Bundesgerichtshof
Mitteilung der Pressestelle

 

 

 

Nr. 74/1999

Urteil des Bundesgerichtshofs zur audiovisuellen Vernehmung von Zeugen, die sich im Ausland aufhalten

Der Gesetzgeber hat 1998 durch das Zeugenschutzgesetz die Möglichkeit geschaffen, im Rahmen der Gerichtsverhandlung unter Einsatz audiovisueller Übertragung Zeugen zu vernehmen, die sich während der Vernehmung außerhalb des Gerichtssaales aufhalten (§ 247a Strafprozeßordnung).

Durch diese Vorschrift sollen insbesondere kindliche Zeugen in Strafverfahren wegen Kindesmißbrauchs vor einer sie psychisch belastenden Vernehmung in der Hauptverhandlung bewahrt werden.

Darüber hinaus wurde mit der genannten Bestimmung die Möglichkeit eröffnet, (auch erwachsene) Zeugen, die etwa wegen Krankheit oder anderer nicht zu beseitigender Hindernisse am Erscheinen in der Hauptverhandlung gehindert sind, durch audiovisuelle Übertragung zu vernehmen. Nach dem Wortlaut der Vorschrift gilt dies auch für Zeugen, die sich während der Vernehmung im Ausland aufhalten.

Im vorliegenden Fall hat das Landgericht Mannheim den Angeklagten u.a. wegen Handeltreibens mit Kokain in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und neun Monaten verurteilt. Nach den Feststellungen hat er in zwei dieser Fälle das Kokain von einem Rauschgiftlieferanten aus den USA bezogen. Der Angeklagte hat seine Tatbeteiligung bestritten und beantragt, den angeblichen Lieferanten als Zeugen zu vernehmen. Der Zeuge weigerte sich jedoch, zur Gerichtsverhandlung nach Deutschland zu kommen. Eine Vernehmung des Zeugen in New York und eine anschließende Verlesung des Vernehmungsprotokolls in der Hauptverhandlung hielt das Landgericht – insoweit rechtsfehlerfrei – für ungeeignet, weil ohne den persönlichen Eindruck vom Zeugen dessen Aussage keinen Einfluß auf die Entscheidung haben könne. Das Landgericht lehnte dann den Beweisantrag ab, weil der Zeuge unerreichbar sei. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seinem Rechtsmittel.

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. September 1999 das Urteil des Landgerichts hinsichtlich der beiden Fälle, die Kokainlieferungen aus den USA betrafen, aufgehoben und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung an das Landgericht zurückverwiesen. Hinsichtlich der übrigen drei Fälle wurde die Revision als unbegründet verworfen.

Die Teilaufhebung erfolgte, weil das Landgericht die Vernehmung des Zeugen aus den USA wegen Unerreichbarkeit abgelehnt hatte, ohne zuvor zu prüfen, ob der Zeuge mittels einer Videokonferenz im Rahmen der Hauptverhandlung gehört werden kann. Eine solche Vernehmung eines in den USA lebenden Zeugen durch das in Deutschland verbleibende Gericht ist technisch möglich und nach deutschem sowie amerikanischem Recht grundsätzlich auch ohne Rechtshilfeverträge zulässig. Das Tatgericht ist zu einer solchen Videovernehmung bei der gegebenen Sachlage allerdings nur verpflichtet, wenn dies zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist. Ob dies der Fall ist, bleibt der Prüfung durch das Landgericht in der neuen Hauptverhandlung vorbehalten.

 

Urteil vom 15. September 1999 – 1 StR 286/99

Karlsruhe, den 15. September 1999

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