlich nicht bedacht worden sind.

Urteil vom 19. Juni 2002 - XII ZR 173/00

Karlsruhe, den 19. Juni 2002

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