Die Entwicklung der Arbeitsgerichtsbarkeit

von Prof. Dr. Wolfgang Leinemann

  1. Die Ausgangslage
  2. Vorbilder und Vorläufer
    1. Die conseils de prud’hommes (Räte der Gewerbeverständigen)
    2. Die Errichtung von Gewerbegerichten in den Rheinlanden
    3. Die Übernahme der Gewerbegerichte durch Preußen
    4. Fehlschläge
  3. Das Gewerbegerichtsgesetz von 1890 und das Kaufmannsgerichtsgesetz von 1904
    1. Die Gewerbegerichte
    2. Die Kaufmannsgerichte
  4. Das Arbeitsgerichtsgesetz 1926
  5. Die Arbeitsgerichtsbarkeit von 1933 bis 1945
  6. Der Neubeginn der Arbeitsgerichtsbarkeit nach 1945
    1. Das Kontrollratsgesetz Nr. 21
    2. Das Arbeitsgerichtsgesetz vom 1. Oktober 1953
      1. Das Zustandekommen des Arbeitsgerichtsgesetzes 1953
      2. Die Errichtung des Bundesarbeitsgerichts
      3. Der neue Sitz des Bundesarbeitsgerichts

Der Weg zur eigenständigen Arbeitsgerichtsbarkeit, wie sie heute in Deutschland selbstverständlich scheint, ist nicht gradlinig verlaufen. Ursprünglich als ein Organ zur Disziplinierung von "widerspenstigen" Arbeitnehmern konzipiert, das in erster Linie Arbeitgebern Rechtsschutz bieten sollte und Arbeitnehmer von der Mitwirkung an der Rechtsfindung rechtlich oder auch faktisch ausschloß, hat die Arbeitsgerichtsbarkeit erst spät zu ihrer gegenwärtigen Gestalt gefunden, in der Berufsrichter und ehrenamtliche Richter von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite mit gleichen Rechten an gerichtlichen Entscheidungen mitwirken.

I. Die Ausgangslage

Der Beginn der Industrialisierung und der damit verbundene Niedergang der Zünfte waren in Deutschland die Ausgangspunkte für die Versuche, eine eigenständige Gerichtsbarkeit für Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu errichten.

Noch im 18. Jahrhundert war die Entscheidung von Streitigkeiten zwischen Handwerkern untereinander und zwischen Handwerkern und Gesellen weithin unangefochten die autonome und standeseigene Aufgabe der Zünfte. Mit der Beseitigung des Zunftszwangs und danach der Aufhebung der Zünfte selbst erlosch die standeseigene Jurisdiktion der Zunfthandwerker ebenso wie die Zunftstatuten und die auf die Zunftverfassung Bezug nehmenden staatlichen Regelungen. Danach gab es zahllose Anläufe mit wechselnden und einander z. T. widerstreitenden Ansätzen, mit denen versucht worden ist, eine auch sozialpolitisch befriedigende Lösung für den Rechtsschutz im Arbeitsleben zu schaffen. Die Auseinandersetzungen hierüber dauerten insgesamt mehr als ein Jahrhundert, bis eine eigenständige Arbeitsgerichtsbarkeit in Deutschland durchgesetzt werden konnte.

Vorbild für die Entwicklung zu einer Arbeitsgerichtsbarkeit in Deutschland waren die französischen conseils de prud’hommes.

II. Vorbilder und Vorläufer

1. Die conseils de prud’hommes (Räte der Gewerbeverständigen)

a) Aufgrund der Revolution von 1789 waren in Frankreich bereits im Jahre 1791 die Gewerbefreiheit eingeführt, die Zünfte beseitigt, das Arbeitsverhältnis als Schuldverhältnis der freien Übereinkunft der Parteien überlassen und zugleich die Entscheidung hierüber und in gewerberechtlichen Streitigkeiten insgesamt der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte zugewiesen worden.

