Bundesgerichtshof

Mitteilung der Pressestelle


Nr. 15/2024

Bundesgerichtshof entscheidet über Verurteilung wegen Verstoßes gegen ein Vereinigungsverbot ("Geeinte deutsche

Völker und Stämme")

Beschluss vom 14. November 2023 - 3 StR 141/23

Das Landgericht Lüneburg hat die Angeklagte mit Urteil vom 22. November 2022 wegen Verstoßes gegen ein Vereinigungsverbot in Tateinheit mit Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Volksverhetzung und Missbrauch von Berufsbezeichnungen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Außerdem hat es unter Verweis auf die Anklageschrift nicht näher bezeichnete Gegenstände eingezogen.

Das Landgericht hat festgestellt, dass die Angeklagte 2016 federführend die Organisation "Geeinte deutsche Völker und Stämme" (GdVuSt) gründete. In der Überzeugung, dass die Bundesrepublik Deutschland kein Staat sei, sondern nur ein "Handelskonstrukt" ohne "Legitimität", beabsichtigte die Gruppe, ein eigenes staatliches System auf einem Territorium in den Grenzen des Deutschen Reichs von 1871 bis 1914 zu errichten. Alle, die nicht "deutscher Abstammung" sind, sollten entrechtet und vertrieben werden. Gegen Zahlung von 500 € stellte die GdVuSt sogenannte Lebendbekundungen aus, durch die Interessenten ihr beitreten und sich von der Bundesrepublik Deutschland als Staat lossagen konnten. Ganze geographische Regionen sollten durch eine von der Vereinigung beurkundete, ebenfalls gebührenpflichtige "Erhebung naturstaatlicher Landschaften" Teil der GdVuSt werden können.

Im Frühjahr 2020 verbot das Bundesinnenministerium die Organisation sowie die Nutzung ihrer Kennzeichen wegen Verstoßes gegen die verfassungsgemäße Ordnung. Gleichwohl setzte die Angeklagte ihr Wirken als zentrale Führungsfigur der in ihrer ideologischen Ausrichtung unveränderten GdVuSt fort. Sie verbreitete die Vereinsideologie auf Veranstaltungen und warb dafür im Internet unter Nutzung der verbotenen Symbole. Außerdem stellte sie weiter die genannten Urkunden aus, wodurch sie im Tatzeitraum wenigstens 80.000 € vereinnahmte. Als "Generalbevollmächtigte" der GdVuSt beziehungsweise "Rechtsanwältin Dr. Wonneberger" auftretend, verfasste und verbreitete die Angeklagte zudem Texte, in denen sie unter anderem jüdische und muslimische Mitbürger als "unmoralische, unethische Wesen" bezeichnete und ihnen ihr Existenzrecht als gleichwertige Personen der deutschen Gesellschaft absprach. Zuletzt zählte die Gruppe etwa 500 Mitglieder. Auf Telegram folgten der Angeklagten über 2.000 Nutzer.

Der für Staatsschutzsachen zuständige 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat die hiergegen gerichtete Revision der Angeklagten verworfen, was den Schuldspruch angeht. Diesen hat er lediglich sprachlich dahin präzisiert, dass die Angeklagte den Verstoß gegen das Vereinigungsverbot "als Rädelsführer" beging. Den Rechtsfolgenausspruch hat er auf Antrag des Generalbundesanwalts aufgehoben. Der Einziehungsausspruch hat rechtlicher Überprüfung nicht standgehalten, weil die einzuziehenden Objekte in der Urteilsformel nicht hinreichend bezeichnet sind, unklar geblieben ist, ob es sich dabei um der Angeklagten gehörende oder zustehende Tatmittel handelte, und das Landgericht kein Ermessen ausgeübt hat. Dieser Rechtsfehler hat sich auch auf den Strafausspruch ausgewirkt. Über die Einziehung und die Strafzumessung wird deshalb eine andere Strafkammer des Landgerichts neu zu entscheiden haben.

