Bundesgerichtshof

Mitteilung der Pressestelle


Nr. 128/2005

Rechts- und Parteifähigkeit liechtensteinischer Kapitalgesellschaften mit tatsächlichem Verwaltungssitz in der

Bundesrepublik Deutschland

Die Klägerin ist eine nach dem Recht des Fürstentums Liechtenstein gegründete und seit 1992 im Handelsregister des Öffentlichkeitsregisteramtes in Vaduz eingetragene Aktiengesellschaft, deren Geschäftstätigkeit über weite Zeiträume in der Bundesrepublik Deutschland stattfand. In einem deutschen Handelsregister ist die Gesellschaft nicht eingetragen. Im Jahr 1997 gewährte sie der nunmehrigen Gemeinschuldnerin, über deren Vermögen nach vorheriger Sequestration das Insolvenzverfahren am 14. Juli 1999 eröffnet worden ist, ein Darlehen für den Erwerb eines Mietshauses und ließ sich als Sicherheit die Mietzinsforderungen aus dem Objekt abtreten. Wie sich aus der im Rechtsstreit erteilten Auskunft des beklagten Konkursverwalters ergibt, hat dieser von seiner Bestellung als Sequester an (12. Januar 1999) bis zum 31. Juli 1999 Mieten in einer Gesamthöhe von (umgerechnet) 12.529,94 € erhalten. Diesen Betrag fordert die Klägerin von dem Beklagten.

Das Landgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen, da die Klägerin nach dem Ergebnis einer durchgeführten Beweisaufnahme ihren Verwaltungssitz in Deutschland gehabt habe und – mangels Eintragung in einem deutschen Handelsregister – hier nicht rechtsfähig sei. Das Oberlandesgericht hat unter Rückgriff auf die im EWR-Abkommen statuierte Niederlassungsfreiheit sowie die neuere Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (sog. Überseering-Entscheidung) der Klägerin die Rechtsfähigkeit zugebilligt und der Klage - unter Zulassung der Revision - stattgegeben.

Der für das Gesellschaftsrecht zuständige II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs teilt die Auffassung des Berufungsgerichts zur Zulässigkeit der Klage. Auch er hält die Klägerin für rechts- und parteifähig und stützt sich dabei u. a. auf sein am 14. März 2005 (II ZR 5/03, ZIP 2005, 805) ergangenes Urteil. Dort hatte er ausgesprochen, dass die in einem Vertragsstaat der Europäischen Gemeinschaft wirksam gegründeten Gesellschaften im Inland rechts- und parteifähig sind. Dieselben Prinzipien gelten auch für eine in einem EFTA-Staat gegründete Kapitalgesellschaft. Art. 31 des von Deutschland ratifizierten EWR-Abkommens regele die Niederlassungsfreiheit in vergleichbarer Weise wie dies in Art. 43 des EG-Vertrages geschehen sei, so dass eine einschränkende Auslegung im Verhältnis zu einem EFTA-Staat ausscheide. Denselben Standpunkt nehme auch der EFTA-Gerichtshof ein, der seinerseits den Gleichklang seiner Rechtsprechung zur Niederlassungsfreiheit mit derjenigen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften betont habe.

Ob die Klägerin indessen von dem Beklagten Ersatz für die eingezogenen Mieten fordern kann, hängt aus insolvenzrechtlichen Gründen von der Frage ab, ob die Mieten während der Zeit der Sequestration oder erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gezahlt worden sind. Diese bisher im Rechtsstreit übersehene Frage muss noch tatrichterlich geklärt werden; deswegen hat der II. Zivilsenat den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Urteil v. 19. September 2005 – II ZR 372/03

LG Limburg - 1 O 154/00 ./. OLG Frankfurt - 23 U 35/02

Karlsruhe, den 20. September 2005

Pressestelle des Bundesgerichtshof
76125 Karlsruhe
Telefon (0721) 159-5013
Telefax (0721) 159-5501