Bundesgerichtshof
Mitteilung der Pressestelle

 

 

Nr. 29/2000

 

Bundesgerichtshof befaßt sich mit tödlichen

Transfusionszwischenfällen

 

Das Landgericht Düsseldorf hat die Beschwerdeführerin Prof. Dr. K. sowie den Mitangeklagten Prof. Dr. B. wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung zu Geldstrafen verurteilt. Prof. Dr. B. war der Leiter des Instituts für Blutgerinnungswesen und Transfusionsmedizin der Universität Düsseldorf, zu dem eine Blutbank gehörte. Er hat das Urteil nicht angefochten. Dagegen hat Prof. Dr. K., seine Stellvertreterin, Revision eingelegt, mit der sie einen Freispruch vom Tatvorwurf erstrebt.

Nach den Feststellungen wurde in dem Institut aus Spenderblut Erythrozytenkonzentrat hergestellt und in Kunststoffbeuteln zur späteren Transfusion abgefüllt. Den Kunststoffbeuteln wurden ein, später zwei sog. U-Pilotröhrchen mit dem Blut desselben Spenders für die erforderlichen Verträglichkeitstests beigepackt. Bei der Ausgabe der Konserven auf die Anforderung einer Klinikstation wurden die U-Pilotröhrchen getrennt und für die Durchführung der Tests zurückbehalten. Wenn die Konserven als nicht benötigt zurückgegeben wurden und die Haltbarkeitsfrist eine erneute Ausgabe ermöglicht hat, wurden die zugehörigen U-Pilotröhrchen herausgesucht und wieder hinzuverbunden. Waren diese wegen zwischenzeitlicher Vernichtung nicht mehr vorhanden oder wurde vom Heraussuchen wegen des damit verbundenen Zeitaufwandes abgesehen, so war es in dem Institut üblich, durch Eröffnen der Konserve und Abfüllen eines Teils des Konzentrats in ein Reagenzglas mit einer Nährstofflösung ein neues U-Pilotröhrchen herzustellen. Die benötigte Menge an Nährstofflösung wurde mit Hilfe eines sog. Dispensers abgefüllt. Da diese Arbeiten mitunter auch unter nicht sterilen Bedingungen durchgeführt wurden, gelangte im Jahre 1994 von einem kontaminierten Dispenser über die Nährstofflösung und den Kontakt mit dem Schlauchende der Konserve das Bakterium Rhanella aquatilis in mehrere Konserven, in denen es sich selbst unter Kühlbedingungen rasch vermehren konnte. Nach der Transfusion mit derart verseuchten Blutkonserven verstarben fünf Patienten an den Folgen der hierdurch verursachten Sepsis, ein Patient konnte nach einer intensiven medizinischen Betreuung wieder geheilt werden.

Das Landgericht ist nach einer umfangreichen Beweisaufnahme zum Ergebnis gekommen, daß diese, als "Abquetschen" bezeichnete Praxis zur Herstellung neuer U-Pilotröhrchen wegen der damit verbundenen Eröffnung der Konserve dem medizinischen Standard widersprach. Der Mitangeklagte Prof. Dr. B. sei als Leiter des Instituts dafür verantwortlich, da er von dem Vorgang des "Abquetschens" Kenntnis gehabt habe und ihn in Kenntnis seiner Unzulässigkeit geduldet habe, um die zu-

rückgegebenen Konserven weiter verwenden zu können. Auch die Beschwerdeführerin Prof. Dr. K. treffe eine strafrechtliche Verantwortlichkeit für die Transfusionszwischenfälle. Sie habe an ihnen zwar nicht mitgewirkt, habe aber ebenfalls Kenntnis von dieser Praxis gehabt und sei als stellvertretende Leiterin des Instituts verpflichtet gewesen, die unzulässige Behandlung der Blutkonserven durch eine Anzeige bei den vorgesetzten Stellen zu verhindern. Dies habe sie in strafbarer Weise unterlassen.

Der Bundesgerichtshof hat die Verurteilung der Beschwerdeführerin aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen, da die Strafkammer die Voraussetzungen einer Bestrafung wegen Unterlassens unzureichend festgestellt hatte. Eine Pflicht zum Einschreiten hätte das Bestehen einer Garantenstellung erfordert, die auch bei dem Stellvertreter des an sich verantwortlichen Leiters einer Einrichtung nicht ohne weiteres angenommen werden kann. Eine rechtliche Verpflichtung zum Tätigwerden etwa durch die Betrauung mit einer Aufsichtsfunktion oder auch deren faktische Übernahme konnte den Urteilsgründen nicht entnommen werden, da die Stellung und Funktion der Beschwerdeführerin innerhalb des Instituts nur unzureichend geklärt worden war. Auch hat das Landgericht nicht ausreichend dargelegt, ob eine Eingabe der Beschwerdeführerin an vorgesetzte Stellen angesichts des hohen fachlichen Ansehens ihres Vorgesetzten Prof. Dr. B. tatsächlich zu einer rechtzeitigen Beendigung der unzulässigen Praxis und damit zu einer Verhinderung der Transfusionszwischenfälle geführt hätte.

Urteil vom 19. April 2000 – 3 StR 442/99

Karlsruhe, den 19. April 2000

 

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