Vorinstanz:

LG Lüneburg – 21 KLs/5104 Js 40311/21 (13/22) – Urteil vom 22. November 2022

Maßgebliche Strafvorschriften:

§ 85 Verstoß gegen ein Vereinigungsverbot

(1) Wer als Rädelsführer oder Hintermann im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes den organisatorischen Zusammenhalt

1. einer Partei oder Vereinigung, von der im Verfahren nach § 33 Abs. 3 des Parteiengesetzes unanfechtbar festgestellt ist, dass sie Ersatzorganisation einer verbotenen Partei ist, oder

2. einer Vereinigung, die unanfechtbar verboten ist, weil sie sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet, oder von der unanfechtbar festgestellt ist, dass sie Ersatzorganisation einer solchen verbotenen Vereinigung ist,

aufrechterhält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Der Versuch ist strafbar.

(2) Wer sich in einer Partei oder Vereinigung der in Absatz 1 bezeichneten Art als Mitglied betätigt oder wer ihren organisatorischen Zusammenhalt oder ihre weitere Betätigung unterstützt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(3) § 84 Abs. 4 und 5 gilt entsprechend.

§ 86 Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger und terroristischer Organisationen

(1) Wer Propagandamittel

1. (…)

2. einer Vereinigung, die unanfechtbar verboten ist, weil sie sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet, oder von der unanfechtbar festgestellt ist, dass sie Ersatzorganisation einer solchen verbotenen Vereinigung ist,

3. (…)

4. (…)

im Inland verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht oder zur Verbreitung im Inland oder Ausland herstellt, vorrätig hält, einführt oder ausführt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(…)

§ 86a Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1. im Inland Kennzeichen einer der in § 86 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 oder Absatz 2 bezeichneten Parteien oder Vereinigungen verbreitet oder öffentlich, in einer Versammlung oder in einem von ihm verbreiteten Inhalt (§ 11 Absatz 3) verwendet oder

2. einen Inhalt (§ 11 Absatz 3), der ein derartiges Kennzeichen darstellt oder enthält, zur Verbreitung oder Verwendung im Inland oder Ausland in der in Nummer 1 bezeichneten Art und Weise herstellt, vorrätig hält, einführt oder ausführt.

(2) Kennzeichen im Sinne des Absatzes 1 sind namentlich Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen. Den in Satz 1 genannten Kennzeichen stehen solche gleich, die ihnen zum Verwechseln ähnlich sind.

(...)

§ 130 Volksverhetzung

(1) Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören,

1. gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen dessen Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung zum Hass aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordert oder

2. die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er eine vorbezeichnete Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen wegen dessen Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet,

wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1. einen Inhalt (§ 11 Absatz 3) verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht oder einer Person unter achtzehn Jahren einen Inhalt (§ 11 Absatz 3) anbietet, überlässt oder zugänglich macht, der

a) zum Hass gegen eine in Absatz 1 Nummer 1 bezeichnete Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen dessen Zugehörigkeit zu einer in Absatz 1 Nummer 1 bezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung aufstachelt,

b) zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen in Buchstabe a genannte Personen oder Personenmehrheiten auffordert oder

c) die Menschenwürde von in Buchstabe a genannten Personen oder Personenmehrheiten dadurch angreift, dass diese beschimpft, böswillig verächtlich gemacht oder verleumdet werden oder

2. einen in Nummer 1 Buchstabe a bis c bezeichneten Inhalt (§ 11 Absatz 3) herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält, anbietet, bewirbt oder es unternimmt, diesen ein- oder auszuführen, um ihn im Sinne der Nummer 1 zu verwenden oder einer anderen Person eine solche Verwendung zu ermöglichen.

(…)

§ 132a Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen

(1) Wer unbefugt

1. inländische oder ausländische Amts- oder Dienstbezeichnungen, akademische Grade, Titel oder öffentliche Würden führt,

2. die Berufsbezeichnung Arzt, Zahnarzt, Psychologischer Psychotherapeut, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut, Psychotherapeut, Tierarzt, Apotheker, Rechtsanwalt, Patentanwalt, Wirtschaftsprüfer, vereidigter Buchprüfer, Steuerberater oder Steuerbevollmächtigter führt,

(…)

wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Den in Absatz 1 genannten Bezeichnungen, akademischen Graden, Titeln, Würden, Uniformen, Amtskleidungen oder Amtsabzeichen stehen solche gleich, die ihnen zum Verwechseln ähnlich sind.

(…)

Karlsruhe, den 23. Januar 2024

Pressestelle des Bundesgerichtshofs
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Telefon (0721) 159-5013
Telefax (0721) 159-5501