Diese verfahrensrechtliche Zuordnung war u.a. wegen der Schwerfälligkeit der Gerichtsbarkeit, der damit verbundenen hohen Kosten und der mangelnden Kenntnis der Zivilrichter von gewerberechtlichen Zusammenhängen ein Fehlschlag. Der Versuch, die Polizeibehörden mit Rechtsprechungsaufgaben für gewerbliche Streitigkeiten zu betrauen, brachte keine Besserung. Diese Unzuträglichkeiten veranlaßten die Lyoner Seidenfabrikanten in den Jahren 1804 und 1805 zu mehreren Eingaben an die Regierung. Sie forderten die Wiederherstellung des 1791 abgeschafften Tribunal Commun, das bis dahin der Schlichtung von Streitigkeiten mit den Arbeitern dieser Unternehmer gedient hatte. Die Eingabe führte zum Erlaß des Gesetzes vom 18. März 1906 und des Gewerbegerichtsgesetzes von 1809, mit dem den Zivilgerichten und den Verwaltungsbehörden die Zuständigkeit für die Entscheidung arbeitsrechtlicher Streitigkeiten entzogen und den neuerrichteten coneils des purd’hommes übertragen wurde. Der nach diesen Bestimmungen geschaffene Rat der Gewerbeverständigen hat die weitere Entwicklung zu einer eigenständigen Arbeitsgerichtsbarkeit auch in Deutschland maßgebend beeinflußt.

b) Die Besetzung des Rats von Lyon

Der Rat war (zunächst) mit insgesamt neun selbständigen Gewerbetreibenden besetzt. Er war das Rechtsprechungsorgan für die großgewerbliche Wirtschaft. Ein unparteiischer Vorsitzender war noch ebensowenig vorgesehen wie die Vertretung von Arbeitnehmern in diesem Organ. Der Rat war jeweils unter Begrenzung auf einzelne Industriezweige u.a. zuständig für Klagen aus den Ausbildungs- und Arbeitsverhältnissen und für Klagen von Gewerbetreibenden untereinander. Auch Aufgaben der Schlichtung waren ihm übertragen.

c) Der Verfahrensweg

Die obligatorische Güteverhandlung, die heute am Beginn des arbeitsgerichtlichen Prozesses steht, hat im Verfahren der conseils de prud’hommes ihren Ursprung. Ein Vergleichsbüro (bureau particulier) mit zwei Mitgliedern machte den Parteien einen Einigungsvorschlag. Blieb er ergebnislos, entschied das Hauptbüro (bureau general) bis zu einem Streitwert von zunächst 60 frs. endgültig. Noch heute knüpft die Arbeitsgerichtsbarkeit in Frankreich an diese Einrichtungen an.

2. Die Errichtung von Gewerbegerichten in den Rheinlanden

Entsprechend diesem Vorbild wurde in den französisch verwalteten Gebieten Deutschlands ("Departement de la Roer") sogleich Räte der Gewerbeverständigen gegründet, z. B. der Rat der Werkverständigen in Aachen (1808) und die Räte der Gewerbeverständigen in Köln und in Krefeld (1811).

3. Die Übernahme der Gewerbegerichte durch Preußen

a) Die preußischen Fabriken- und Gewerbegerichte

Die Räte in Köln und in Aachen haben ihre Tätigkeit nach Zusammenfassung der Rheinlande als königlich-preußische Rheinprovinz nunmehr als preußische Gerichte bruchlos fortgeführt. Auch in den rechtsrheinischen Gebieten der Rheinprovinz wurden Gewerbe- und Fabrikengerichte eingerichtet (Krefeld 1834, Gladbach 1835, Solingen, Barmen, Elberfeld, Remscheid und Lennep (heute Stadtteil von Remscheid) 1840). Die Errichtung dieser Gerichte war dadurch begünstigt, daß im Jahre 1830 die Zuständigkeit der Räte auf die gesamte Industrie und das Handwerk ausgedehnt worden war. Gerichtsgründungen in Burscheid (1834), Düsseldorf (1844) und zuletzt in Mühlheim (1857) schlossen sich an.

