Der Bundesgerichtshof

PRESSEMITTEILUNGEN
 
XML RSS

Dokumentsuche

Datum

Nummer

Suchbegriff

[Icon: Dreieck] Hilfe

 

Kalender

Pressemitteilungen » Pressemitteilungen aus dem Jahr 2000 » Pressemitteilung Nr. 92/00 vom 1.12.2000

Siehe auch:  Urteil des 2. Strafsenats vom 1.12.2000 - 2 StR 337/00 -, Urteil des 2. Strafsenats vom 1.12.2000 - 2 StR 329/00 -

vorheriges DokumentDokumentlistenächstes Dokument

Druckansicht

Bundesgerichtshof
Mitteilung der Pressestelle

 

 

Nr. 92/2000

Bundesgerichtshof zu tödlichen Schüssen an der

innerdeutschen Grenze

Der 2. Strafsenat hat über die Revisionen zweier Angeklagter gegen Urteile des Landgerichts Mühlhausen entschieden, die tödliche Schüsse bei Grenzübertritten an der innerdeutschen Grenze in den Jahren 1950 und 1962 betreffen. Die Verurteilung eines Angeklagten hat der Senat bestätigt, den anderen Angeklagten hat er freigesprochen. Beide Entscheidungen orientieren sich an der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.

1. Das Landgericht Mühlhausen hat den Angeklagten H. wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten mit Bewährung verurteilt. Der Angeklagte war am 13. August 1962 als Postenführer im Rang eines Gefreiten der Grenztruppen der DRR bei Eisenach eingesetzt, als der später getötete J. zusammen mit einem Bekannten am Grenzabschnitt Lauchröden/Göringen aus der DDR in die Bundesrepublik flüchten wollte. Als J. in Richtung der beiden Grenzzäune lief, verfolgte der Angeklagte ihn, forderte ihn auf stehenzubleiben und gab mehrere Warnschüsse ab. Nachdem J. bereits den ersten Zaun überklettert hatte und sich am zweiten befand, gab der Angeklagte aus ca. 25 Metern Entfernung mit seiner Maschinenpistole "Kalaschnikow" eine Salve von mindestens vier Schüssen auf die Beine des J. ab, um ihn fluchtunfähig zu machen; er nahm jedoch billigend in Kauf, ihn tödlich zu verletzen. Der Angeklagte war zuvor von seinem Vorgesetzten darauf hingewiesen worden, es handele sich bei den Flüchtlingen um Straftäter, die auf ihrer Flucht eine Frau mit einem Messer bedroht hätten; ihre Flucht über die Grenze sei unbedingt zu verhindern. J. erlitt einen Bauchdurchschuß und verstarb trotz Hilfsmaßnahmen noch am Tatort. Der Angeklagte erhielt eine Prämie von 30 Mark.

Der Senat hat die Revision des Angeklagten verworfen. Diese stützte sich darauf, der Angeklagte habe nicht nur die Flucht des J. in die Bundesrepublik verhindern, sondern auch die Strafverfolgung wegen einer - angeblichen - Straftat des J. sichern wollen; der Fall sei daher mit solchen Fällen, in denen es allein um die Verhinderung einer "Grenzverletzung" ging, nicht vergleichbar.

Dem ist der Senat nicht gefolgt. Er hat zunächst die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bestätigt, wonach die vorsätzliche Tötung eines unbewaffneten Flüchtlings allein zur Verhinderung seiner Flucht in die Bundesrepublik aufgrund des darin liegenden gravierenden Menschenrechtsverstoßes nicht durch entsprechende Befehle und Dienstvorschriften gerechtfertigt war, die vor dem Inkrafttreten des DDR-Grenzgesetzes im Jahre 1982 galten. Die Rechtswidrigkeit der vorsätzlichen Tötung eines unbewaffneten Flüchtlings war auch für den einfachen Grenzsoldaten offensichtlich, so daß er durch einen entsprechenden Befehl seines Vorgesetzten nicht entschuldigt ist.

