Bundesgerichtshof
Mitteilung der Pressestelle

 

 

Nr. 77/2002

 

Bundesgerichtshof zur Haftung der Deutschen Post AG

bei Verlust von Wertsendungen

Die Klägerin macht Ersatzansprüche ihrer Versicherungsnehmerin, der WGZ-Bank, aus abgetretenem und übergegangenem Recht wegen des Verlustes von Postsendungen geltend, für die sie Ersatz geleistet hat.

Die Bank lieferte bei Postämtern der Beklagten insgesamt sechs Pakete ein, die Banknoten im Wert von 250.000 DM, 200.000 DM und 150.000 DM enthielten und die für verschiedene Raiffeisenbanken und Volksbanken bestimmt waren. Die WGZ-Bank deklarierte die Pakete jeweils mit der Wertangabe "3.500,- DM".

Am 3. März 1995 wurden die sechs Pakete aus einem Zustellfahrzeug der Beklagten gestohlen. An diesem Tag lud der Betriebsassistent K. der Beklagten die sechs Wertpakete in einen Lkw. Entgegen der Dienstanweisung trug er den für die Pakete ausgestellten Ladezettel nicht am Körper, sondern steckte ihn auf eines der Wertpakete. Außerdem sicherte er die Laderaumtüren des Lkw nicht. Anschließend fuhr K. mit dem Lkw an eine Postabgangsstelle. Dort ließ er den Lkw etwa eine Viertelstunde unbeaufsichtigt mit geöffneten Laderaumtüren an einer Rampe stehen. Zu diesem Zeitpunkt befand sich auch der Postangestellte J. an der Postabgangsstelle. Dieser wurde wegen des Diebstahls der sechs Pakete rechtskräftig verurteilt. Die Beklagte erstattete pro Paket 3.500 DM. Weitere 447.850 DM stellte die zuständige Staatsanwaltschaft sicher und kehrte den Betrag an die Klägerin aus.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Beklagte hafte sowohl wegen der vorsätzlichen Dienstpflichtverletzung ihres Betriebsassistenten als auch wegen des Diebstahls ihres Angestellten. Die Beklagte hat sich unter anderem damit verteidigt, ihr sei ein etwaiger Diebstahl des J. nicht zuzurechnen, K. habe seine Pflichten nicht vorsätzlich verletzt. Im übrigen sei der Schadensersatzanspruch nach § 14 Abs. 1 PostG 1989 ausgeschlossen, da die WGZ-Bank den Schaden dadurch überwiegend verursacht habe, daß die Wertpakete nicht ordnungsgemäß deklariert worden seien.

Beide Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat einen Schadensersatzanspruch aus § 12 Abs. 6 PostG 1989 verneint, weil J. nicht Erfüllungsgehilfe gewesen sei und deshalb die Beklagte für seine vorsätzliche Pflichtverletzung nicht hafte. Für den durch die Pflichtverletzung des K. verursachten Schaden habe die Beklagten nicht aufzukommen, weil der Schadensersatzanspruch nach § 14 Abs. 1 PostG 1989 ausgeschlossen sei. Da die WGZ-Bank durch fehlerhafte Wertangaben über den Inhalt ihre Paketsendungen nicht ordnungsgemäß eingeliefert habe, werde nach Satz 2 der Bestimmung überwiegende Verursachung des Schadens vermutet, was nach Satz 1 der Vorschrift zum Haftungsausschluß führe. Dabei ergebe sich aus Nr. 6.1.1 der Anlage 2 der AGB FrD Inl der Beklagten die Pflicht des Postkunden zur wahrheitsgemäßen Wertangabe.

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Der unter anderem für Werkvertragsrecht zuständige X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs ist dem nicht gefolgt. Er hat ausgeführt, daß die Beklagte im Rahmen des § 12 Abs. 6 PostG 1989 haftet, wenn der Schaden mit einer typischen postalischen Tätigkeit und den damit verbundenen besonderen Gefahren in Zusammenhang stehe und von ihren Bediensteten durch eine vorsätzliche Pflichtverletzung verursacht worden sei. Dabei erfordere die unbeschränkte Haftung nach § 12 Abs. 6 PostG 1989 lediglich, daß sich der Vorsatz des Bediensteten auf die Verletzung seiner Pflichten beziehe; nicht erforderlich sei es, daß der Vorsatz auch den durch die Pflichtverletzung verursachten Schaden umfasse.

Der Bundesgerichtshof hat einen Ausschluß der Haftung der Post auf Grund der bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts verneint. § 14 Abs. 1 PostG 1989 setze eine Abwägung der Verursachungsbeiträge gemäß § 254 Abs. 1 BGB voraus. Der in Satz 1 der Vorschrift geregelte Haftungsausschluß greife nur Platz, wenn die Abwägung nach § 254 BGB ergebe, daß der Schaden überwiegend durch den Absender verursacht worden sei. Nur unter dieser Voraussetzung verdränge § 14 Abs. 1 Satz 1 PostG 1989 zugunsten der Post die Verursachungsabwägung nach § 254 BGB, und zwar auch dann, wenn der Schaden durch eine vorsätzliche Pflichtverletzung eines Bediensteten der Post mitverursacht worden sei. Habe hingegen die Post den Schaden überwiegend verursacht oder lasse sich ein überwiegender Beitrag des Absenders nicht feststellen, so verbleibe es bei der Regel des § 254 Abs. 1 BGB. Die Vermutungsreglung nach § 14 Abs. 1 Satz 2 PostG 1989 enthebe die Post lediglich des Beweises überwiegender Verursachung des Schadens bei nicht ordnungsgemäßer Einlieferung einer Sendung. Voraussetzung sei, daß das konkrete, das Transportrisiko erhöhende Verhalten des Absenders bei der Einlieferung der Sendung für den Eintritt des Schadens in nicht unerheblicher Weise ursächlich gewesen sei. Hierzu fehlten ausreichende Feststellungen des Berufungsgerichts.

Urteil vom 16. Juli 2002 – X ZR 250/00

Karlsruhe, den 16. Juli 2002

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