b) Die Besetzung und das Verfahren der Gewerbegerichte in der Rheinprovinz

Verfassung und Verfahren dieser Gerichte waren nicht gleich geordnet, aber vergleichbar ausgestaltet: Die Mitglieder des Gerichts wurden durch die Fabrikinhaber, Werkmeister, Handwerkmeister und selbständigen Arbeiter gewählt, soweit sie mindestens drei, z. T. auch vier Taler Klassensteuer zahlten. Das schloß Fabrikarbeiter, die als Angehörige der letzten Klasse jährlich nur einen halben Taler Steuer zu entrichten hatten, vom Wahlrecht aus. Damit kamen insoweit nur selbständige Hausgewerbetreibende oder Arbeitnehmer mit Leitungsfunktionen als Richter in Betracht. Die einzelnen Gewerbe waren in den Gerichten im Verhältnis ihrer Zahl vertreten; aus dem Fabrikantenstand wurde jeweils ein Richter mehr als aus dem Kreis der Arbeiter genommen. Sie wurden durch die Regierung bestätigt und wählten aus ihrer Mitte den Vorsitzenden und dessen Stellvertreter, die der Arbeitgeberseite zu entnehmen waren, ein ebenfalls gewählter Sekretär führte die Protokolle, verwaltete die Kanzlei und zeichnete die Urteile gegen. Die Parteien erschienen persönlich, die Verhandlungen waren mündlich und gliederten sich in das Verfahren vor der Vergleichskammer und dem Hauptbüro.

4. Fehlschläge

a) Ausdehnung der Gewerbegerichtsbarkeit im übrigen Deutschland

Versuche, auch in den anderen Landesteilen Preußens Gewerbegerichte wie in der Rheinprovinz zu errichten, hatten ebenso wie in den deutschen Staaten außerhalb Preußens nur geringen Erfolg. Dies beruhte z. B. in Sachsen darauf, daß dort erst im Jahre 1861 die Gewerbefreiheit eingeführt worden ist und damit die Disziplinierung der Arbeitnehmer, der die Gewerbegerichte nach allgemeiner Auffassung zu dienen hatten, noch durch die alten gewerblichen Organisationen, die Zünfte, erfüllt wurde. Häufig war auch der Widerstand der ordentlichen Justiz die Ursache dafür, daß die Bildung von Gewerbegerichten unterblieb.

b) Die Allgemeine preußische Gewerbeordnung von 1845

Einen neuen Anlauf zur Einführung von Gewerbegerichten auch im übrigen Preußen enthielt die Gewerbeordnung vom 17. Januar 1845. Sie verband für die arbeitsrechtlichen Streitigkeiten zwei Ziele miteinander: Einmal entzog sie gewerbliche Arbeitsverhältnisse den Zivilgerichten und ordnete sie dem Gewerberecht zu. Zum anderen suchte sie, die standeseigene Gerichtsbarkeit der Handwerker wieder zu beleben.

Der Durchführung des ersten Ziels diente vor allem die Verordnung über die Errichtung von Gewerbegerichten vom 9. Februar 1849. Sie enthielt die Grundzüge, die für die Rheinprovinz bereits maßgeblich waren. Dieser Versuch die Rheinischen "Räte der Gewerbeverständigen" auf ganz Preußen auszudehnen, schlug aus vielerlei Gründen fehl.

c) Die Gewerbeordnung für das Deutsche Reich Die Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund vom 21. Juni 1869 wiederholte in § 108 z.T. die Regelung der preußischen Gewerbeordnung von 1845. Wesentlich neu war § 108 Abs. 4 GewO (dem entsprach später § 120a GewO i.d.F. vom 17. Juli 1878), der die Möglichkeit eröffnete, durch Ortsstatut nach Anhörung der beteiligten Gewerbetreibenden und Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde gleichmäßig aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern gebildete Schiedsgerichte mit der Schlichtung der im Eingang von § 108 GewO umschriebenen gewerblichen Streitigkeiten zu betrauen. Dies entsprach einer Forderung, die schon von der Frankfurter Nationalversammlung im Jahre 1848 ausgesprochen und in § 47 der "Grundrechte" formuliert war: "Die bürgerliche Rechtspflege soll in Sachen besonderer Berufserhebung durch sachkundige von den Berufsgenossen gewählte Richter geübt oder mitgeübt werden".

Von der Gewerbeordnung waren alle prozessualen Einzelheiten den Ortsstatuten, also gemeindlichen Regelungen, überlasen. Auch über die Vollstreckbarkeit der Urteile erhielt das Gesetz keine Vorschriften. Insbesondere weil zum Gesetz Ausführungsbestimmungen fehlten, wurden nur selten entsprechende Ortsstatuten erlassen. Bis zum Jahr 1874 waren im gesamten Reich nicht mehr als 57 dieser Gerichte entstanden, die in Organisation und Verfahren sehr unterschiedlich ausgestaltet waren und deren Tätigkeit wohl nicht zu Unrecht von Zeitgenossen als "kümmerliches Vegetieren" bezeichnet wurde. Außerdem gab es noch die (königlichen) Gewerbegerichte in der Rheinprovinz, die seit 1871 zum Deutschen Reich gehörenden elsaß-lothringischen Gewerbegerichte, ein aufgrund der sächsischen Gewerbeordnung von 1861 gegründetes Gewerbegericht in Meißen sowie die ebenfalls aufgrund Ländergesetzen errichteten Gewerbegerichte in Bremen und Hamburg. Sie waren aufgrund von § 14 Nr. 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 27. Januar 1877 bestehengeblieben.

