Bundesgerichtshof
Mitteilung der Pressestelle

 

 

Nr. 10/2002

Kieler Modell der Frauen- und Jugendnachtfahrten nicht

kartellrechtswidrig

Im Umland von Kiel gibt es seit mehreren Jahren ein von einer Reihe von Kommunen eingerichtetes Projekt "Jugend- und Frauennachtfahrten". Es verfolgt das Ziel, JugendIiche und Frauen angst-, gewaltfrei und vor allem sicher am Wochenende nachts von Kiel in die jeweiligen Heimatgemeinden zurückzubringen. Berechtigte Personen werden mit Taxen oder Mietwagen befördert, wobei die Beförderungsunternehmen - unter Verzicht auf die ihnen an sich nach dem Personenbeförderungsgesetz (PBefG) eröffneten Möglichkeiten freier Preisvereinbarung - einerseits feste Tarife zugrunde legen, von den Kommunen andererseits einen personenbezogenen pauschalen Zuschuß für jede Beförderung erhalten.

In einer Reihe von Fällen haben deswegen Gemeinden mit einer Arbeitsgemeinschaft (ARGE) für Frauennachtfahrten Verträge geschlossen, nach denen die in ihr zusammengeschlossenen Unternehmen sich verpflichten, berechtigte Personen, die einen entsprechenden Schein besitzen, zu dem für das Kieler Stadtgebiet geltenden Tarif bzw. zu "ortsüblichen Preisen" nach Hause zu befördern, von dem Fahrgast aber nur dessen Eigenanteil - das ist der um den Zuschuß verminderte Tarifpreis - zu kassieren und den Berechtigungsschein über das ARGE-Unternehmen mit der Kommune abrechnen zu lassen. Dieser ARGE gehören auch die Parteien an. Die klagende GmbH organisiert Beförderungen mit insgesamt 92 Mietwagen, die größtenteils nicht von ihr selbst, sondern von ihr angeschlossenen freien Unternehmern vorgehalten werden; in der beklagten Taxigenossenschaft sind die meisten Kieler Taxiunternehmer - sie betreiben 160 von rund 230 Kieler Taxen - zusammengeschlossen.

Auch die Gemeinde Schinkel wollte ein ähnliches Projekt starten und nahm Verhandlungen mit der ARGE auf, die zu keinem Ergebnis führten. Der Beklagten - ebenso anderen Taxigenossenschaften oder Mietwagengesellschaften - hat Schinkel den Abschluß eines entsprechenden Vertrages angeboten. Die Klägerin hat dies zum Anlaß genommen, von der Beklagten die Abgabe einer Unterlassungserklärung zu fordern. Sie vertritt die Auffassung, der in Aussicht genommene Vertrag sei kartellrechtswidrig, weil er darauf abziele, für Fahrten im nicht tarifgebundenen Außenbereich der Landeshauptstadt Kiel feste Preise zu vereinbaren und diese Abreden auch bei ihren Mitgliedern durchzusetzen (Verstoß gegen das sog. "EmpfehIungsverbot"). Ihre Klage hatte vor dem Landgericht Kiel und dem Oberlandesgericht Schleswig keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs ist der Auffassung der beiden Tatsachengerichte gefolgt: Zwar enthält der Vertrag(sentwurf) Empfehlungen an die der Beklagten angeschlossenen Taxigenossen, diese sind jedoch nicht auf eine Umgehung des Kartellverbots (§ 1 GWB) gerichtet. Der vorgesehene Vertrag beschränkt nämlich nicht den Wettbewerb für Beförderungsleistungen in dem Marktsegment der Jugend- und Frauennachtfahrten, sondern schafft überhaupt erst einen solchen Markt: Nur das arbeitsteilige Zusammenwirken einer Taxigenossenschaft oder eines vergleichbaren Zusammenschlusses von Mietwagenbetrieben mit dem Angebot, die Beförderungen zu festen Tarifen durchzuführen, bei gleichzeitiger Subventionierung des Preises durch die Gemeinden kann überhaupt die betroffenen Personenkreise dazu bewegen, diese Form der Beförderung zu wählen. Denn einerseits sind die normalen Beförderungspreise für die Betroffenen regelmäßig zu teuer. Das Ziel, eine sichere Heimkehr zu gewährleisten, kann andererseits nur erreicht werden, wenn einem Beförderungswunsch umgehend entsprochen wird; dazu bedarf es eines größeren, zentral gelenkten Wagenparks. Dieser von dem Kartellsenat herangezogene, früher für Bietergemeinschaften mehrerer Bauunternehmen entwickelte Arbeitgemeinschaftsgedanke beansprucht Geltung auch für die hier zu beurteilende Organisation von Jugendnachtfahrten: Wenn eine am Markt nachgefragte Leistung nur arbeitsteilig und unter Bündelung der Leistungskraft mehrerer Unternehmen bei gleichzeitiger Koordinierung ihres Auftretens erbracht werden kann, ist das Kartellverbot nicht verletzt.

Urteil vom 5. Februar 2002 - KZR 3/01

Karlsruhe, den 5. Februar 2002

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