Dasselbe gilt nach Auffassung des Senats auch im vorliegenden Fall. Aufgrund der vagen Information über eine angebliche Bedrohung ging der Angeklagte nur von einer Straftat geringen Gewichts aus, die zudem Teil des Fluchtunternehmens war. Gegenüber der Verhinderung der "Grenzverletzung" selbst trat die Strafverfolgung des J. wegen dieser Tat so weit in den Hintergrund, daß dieses zusätzliche Motiv des Angeklagten an der offensichtlichen Rechtswidrigkeit der Tötung nichts änderte. Mit den Fällen des Schußwaffeneinsatzes gegen bewaffnet fliehende Deserteure oder des Schießens auf Flüchtlinge nur mit dem Vorsatz der Körperverletzung ist dieser Fall nach der Entscheidung des Senats nicht vergleichbar.

2. Der Angeklagte O. war vom Landgericht Mühlhausen wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten mit Bewährung verurteilt worden. Der Angeklagte war 1950 bei der Grenzpolizei der DDR im Bereich Jützenbach (Kreis Eichsfeld) als Grenzposten tätig. Die Grenzposten hatten den Auftrag, den damals dort herrschenden regen Grenzverkehr zu unterbinden und Grenzverletzer festzunehmen. Am 3. September 1950 hatte der später getötete V., der in der Bundesrepublik wohnte, die ungesicherte Grenze ohne Erlaubnis passiert, um seine Mutter in der DDR zu besuchen. Innerhalb der fünf Kilometer tiefen Sperrzone traf er auf den Angeklagten und dessen Postenführer H., der ihn aufforderte stehenzubleiben. V. beschleunigte die Fahrt mit seinem Fahrrad, woraufhin der Angeklagte und H. Warnschüsse abgaben. Da V. weiterfuhr, zielte der Angeklagte aus ca. 150 Metern Entfernung mit seinem Karabiner K 98 auf den unteren Bereich des Fahrrades des V. und gab einen Schuß ab. V. wurde von der Kugel im Bauch getroffen und war sofort tot. Der Angeklagte hatte beim Schuß die Absicht, V. anzuhalten und festzunehmen. Er nahm eine Körperverletzung des V. durch Treffen der Beine billigend in Kauf, nicht aber dessen Tod, der jedoch für ihn voraussehbar war. Er hielt sein Handeln nach den damaligen Dienstanweisungen und Instruktionen für die Grenzpolizei für rechtmäßig. Das Landgericht ist davon ausgegangen, der Angeklagte habe rechtswidrig und schuldhaft gehandelt. Soweit ihm die Einsicht gefehlt habe, Unrecht zu tun, liege ein vermeidbarer Verbotsirrtum vor.

Der Angeklagte O. wurde aus Rechtsgründen freigesprochen. Der Senat hatte bereits erhebliche Zweifel, ob die Tat des Angeklagten rechtswidrig war. Es sprach viel dafür, daß sein Verhalten durch die Befehlslage im Jahre 1950 gedeckt und damit gerechtfertigt war. Ob der Schußwaffengebrauch zum Zweck der Festnahme eines Grenzverletzers auf dem Gebiet der DDR auch dann als rechtswidrig anzusehen ist, wenn er nicht mit Tötungs-, sondern - wie in diesem Fall - mit Körperverletzungsvorsatz erfolgte, hat der Bundesgerichtshof bisher regelmäßig offengelassen. Auch jetzt mußte diese Frage nicht entschieden werden. Denn das Verhalten des Angeklagten war jedenfalls aufgrund einer entsprechenden Anwendung von § 258 Abs. 1 StGB-DDR und inhaltsgleicher Vorschriften im Recht der Bundesrepublik wegen Handelns auf Befehl entschuldigt. Die Gesamtwürdigung aller Umstände des Tatgeschehens belegte, daß der Schußwaffengebrauch aus der maßgebenden Sicht des Angeklagten O. nicht offensichtlich eine rechtswidrige Tat war.

Urteile vom 1. Dezember 2000 - 2 StR 337/00 und 2 StR 329/00

Karlsruhe, den 1. Dezember 2000

Pressestelle des Bundesgerichtshofs

76125 Karlsruhe

Telefon (0721) 159-422

Telefax (0721) 159-831

Druckansicht