Die gemeindlichen Schiedsgerichte wurden aufgrund des Reichsgesetzes vom 18. Juli 1881 zur Änderung der Gewerbeordnung durch erneut wieder eingeführte Innungsschiedsgerichte ergänzt, die aber ebenfalls nur vereinzelt errichtet wurden.

III. Das Gewerbegerichtsgesetz von 1890 und das Kaufmannsgerichtsgesetz von 1904

1. Die Gewerbegerichte

Die Verschärfung der innen- und der sozialpolitischen Lage der Arbeitnehmer und insbesondere der überregionale Bergarbeiterstreik im Mai 1889 mit mehr als 90000 Streikenden veranlaßte die Reichsregierung nach den sog. Februarerlassen von Kaiser Wilhelm II. vom 4. Februar 1890 und der darin geforderten Herstellung des "sozialen Friedens im Arbeitsleben", auf eine schnelle Verabschiedung des "Gesetzes betreffend die Gewerbegerichte" im Reichstag hinzuwirken. Das Inkrafttreten dieses Gesetzes am 29. Juli 1890 wird zu Recht allgemein als der Beginn der Vereinheitlichung der deutschen Arbeitsgerichtsbarkeit angesehen. Es entfaltete in der Folge eine zunächst ungeahnte Integrationswirkung für die Arbeiterschaft und ermöglichte endlich die Durchsetzung von Arbeitsrecht. Nach dem Gewerbegerichtsgesetz wurden die Gewerbegerichte als Einrichtungen der Gemeinden oder der Gemeindeverbände als staatliche besondere Gerichte neben der ordentlichen Gerichtsbarkeit errichtet. Sie waren seit der Gewerbegerichtsnovelle vom 30. Juni 1901 für Gemeinden mit mehr als 20000 Einwohnern obligatorisch und im übrigen bei Bedarf von den Landes-Zentralbehörden von Amts wegen zu errichten. Jedes Gewerbegericht mußte mindestens aus einem Vorsitzenden, dessen Stellvertreter und vier Beisitzern bestehen.

Vorsitzende und Stellvertreter brauchten zwar nicht über die Fähigkeit zum Richteramt zu verfügen, durften aber weder Arbeitgeber noch Arbeiter sein. Sie wurden durch den Magistrat oder durch die Gemeindevertretung für mindestens ein Jahr gewählt. Die Inhaber dieser Ämter waren in der Mehrzahl hauptamtliche Magistratsräte, die ihre Aufgabe mit großer Hingabe und mit Erfolg erfüllten. Der rasche Aufschwung der Gewerbegerichtsbarkeit und die allgemeine Anerkennung der Gewerbegerichte als "Vertrauensgerichte" sind nicht zuletzt ihr Verdienst.

Die Beisitzer waren je zur Hälfte Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Sie wurden von diesen jeweils in unmittelbarer und geheimer Wahl bestimmt. War ein zuständiges Gewerbegericht nicht vorhanden, konnte jede Partei um die vorläufige Entscheidung durch den Vorsteher der Gemeinde nachsuchen. Die Entscheidung erlangte Rechtskraft, wenn nicht binnen zehn Tagen von einer der Parteien Klage bei den ordentlichen Gerichten erhoben wurde.

Das Gericht verhandelte regelmäßig in der Besetzung von drei Mitgliedern unter Einschluß des Vorsitzenden. Sehr häufig wurden Fachkammern für einzelne Berufe gebildet.

