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Pressemitteilungen » Pressemitteilungen aus dem Jahr 2001 » Pressemitteilung Nr. 92/01 vom 6.12.2001

Siehe auch:  Urteil des I. Zivilsenats vom 6.12.2001 - I ZR 284/00 -, Urteil des I. Zivilsenats vom 6.12.2001 - I ZR 283/00 -

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Bundesgerichtshof
Mitteilung der Pressestelle

 

 

Nr. 92/2001

 

BGH verbietet erneut Benetton-Werbung "H.I.V. POSITIVE"

Der u.a. für das Wettbewerbsrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hatte erneut darüber zu entscheiden, ob die Beklagte, die Herausgeberin der Illustrierten "Stern", durch den Abdruck der Anzeige "H.I.V. POSITIVE", mit der die Firma Benetton für sich geworben hat, wettbewerbswidrig gehandelt hat. Die Werbung zeigt auf einer Doppelseite den oberen Teil eines menschlichen Gesäßes, dem rechts in breiter blauer Schrift der Stempel "H.I.V." mit dem Zusatz "POSITIVE" aufgedrückt ist. Etwas abgesetzt von diesem Stempelaufdruck befinden sich - mit einem rechteckigen grünen Feld unterlegt - die in weißer Schrift gesetzten Worte "UNITED COLORS OF BENETTON.". In der linken unteren Ecke der Anzeige steht der Satz: "COLORS, ein Magazin über den Rest der Welt, in Benetton Filialen und ausgewählten Zeitungsläden erhältlich."

Die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e.V. hat diese Anzeige als wettbewerbswidrig beanstandet. Nicht nur das Unternehmen Benetton, sondern auch die Beklagte habe durch ihre Veröffentlichung gegen die guten Sitten im Wettbewerb verstoßen. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die (Sprung-)Revision der Beklagten hat der Bundesgerichtshof durch Urteil vom 6. Juli 1995 (I ZR 180/94) zurückgewiesen. Auf die Verfassungsbeschwerde der Beklagten hat das Bundesverfassungsgericht diese Entscheidung durch Urteil vom 12. Dezember 2000 (1 BvR 1762 und 1787/95, BVerfGE 102, 347) wegen eines Verstoßes gegen Art. 5 Abs. 1 GG aufgehoben und die Sache an den Bundesgerichtshof zur erneuten Prüfung des Aussagegehalts der Anzeige zurückverwiesen.

Die Revision der Beklagten blieb auch im neuen Revisionsverfahren ohne Erfolg. Der Bundesgerichtshof hat die Ansicht vertreten, die Anzeige "H.I.V. POSITIVE" sei als sittenwidrig im Sinne des § 1 UWG zu bewerten und genieße nicht den Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 5 GG), weil sie die Menschenwürde Aids-Kranker verletze (Art. 1 Abs. 1 GG).

Gegen die Wettbewerbswidrigkeit der Anzeige könne nicht vorgebracht werden, sie sei als anprangernde, aufrüttelnde Aussage mit kritischer Tendenz gemeint. Wer im Wettbewerb mit anderen die Verbraucher durch Werbung beeinflussen wolle, müsse seine Werbemaßnahmen an ihrer Eignung, auf die Angesprochenen zu wirken, messen lassen. Bei einer Anzeige sei deshalb grundsätzlich nur maßgeblich, was aus dieser selbst spreche. Der Benetton-Anzeige könne jedoch weder eine eigene bestimmte Aussage noch eine bestimmte Absicht entnommen werden; eine Wertung sei immer die des Betrachters. Die Anzeige selbst vergegenwärtige nur eine grausame Wirklichkeit durch ein Bild. Sie sei objektiv gesehen ausschließlich Reizobjekt mit starker Wirkung.

Wie die Anzeige auf den Betrachter wirke, hänge entscheidend davon ab, wie stark ihr Charakter als Unternehmenswerbung mit gesehen und empfunden werde. Besonders der Umstand, daß es hier um Werbung gehe und die Anzeige zumindest auch den Umsatz des werbenden Unternehmens steigern solle, sei ein Grund für ihre ungewöhnliche, vielfach aufwühlende Wirkung in der Öffentlichkeit, die das benutzte Foto trotz der starken Reizwirkung, die von ihm ausgehe, als solches allein nicht erreichen könnte. Der angesprochene Problemkreis sei geeignet, Menschen in tiefen Gefühlsschichten zu berühren. Die Verbindung eines Fotos, das diese Gefühlsschichten in besonders intensiver Weise ansprechen könne, mit der unübersehbaren Verfolgung eigener wirtschaftlicher Interessen werde darüber hinaus bei den meisten Betrachtern - abhängig von ihrer Lebenssituation und ihren persönlichen Einstellungen - Gedanken eigener Art und starke, häufig heftige Reaktionen hervorrufen. Gerade darauf beruhe auch die Eignung der Anzeige als Unternehmenswerbung, eine an sie anknüpfende und auf sie Bezug nehmende öffentliche Auseinandersetzung anzustoßen und so zugleich der Öffentlichkeit den Namen des Unternehmens einzuprägen.

