Bundesgerichtshof
Mitteilung der Pressestelle

 

 

Nr. 25/2002

Bundesgerichtshof zur Vereinbarkeit der Singularzulassung
der Rechtsanwälte beim Bundesgerichtshof in Zivilsachen (§ 171 BRAO) mit dem Grundgesetz

Der Senat für Anwaltssachen des Bundesgerichtshofs hatte über den Antrag eines Rechtsanwalts zu befinden, der beim Oberlandesgericht Hamm zugelassen ist und gleichzeitig bei dem Bundesgerichtshof in Zivilsachen zugelassen werden möchte. Der Rechtsanwalt wendet sich gegen den ablehnenden Bescheid des Bundesministeriums der Justiz und vertritt die Ansicht, das in der Bundesrechtsanwaltsordnung vorgesehene Zulassungsverfahren, insbesondere die in § 171 BRAO vorgeschriebene Ausschließlichkeit der Zulassung beim Bundesgerichtshof, sei mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) nicht zu vereinbaren. Der Antragsteller hat sich insbesondere darauf berufen, daß grundsätzlich jeder Rechtsanwalt bei allen obersten Bundesgerichten sowie dem Bundesverfassungsgericht auftreten könne.

Dieser Argumentation ist der Senat für Anwaltssachen des Bundesgerichtshofs nicht gefolgt. Nach seiner Auffassung enthält die gesetzliche Bestimmung über die Singularzulassung der Rechtsanwälte beim Bundesgerichtshof eine mit der Verfassung vereinbare Regelung der Berufsausübung.

Die Vorschrift des § 171 BRAO ist durch Gründe des gemeinen Wohls gerechtfertigt; denn sie dient in besonderem Maße einer sachgerechten Wahrnehmung der Interessen des rechtsuchenden Publikums. Sie stellt sicher, daß die Sache durch einen mit dem erforderlichen rechtlichen Spezialwissen ausgestatteten Rechtsanwalt nach den von tatrichterlicher Beurteilung stark abweichenden Kriterien des Revisionsrechts geprüft wird. Gleichzeitig hat die Singularzulassung dazu geführt, daß der Bundesgerichtshof in wesentlichem Umfang von der Bearbeitung aussichtsloser Rechtsmittel entlastet wurde und daß dem betroffenen Bürger überflüssige Kosten erspart blieben. Die Singularzulassung hat ferner dazu beigetragen, den durch die Vereinigung Deutschlands angestiegenen Geschäftsanfall ohne eine Vermehrung der Zivilsenate zu bewältigen.

Eine von der Bundesregierung eingesetzte Sachverständigenkommission hat zudem eingehend überprüft, ob es gerechtfertigt ist, die Singularzulassung der Rechtsanwälte beim Bundesgerichtshof in Zivilsachen aufrechtzuerhalten. Die Kommission kam in ihrem 1998 erstellten Bericht einstimmig zu dem Ergebnis, von einer Aufhebung der Singularzulassung sei abzuraten. Im Gegenteil sei auch bei den übrigen obersten Bundesgerichten infolge der dort aufgetretenen Mängel der Prozeßvertretung eine besondere Anwaltschaft wünschenswert. Dies hat den Gesetzgeber veranlaßt, an der beim obersten deutschen Gericht in Zivilsachen seit 1878 geltenden Singularzulassung festzuhalten. Das Verbot der Simultanzulassung beim Bundesgerichtshof in Zivilsachen beruht somit zugleich auf sachlich vertretbaren Gründen im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG.

Mit der Frage, ob auch das Auswahlverfahren für die Zulassung beim Bundesgerichtshof nach den §§ 166 ff. BRAO verfassungsrechtlicher Prüfung standhält, brauchte der Senat für Anwaltssachen sich nicht zu befassen, weil der Antragsteller keine Singularzulassung, sondern ausschließlich eine Simultanzulassung erstrebt.

Beschluß vom 4. März 2002 - AnwZ 1/01

Karlsruhe, den 5. März 2002

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