Die Zuständigkeit der Gewerbegerichte erstreckte sich auf die "gewerblichen Streitigkeiten zwischen Arbeitern einerseits und ihren Arbeitgebern andererseits sowie zwischen Arbeitern desselben Arbeitgebers" (§ 1 Abs. 1 GewGG). Als Arbeiter galten die "Gesellen, Gehilfen, Fabrikarbeiter und Lehrlinge" i.S. von § 105 ff. GewO, "Betriebsbeamte, Werkmeister und mit höheren Dienstleistungen betraute Angestellte", jedoch nur, wenn ihr Jahresverdienst 200,-- M nicht überstieg. Die sachliche Zuständigkeit war in § 4 GewGG enumerativ aufgeführt. Der Zuständigkeitskatalog erstreckte sich neben den Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis auch auf sozialversicherungsrechtliche Streitigkeiten und auf Ansprüche aus gemeinsamer Arbeit von Arbeitern desselben Arbeitgebers. Ausgenommen waren aber Streitigkeiten aus nachvertraglichen Wettbewerbsklauseln.

Die Verfahrensgrundsätze des Gewerbegerichtsgesetzes bilden noch heute das Gerüst der Vorschriften über das erstinstanzliche Verfahren in der Arbeitsgerichtsbarkeit. Die Rechtsschutzgewährung in einem schnellen und gleichwohl gründlichen Verfahren, wie sie noch immer Hauptziel des arbeitsgerichtlichen Prozesses ist, war bereits im Gewerbegerichtsgesetz verwirklicht. Bemerkenswert ist auch, daß Rechtsanwälte vor den Gewerbegerichten als Prozeßbevollmächtigte oder als Beistand nicht zugelassen waren (§ 31 GewGG).

Als Rechtsmittel gegen die Entscheidungen des Gewerbegerichts war die Berufung an das Landgericht vorgesehen. Sie war aber nur bei einem Streitwert von mehr als 100,-- M zulässig. Dieser Betrag wurde nicht eben häufig erreicht.

Der mit dem Gewerbegerichtsgesetz beschrittene Weg zur Sondergerichtsbarkeit war der Beginn der Verrechtlichung des Arbeitsrechts, das jetzt anders als früher unmittelbar von den Beteiligten eher gestaltet als vollzogen werden konnte. Die Entwicklung der Gewerbegerichte zu "Vertrauensgerichten" auch der Arbeitnehmerschaft ist nicht zuletzt auf die erstmals verwirklichte Parität von Arbeitgeber- und von Arbeitnehmerseite im Gericht zurückzuführen.

2. Die Kaufmannsgerichte

Der Erfolg der Gewerbegerichtsbarkeit führte mit dem Gesetz über die Kaufmannsgerichte vom 6. Juli 1904 zu einer Ausdehnung der Sondergerichtsbarkeit auch auf die Handlungsgehilfen. Das Gesetz übernahm weitgehend die Vorschriften des Gewerbegerichtsgesetzes Die Verfassung des Kaufmannsgerichtsgesetzes unterschied sich von der des Gewerbegerichts nur dadurch, daß der Vorsitzende die Fähigkeit zum Richteramt oder zum höheren Verwaltungsdienst haben mußte. Die Kaufmannsgerichte waren häufig den Gewerbegerichten angegliedert.

Die Zuständigkeit der Kaufmannsgerichte erstreckte sich auf die "Streitigkeiten aus dem Dienst- oder Lehrverhältnis zwischen Kaufleuten einerseits und ihren Handlungsgehilfen oder Handlungslehrlingen andererseits" (§ 1 KGG), soweit der Jahresverdienst 5000,-- M nicht überstieg. Berufungen zum Landgericht waren erst bei einem Streitwert von mehr als 300,-- M zulässig. Rechtsanwälte waren auch hier in der ersten Instanz ausgeschlossen. Die Verweisung von Streitigkeiten zwischen Gewerbegericht und Kaufmannsgericht geschah durch Beschluß.

Die Regelungen des Gewerbegerichts- und des Kaufmannsgerichtsgesetzes bezogen sich nur auf gewerbliche und auf kaufmännische Arbeitsverhältnisse. Damit konnten ganze Gruppen von Arbeitnehmern wie z.B. Hausgehilfen, Angestellte nichtkaufmännischer und nichtgewerblicher Betriebe, Landarbeiter oder Angestellte mit höheren Einkommen ihre Streitigkeiten nicht vor diese Gerichte bringen.

