Bundesgerichtshof
Mitteilung der Pressestelle

 

 

Nr. 11/2001

 

Deutsche Gerichte neben der Verfolgung von Völkermord auch für die Verfolgung anderer Greueltaten während der "ethnischen Säuberungen" in Bosnien-Herzegowina zuständig.

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hatte sich erstmals mit der Rechtsfrage zu befassen, ob nicht nur Völkermord, sondern auch Körperverletzungsdelikte und Freiheitsberaubungen von deutschen Gerichten abgeurteilt werden können, die von Serben während der sog. ethnischen Säuberungen in Bosnien-Herzegowina im Jahre 1992 an muslimischen Zivilisten begangen wurden. Er hat dies im Ergebnis bejaht.

Dem lag ein Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 29. November 1999 zugrunde, durch das gegen den Angeklagten, einen bosnischen Serben aus der Ortsgemeinschaft Osmaci, wegen Beihilfe zum Völkermord in Tateinheit mit Beihilfe zur Freiheitsberaubung in 56 Fällen und mit gefährlicher Körperverletzung in fünf Fällen eine Freiheitsstrafe von neun Jahren verhängt worden ist.

Nach den Feststellungen beteiligte sich der Angeklagte an einer in seinem Heimatort Osmaci und dessen Umgebung am 27. und 28. Mai 1992 durchgeführten militärischen serbischen Aktion gegen die dort lebende muslimische Bevölkerung, die darauf gerichtet war, diese systematisch zu vertreiben oder zu eliminieren. Dabei wurden die Häuser der Muslime durchsucht und geplündert, die Frauen und Kinder überwiegend verschleppt und an der Grenze ausgesetzt, die männlichen muslimischen Bewohner körperlich schwer mißhandelt oder getötet und die Mehrzahl der Männer festgenommen und in Gefangenenlager abtransportiert. Diese Aktion in Osmaci war Teil der von der politischen Führung der bosnischen Serben betriebenen Aggressionspolitik zur ethnisch-kulturellen Vereinheitlichung der von den Serben in Bosnien-Herzegowina beanspruchten Gebiete. Zu diesem Zweck gingen ab April 1992 die von der jugoslawischen Volksarmee (JNA) unterstützte bosnisch-serbische Armee und paramilitärische Gruppen in Abstimmung mit der politischen und militärischen Führung der bosnischen Serben etwa gleichzeitig in verschiedenen Orten an der Nord- und Ostgrenze Bosniens gegen die dort lebende muslimische Bevölkerung vor. Der Angeklagte, der diese Ziele kannte und billigte, beteiligte sich an der Militäraktion zur Verhaftung und Vertreibung der muslimischen Bevölkerung in Osmaci in der Weise, daß er die Verladung und den Abtransport der Bewohner eines Dorfes persönlich überwachte, eigenhändig und unter Mitwirkung weiterer Serben muslimische Männer verfolgte, festnahm und den Führern des bosnischen Militärs übergab und fünf Gefangene selbst körperlich auf das Schwerste mißhandelte. Außerdem gehörte er zu dem Bewachungspersonal des Gebäudes, in dem die Gefangenen über Nacht festgehalten und verhört wurden und schwersten körperlichen Mißhandlungen ausgesetzt waren. Von dort wurden sie, soweit sie nicht zur Exekution ausgesondert worden waren, mit Bussen in Internierungslager transportiert. Den Abtransport von 56 namentlich festgestellten Männern überwachte der Angeklagte persönlich zusammen mit anderen Serben und achtete darauf, daß keiner der Muslime dem von Serben gebildeten Spalier entschlüpfen konnte, durch das die Gefangenen unter Schlägen und Tritten zu den zum Abtransport bereitstehenden Bussen getrieben wurden.

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat die Revision des Angeklagten verworfen, weil das Oberlandesgericht, auch soweit es den Angeklagten neben Beihilfe zum Völkermord wegen Beihilfe zur Freiheitsberaubung und täterschaftlicher Körperverletzung zum Nachteil einzelner muslimischer Zivilisten verurteilt hat, zu Recht von der Zuständigkeit der deutschen Gerichte ausgegangen ist. Diese Straftatbestände schützen die Individualrechtsgüter körperliche Integrität und Freiheit der einzelnen Tatopfer und werden deshalb vom Tatbestand des Völkermordes des § 220 a StGB nicht erfaßt. Dieser dient nicht dem Schutz der Rechtsgüter des einzelnen Menschen, sondern ist auf den Schutz religiöser, nationaler, rassischer oder durch ihr Volkstum bestimmter Gruppen als solcher vor völliger oder wenigstens teilweiser Zerstörung gerichtet. Der deutschen Gerichtsbarkeit ist der Zugriff auf die vom Angeklagten begangenen Körperverletzungs- und Freiheitsberaubungsdelikte aber deshalb gestattet, weil sie gegen Vorschriften der IV. Genfer Konvention vom 12. August 1949 zum Schutz der Zivilbevölkerung in Kriegszeiten verstoßen. Diese Konvention verbietet neben der vorsätzlichen Tötung u.a. die Folterung oder unmenschliche Behandlung von Zivilpersonen ebenso wie rechtswidrige Verschleppung oder Gefangenhaltung und verpflichtet die Vertragsstaaten - zu denen auch die Bundesrepublik Deutschland, Restjugoslawien und Bosnien-Herzegowina gehören - entsprechende Verstöße strafrechtlich zu verfolgen, jedenfalls wenn sie im Rahmen eines internationalen Konflikts begangen wurden. Diese Verpflichtung gilt nach dem Weltrechtsprinzip des § 6 Nr. 9 StGB für die Bundesrepublik Deutschland für die Verfolgung von Straftaten, die Ausländer im Ausland an Ausländern begangen haben, wenn im übrigen die Voraussetzungen der IV. Genfer Konvention erfüllt sind. Dies hat das Oberlandesgericht rechtsfehlerfrei angenommen und insbesondere auch die schweren körperlichen Mißhandlungen von fünf muslimischen Männern durch den Angeklagten als schwere Verstöße gegen die Konvention gewertet, da sie unter den Begriff der Folter fallen, zumindest aber die Voraussetzungen einer unmenschlichen Behandlung erfüllen.

Die weitere Rechtsfrage, ob es bei einer auf Völkervertrag beruhenden Verfolgungspflicht der Bundesrepublik Deutschland noch auf einen zusätzlichen "Inlandsbezug" in der Person des Angeklagten oder der Straftaten ankommt, hat der Bundesgerichtshof offengelassen. Das Oberlandesgericht hat solche, die Ausübung der deutschen Strafgerichtsbarkeit legitimierenden zusätzlichen Anknüpfungspunkte noch für erforderlich gehalten, es hat sie rechtsfehlerfrei in dem langjährigen Aufenthalt des Angeklagten in der Bundesrepublik Deutschland und dem Umstand gesehen, daß er noch vor seiner Verhaftung 1996 in Deutschland arbeitslos gemeldet war und eine Rente bezog.

Urteil vom 21. Februar 2001 - 3 StR 372/00

Karlsruhe, den 21. Februar 2001

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