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Pressemitteilungen » Pressemitteilungen aus dem Monat November 1999 » Pressemitteilung Nr. 92/99 vom 18.11.1999

Siehe auch:  Beschluss des 1. Strafsenats vom 2.2.2000 - 1 StR 221/99 -

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Bundesgerichtshof
Mitteilung der Pressestelle

 

 

Nr. 92/1999

Bundesgerichtshof beurteilt Lockspitzel-Einsatz
gegen Unverdächtigen

Das Landgericht München I hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt.

Eine Privatperson, die als sog. Vertrauensmann ("V-Mann") für die Polizei arbeitete, hatte den Angeklagten gefragt, ob er Kokain beschaffen könne. Der Angeklagte, der zuvor in keiner Verbindung zum Rauschgifthandel stand und gegen den auch kein entsprechender Tatverdacht vorlag, hatte dies zunächst mehrfach verneint. Erst nach sich über Wochen erstreckenden, wiederholten Anfragen und nachdem ihm ein hoher Gewinn in Aussicht gestellt worden war, hatte der Angeklagte sich über Dritte ein Kilogramm Kokain verschafft und an einen vom V-Mann zum Schein benannten Abnehmer verkauft. Bei der Übergabe des Rauschgiftes wurde er dann verhaftet.

Nach der grundlegenden Entscheidung des Senats aus dem Jahre 1984 (BGHSt 32, 345) führt auch eine solche unzulässige Tatprovokation durch einen polizeilichen Lockspitzel weder zu einer Einstellung des Verfahrens wegen Verwirkung des staatlichen Strafanspruchs aufgrund widersprüchlichen Verhaltens noch dazu, daß die durch den Einsatz des V-Mannes erlangten Beweise nicht verwertet werden dürfen. Vielmehr ist die Tatprovokation lediglich im Rahmen der Strafzumessung mildernd zu berücksichtigen.

Auf die Revision des Angeklagten war nunmehr zu entscheiden, ob diese sog. Strafzumessungslösung mit einem am 9. Juni 1998 in einem anderen Verfahren ergangenen Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) vereinbar ist. Der EGMR hat eine vergleichbare Tatprovokation durch zwei portugiesische Polizeibeamte gegenüber einem zuvor Unverdächtigen und dessen daraufhin erfolgte Verurteilung wegen Handeltreibens mit 20 Gramm Heroin zu sechs Jahren Freiheitsstrafe als Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens (Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention) angesehen und dem dortigen Beschwerdeführer eine Entschädigung in Höhe von umgerechnet rund 975.000 DM zugesprochen.

Durch Urteil vom 18. November 1999 hat der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs die angegriffene Entscheidung des Landgerichts im Strafausspruch aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an das Landgericht zurückverwiesen. Zur Begründung hat der Senat angeführt, daß die Entscheidung des EGMR auch bei der Auslegung innerstaatlichen Rechts berücksichtigt werden müsse. Der Einsatz von V-Männern gegen zuvor nicht unter Verdacht stehende Personen sei rechtswidrig. Das in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankerte Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren erforderte in einem solchen Fall zwar keine Verfahrenseinstellung, die unzulässige Tatprovokation sei aber bei der nach wie vor anzuwendenden Strafzumessungslösung erheblich strafmildernd zu berücksichtigen. In einer neuen Hauptverhandlung muß das Landgericht nunmehr erneut über die angemessene Rechtsfolge entscheiden, wobei eine Sanktion im Bereich der Mindeststrafe, die für die vorliegende Straftat drei Monate Freiheitsstrafe oder Geldstrafe beträgt, naheliegt. Daher hat der Senat den Angeklagten aus Gründen der Verhältnismäßigkeit aus der Untersuchungshaft entlassen.

Urteil vom 18. November 1999 – 1 StR 221/99

Karlsruhe, den 18. November 1999

Pressestelle des Bundesgerichtshofs

76125 Karlsruhe

Telefon (0721) 159-422

Telefax (0721) 159-831

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