IV. Das Arbeitsgerichtsgesetz 1926

Durch das Arbeitsgerichtsgesetz vom 23. Dezember 1926, das am 1. Juli 1927 in Kraft getreten war, ist die Zersplitterung der gerichtlichen Zuständigkeiten für die Entscheidung von Arbeitsrechtsstreitigkeiten beseitigt worden. An die Stelle der Gewerbe- und Kaufmannsgerichte, der Innungsschiedsgerichte und der zwischenzeitlich errichteten vorläufigen Arbeitsgerichte tragen die Arbeitsgerichte als selbständige staatliche Gerichte. Als einzige Ausnahme blieb die auch heute noch vorhandene Aufrechterhaltung der Zuständigkeit der Innungen für die Entscheidung von Streitigkeiten aus dem Berufsausbildungsverhältnis (§ 111 ArbGG).

Mit dem Arbeitsgerichtsgesetz war erstmals gelungen, ein lückenloses System von Arbeitsgerichten zu schaffen und zudem in sämtlichen Rechtszügen die paritätische Beteiligung von Arbeitnehmern und von Arbeitgeberbeisitzern zu sichern. Die mit dem Arbeitsgerichtsgesetz nach erheblichen politischen Auseinandersetzungen erreichte Selbständigkeit der Arbeitsgerichte galt freilich nur für die erstinstanzlichen Arbeitsgerichte. Die Berufungsgerichte und das Revisionsgericht waren jeweils der ordentlichen Gerichtsbarkeit angegliedert.

Die Arbeitsgerichte wurden nach dem Gesetz regelmäßig für den Bezirk eines Amtsgerichts errichtet. Die Verwaltungsgeschäfte und die Dienstaufsicht führte die Landesjustizverwaltung im Einvernehmen mit der obersten Landesbehörde für Sozialverwaltung. Zu Vorsitzenden, die "rechtsgelehrte Richter" sein mußten, wurden in der Regel "ordentliche Richter", also Richter der ordentlichen Gerichtsbarkeit, bestellt (§ 6, § 18 Abs. 2 ArbGG 1926). Die Landesarbeitsgerichte wurden den Landgerichten, das Reichsarbeitsgericht dem Reichsgericht angegliedert. Das Reichsarbeitsgericht war damit Teil des Reichsgerichts.

Die Kammern der Arbeitsgerichte und der Landesarbeitsgerichte verhandelten in der Besetzung mit einem Vorsitzenden und je einem Arbeitgeber- und einem Arbeitnehmerbeisitzer. Dieser ehrenamtlichen Richter wurden nun auf Vorschlag der Arbeitgeberverbände und der Gewerkschaften auf die Dauer von drei Jahren berufen. Das Reichsarbeitsgericht bestand bis zu seinem Ende nur aus einem Senat, der in der Besetzung mit einem Vorsitzenden, zwei richterlichen Beisitzern sowie je einem Beisitzer der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer tätig wurde.

Das Arbeitsgerichtsgesetz 1926 hat in großer Zahl bewährte Verfahrensvorschriften aus dem Gewerbegerichtsgesetz übernommen und seither aufgetretene Mängel des Verfahrens geändert. Zwar blieb es bei der enumerativen Aufzählung der Zuständigkeiten. Diese waren aber nun umfassend ausgestaltet. Sie finden sich weitgehend übereinstimmend auch im gegenwärtig geltenden Arbeitsgerichtsgesetz wieder. Das Arbeitsgerichtsgesetz 1926 enthielt erstmals zwei Verfahrensarten: Das Urteils- und das Beschlußverfahren. Auch diese Unterscheidung ist für den heutigen Rechtszustand wegweisend geworden.

V. Die Arbeitsgerichtsbarkeit von 1933 bis 1945

Die Entwicklung der Arbeitsgerichtsbarkeit ist in Deutschland durch die staatliche Machtübernahme der Nationalsozialisten jäh unterbrochen worden. Als erste Maßnahme waren politisch unliebsame Berufs- und ehrenamtliche Richter aus den Ämtern entfernt und zunächst der gewerkschaftliche Einfluß auf die Arbeitsgerichtsbarkeit in jeder Form ausgeschlossen worden. Statt dessen war für Arbeitnehmer und auch für Unternehmer die Prozeßvertretung vor den Arbeitsgerichten aller Instanzen weitgehend auf die neugebildeten Rechtsberatungsstellen der Deutschen Arbeitsfront sowie von ihr beauftragter Rechtsanwälte übertragen und damit der Zugang zum gerichtlichen Verfahren kanalisiert. Auch die Berufung als Beisitzer in den Kammern der Arbeitsgerichte wurde Sache der Arbeitsfront. Die Arbeitsgerichtsbarkeit verlor auch deshalb an Bedeutung, weil Arbeitsgerichtsprozesse nicht mit dem nationalsozialistischen Ideal einer konfliktfreien Betriebsgemeinschaft vereinbar waren: Da jeder Prozeß nicht die Verbundenheit von Betriebsführer und Gefolgschaftsmitglied, sondern deren Interessengegensatz aufzeigte, galten solche Rechtsstreitigkeiten als unerwünscht.