Die Anzeige stelle einen Menschen dar, der als Aids-infiziert "abgestempelt" sei. Sie könne ohne weiteres als Ausdruck der Solidarität mit Aids-Kranken empfunden werden, als aufrüttelnder Hinweis auf das Leid einer Gruppe, die nicht nur von einer todbringenden Krankheit betroffen sei, sondern wegen der Ansteckungsgefahr in der Gesellschaft teilweise stigmatisiert und ausgegrenzt werde. Die Anzeige wäre deshalb wettbewerbsrechtlich unbedenklich, wenn sie allein so aufgefaßt würde oder ihr Charakter als Wirtschaftswerbung ihr Verständnis und ihre Wirkung allenfalls bei unerheblichen Teilen der angesprochenen Öffentlichkeit beeinflussen könnte, weil er nicht oder kaum als solcher wahrgenommen würde.

Weit überwiegend werde die Anzeige jedoch, auch wenn sie zugleich als Aufruf zur Solidarität verstanden werde, als Aufmerksamkeitswerbung für das in der Anzeige genannte Unternehmen wahrgenommen. Sie wirke deshalb nicht nur - in einer wirklich oder angeblich vorhandenen guten Absicht - auf die öffentliche Meinungsbildung ein, sondern benutze gleichzeitig schweres Leid von Menschen als Werbethema, um - auch durch die Thematisierung gerade in der Wirtschaftswerbung eines Unternehmens - Emotionen aufzurühren, auf diese Weise das Unternehmen zum Gegenstand öffentlicher Aufmerksamkeit zu machen und so den Verkauf der eigenen Waren - vor allem von Bekleidungsstücken - zu fördern. Selbst wenn eine Solidarisierung mit Aids-Kranken angenommen werde, wirke die Anzeige, soweit ihr Charakter als Wirtschaftswerbung von den Betrachtern nicht übersehen oder nur beiläufig wahrgenommen werde, zumindest maßgeblich auch als ein Mittel zum wirtschaftlichen Zweck, das die Gruppe der Aids-Kranken, ihre tiefe Not und ihre Stigmatisierung in der Gesellschaft zum eigenen wirtschaftlichen Vorteil ausbeute. Die Betroffenen selbst würden aus dieser Sicht mit ihrem Schicksal zu einem Objekt, mit dem Wirtschaftswerbung zur Gewinnerzielung getrieben werden könne. Ein Aufruf zur Solidarität mit Menschen in Not sei zynisch und verletze ihren Anspruch auf Achtung und mitmenschliche Solidarität um ihrer selbst willen, wenn er mit dem Geschäftsinteresse verbunden werde, die eigenen Unternehmensumsätze in einem ganz anderen Bereich zu steigern. Von Betroffenen könne es zudem als verletzend empfunden werden, im Interesse einer Wirtschaftswerbung dem bildhaften Ausdruck des eigenen Schicksals - möglicherweise ganz unvorbereitet - durch eine gewerbliche Anzeige in einer Zeitschrift oder im öffentlichen Raum auf Plakatwänden ausgesetzt zu werden.

Die Beklagte habe bei der Veröffentlichung der Anzeige die ihr obliegenden Prüfungspflichten verletzt. Ein Presseunternehmen hafte zwar wettbewerbsrechtlich für eine Anzeige nur dann, wenn diese grob und unschwer erkennbar wettbewerbswidrig sei. Dies sei hier jedoch der Fall.

Eine Werbung wie die Anzeige "H.I.V. POSITIVE" begründe die Gefahr, daß die angewandte Methode um sich greife, durch Ausbeuten von Reizthemen und Tabus als Gegenstand oder Aufhänger von Werbung Aufmerksamkeitseffekte zu erzielen, etwa durch herabsetzende und diskriminierende Werbung auf Kosten von Behinderten, von ethnischen und politischen Minderheiten, Ausländern oder religiösen Gruppen. Nur selten würden derartige Werbeäußerungen nicht gut kaschiert sein und nicht auch eine naheliegende harmlose Deutung ermöglichen. An der Eignung solcher - mehr oder weniger unterschwellig manipulierender - Werbemaßnahmen, gefühlsverrohend und minderheitenfeindlich zu wirken, ändere dies nichts. Die Voraussetzungen, unter denen sich Leistungswettbewerb entfalten könne, würden wesentlich beeinträchtigt, wenn Werbungtreibende vermehrt dazu übergingen, den Kampf um die Aufmerksamkeit der Verbraucher in der Art der Anzeige "H.I.V. POSITIVE" zu führen und so ihren Vorteil auf Kosten derjenigen Wettbewerber zu suchen, die das im Wettbewerb unabdingbare Maß an Achtung vor anderen und ihren verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern bewahren.

In dem Verfahren I ZR 283/00, in dem es um andere Anzeigen ("Kinderarbeit", "ölverschmutzte Ente") ging, hat der I. Zivilsenat ein Verzichtsurteil erlassen, nachdem die Klägerin auf den ihr vom Landgericht zuerkannten Anspruch verzichtet hat.

Urteil vom 6. Dezember 2001 – I ZR 284/00

Karlsruhe, den 6. Dezember 2001

Pressestelle des Bundesgerichtshofs

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