VI. Der Neubeginn der Arbeitsgerichtsbarkeit nach 1945

1. Das Kontrollratsgesetz Nr. 21

Bei der Wiederaufnahme der Rechtspflege nach 1945 haben zunächst die ordentlichen Gerichte die Zuständigkeit in Arbeitsrechtssachen wahrgenommen. Das Kontrollratsgesetz Nr. 21 vom 30. März 1946 hat dann die Neugründung der Arbeitsgerichtbarkeit für die erstinstanzlichen Arbeitsgerichte und die Berufungsgerichte eingeleitet.

Das Gesetz enthielt nur Bestimmungen für die Organisation, die Besetzung und die Zuständigkeit der Gerichte. Für das Verfahren war auf das Arbeitsgerichtsgesetz vom 23. Dezember 1926 verwiesen, soweit dessen Bestimmungen nicht im Widerspruch zu dem Kontrollratsgesetz Nr. 21 standen. Für die Verfassung der nun wieder neuzugründenden Arbeitsgerichtsbehörden brachte das Kontrollratsgesetz erhebliche Veränderungen.

Arbeitsgerichte und Landesarbeitsgerichte waren nun ausschließlich den obersten Arbeitsbehörden der Länder unterstellt. Die Vorsitzenden der Arbeitsgerichte und deren Stellvertreter wurden jeweils auf die Dauer von drei Jahren bestellt. Sie brauchten nicht Berufsrichter zu sein, es war vielmehr ausreichend, wenn sie aufgrund ihrer bisherigen Tätigkeit besonders erfahren in Arbeitsrechtsangelegenheiten waren. Bei der Bestellung der Vorsitzenden waren Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände zu beteiligen.

Das Kontrollratsgesetz Nr. 21 hatte nur die Errichtung von Arbeitsgerichten und Berufsgerichten vorgeschrieben. An ein oberstes Arbeitsgericht für alle deutschen Länder oder auch nur für die einzelnen Besatzungszonen war angesichts der staatlichen Organisation in dieser Zeit noch nicht zu denken.

Die neuen Arbeitsgerichte waren zwar auch wieder für kollektivrechtliche Streitigkeiten zuständig. Da aber die Betriebsverfassung noch nicht neu geregelt war und das Betriebsrätegesetz des Kontrollrats vom 10. April 1946 (Kontrollratsgesetz Nr. 22) den Betrieben überließ, die Aufgaben und Befugnisse der Betriebsräte durch Vereinbarung im einzelnen festzulegen, hatte sich das Kontrollratsgesetz Nr. 21 damit begnügt, die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte auf Streitigkeiten über die Auslegung von Betriebsvereinbarungen zu erstrecken. Ein besonderes Verfahren war hierfür nicht vorgesehen.

Die unterschiedliche Gesetzgebung in den Ländern und das Auseinanderstreben der Rechtsprechung der Landesarbeitsgerichte in zahlreichen wichtigen Rechtsfragen ließ den Wunsch nach einer Neuordnung der Arbeitsgerichtsverfassung sehr rasch besonders dringend werden.

2. Das Arbeitsgerichtsgesetz vom 1. Oktober 1953

Durch Art. 96 Abs. 1 GG a.F., der dem heutigen Art. 95 Abs. 1 GG entspricht, ist dann für die Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1949 die verfassungsrechtliche Entscheidung für ein Rechtssystem mit mehreren selbständigen Zweigen, darunter der Arbeitsgerichtsbarkeit, getroffen und bestimmt worden, daß für jeden Zweig der Gerichtsbarkeit ein oberster Gerichtshof des Bundes und damit eine Revisionsinstanz zu errichten ist. Damit ist für die Arbeitsgerichtsbarkeit erstmals ein dreistufiger, von einer anderen Gerichtsbarkeit selbständiger Instanzenzug gewährleistet.

a) Das Zustandekommen des Arbeitsgerichtsgesetzes 1953

Die Entscheidung der Verfassung ist erst im Jahre 1953 mit dem Arbeitsgerichtsgesetz in die Praxis umgesetzt worden.

Der Gesetzentwurf ist nach Vorarbeiten aus dem Jahre 1951 am 27. Juni 1952 dem Bundestag zugeleitet und von den Bundestagsausschüssen für Arbeit und für Rechtswesen und Verfassungsrecht nicht unwesentlich abgeändert worden. Das Arbeitsgerichtsgesetz ist am 1. Oktober 1953 in Kraft getreten.

Das Arbeitsgerichtsgesetz hat die vom Kontrollratsgesetz Nr. 21 gezogenen Grundlinien aufgenommen und die sich danach ergebenden Zweifelsfragen beantwortet. So sind in dem Gesetz Vorschriften über die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte für die Entscheidung von betriebsverfassungsrechtlichen Fragen und über die Tariffähigkeit von Vereinigungen eingefügt und das Beschlußverfahren neu geregelt worden.

b) Die Errichtung des Bundesarbeitsgerichts

Die organisatorische Trennung von Justiz und Arbeitsgerichtsbarkeit setzt das Arbeitsgerichtsgesetz konsequent fort. Dazu gehört vor allem die bisher fehlende Errichtung des Bundesarbeitsgerichts als eines obersten Gerichtshofs des Bundes, der zuständig für alle Revisionen und Rechtsbeschwerden in Arbeitsrechtssachen ist. Die Regelungen über das Bundesarbeitsgericht bilden damit den Schlußstein für die Entwicklung einer eigenständigen Arbeitsgerichtsbarkeit.

Das Bundesarbeitsgericht besteht nach § 41 Abs. 1 ArbGG aus dem Präsidenten, der erforderlichen Zahl von Vorsitzenden Richtern, von berufsrichterlichen Beisitzern sowie ehrenamtlichen Richtern, die je zur Hälfte aus den Kreisen der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber entnommen werden. Mit dieser Regelung und der Bestimmung, daß jeder Senat in der Besetzung mit einem Vorsitzenden, zwei berufsrichterlichen Beisitzern und je einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber tätig wird, knüpft das Gesetz wiederum an das Arbeitsgerichtsgesetz 1926 an. Anders als damals ist nunmehr das Gericht selbständig unter der Dienstaufsicht des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung organisiert. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung führt die Geschäfte der Verwaltung und der Dienstaufsicht im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Justiz.

"Das Bundesarbeitsgericht hat seinen Sitz in Kassel". Diese Regelung in § 40 Abs. 1 ArbGG war in den parlamentarischen Beratungen nicht unumstritten. Auch andere Städte waren als Standort für das Gericht genannt worden. Im Vordergrund der Erörterungen stand nicht etwa praxisnahe die Überlegung, ob das Gericht in einem industriellen Ballungszentrum zu plazieren sei, sondern ob für die Arbeit des Gerichts eine wissenschaftliche Universitätsstadt vorhanden ist. Obwohl zu dieser Zeit hier noch keine Universität bestand, hat sich der Gesetzgeber dennoch für Kassel als Sitz des Bundesarbeitsgerichts und zugleich des Bundessozialgerichts entschieden, das mit dem Bundesarbeitsgericht in vielen Aufgabenstellungen verbunden ist. Damit ist zugleich eine nunmehr über viele Jahrzehnte reichende Zusammenarbeit beider Gerichte, die aus vielen rechtlichen und praktischen Gründen unabdingbar ist, ermöglicht worden.

Das Bundesarbeitsgericht hat seine Rechtsprechungstätigkeit im April 1954 aufgenommen.

c) Der neue Sitz des Bundesarbeitsgerichts

Im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung Deutschlands hat der Deutsche Bundestag durch Beschluß vom 20. Juni 1991 eine "Unabhängige Föderalismus-Kommission" eingerichtet, die Vorschläge für eine ausgeglichene Verteilung von Bundesbehörden unter besonderer Berücksichtigung der neuen Länder erarbeiten sollte Diese Kommission hat empfohlen, das Bundesarbeitsgericht nach Thüringen zu verlegen. Die Empfehlung wurde vom Bundeskabinett bestätigt und am 26. Juni 1992 in einem Beschluß vom Deutschen Bundestag angenommen. Der Sitz des Bundesarbeitsgerichts ist daher seit dem 22. November 1999 in der Landeshauptstadt Erfurt.(Informationen zur Verlegung).