Verknüpftes Dokument, siehe auch: Urteil des 12. Senats vom 7.5.2014 - B 12 KR 2/12 R -, Urteil des 12. Senats vom 7.5.2014 - B 12 R 18/11 R -, Urteil des 12. Senats vom 30.10.2013 - B 12 KR 21/11 R -, Urteil des 12. Senats vom 7.5.2014 - B 12 R 5/12 R -
Kassel, den 7. Mai 2014
Terminbericht Nr. 17/14
(zur Terminvorschau Nr. 17/14)
Der 12. Senat des Bundessozialgerichts berichtet über seine Sitzung vom 7. Mai 2014.
1) Die Revision des Klägers ist ohne
Erfolg geblieben. Die von den Beklagten für den Zeitraum 2.1.2006 bis
1.7.2006 vorgenommene Beitragsfestsetzung ist nicht zu beanstanden.
Insbesondere durften die Beiträge zur freiwilligen Versicherung in der
gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sowie diejenigen zur sozialen
Pflegeversicherung (sPV) unter Zuordnung des Überbrückungsgeldes (Übbg)
zu den jeweiligen Bewilligungsmonaten festgesetzt werden. Grundlage für
die Einbeziehung des Übbg im Jahr 2006 war noch § 240 SGB V iVm der
Satzung der Beklagten, für die sPV iVm § 57 Abs 4 S 1 SGB XI. In § 7
Abs 3 Nr 1 Buchst a der Satzung der Beklagten wurden die gesetzlichen
Vorgaben für die Beitragsbemessung beanstandungsfrei umgesetzt. Auch das
Übbg durfte für die Beitragsbemessung herangezogen werden; denn es
sollte nach den Gesetzesmaterialien Existenzgründern durch Zahlung eines
regelmäßigen Zuschusses für die Dauer von sechs Monaten gerade die
Sicherung des Lebensunterhalts ermöglichen. Insoweit privilegierende
Regelungen sah das Gesetz in der hier streitigen Zeit nicht vor.
Entgegen der Ansicht des Klägers besteht keine rechtliche Handhabe, die
Gesamtsumme des im Jahr 2006 gezahlten Übbg mit monatlich nur je 1/12
der Beitragsbemessung zugrunde zu legen. Zutreffend ist vielmehr die
volle Berücksichtigung dieser Leistungen für die Monate, für die es dem
Kläger zustand und gezahlt wurde. Das folgt aus § 22 Abs 1 S 1 SGB IV,
wonach Beitragsansprüche entstehen, sobald ihre im Gesetz oder auf Grund
eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen. Da Übbg gemäß § 337
Abs 2 SGB III monatlich wiederkehrend jeweils nachträglich für eine
Dauer von sechs Monaten gewährt wird ‑ was die Bundesagentur für Arbeit
auch in ihrem Bewilligungsbescheid so geregelt hatte –, war ein insoweit
fälliger Leistungsanspruch entstanden (vgl §§ 40, 41 SGB I) und
zeitgleich auch ein entsprechender Beitragsanspruch. Aus
Satzungsregelungen der Beklagten über die Zwölftelung der
voraussichtlichen Jahreseinnahmen folgt nichts anderes, weil sich dies
nur auf Einkommensarten beziehen kann, die auf Jahresbasis ermittelt
werden. Dass das Übbg der Sicherung des Lebensunterhalts in der
Existenzgründungsphase dienen soll, bewirkt keine Gleichsetzung mit
Arbeitseinkommen iS von § 15 SGB IV (vgl bereits BSG SozR 4-5868 § 3
Nr 2). ‑ Die Beklagte musste dagegen das vom Kläger im Jahr 2006
erzielte Arbeitseinkommen bzw seine Kapitaleinkünfte nicht monatsbezogen
berücksichtigen. Vielmehr ist bei diesen Einnahmen ‑ entsprechend ihrer
Ermittlung im Einkommensteuerrecht ‑ eine jahresweise Betrachtung
angezeigt und dann eine Zwölftelung hinsichtlich der monatlichen
Einnahmen vorzunehmen (vgl zuletzt auch Senatsurteil vom 30.10.2013
‑ B 12 KR 21/11 R, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).
Verfassungsrecht wird durch die unterschiedliche beitragsrechtliche
Behandlung der jeweiligen Einnahmen nicht verletzt, weil der Gesetzgeber
insoweit einen weiten Gestaltungsspielraum besitzt.
SG Heilbronn
- S 10 KR 1025/09 -
LSG
Baden-Württemberg
- L 4 KR 4781/09 -
Bundessozialgericht
- B 12 KR 2/12 R -
2) Die Revision
des Klägers führte zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur
Zurückverweisung der Sache an das LSG. Der Senat konnte auf Grund der
vom LSG nur punktuell festgestellten Tatsachen nicht abschließend
entscheiden, ob die auf die Beschäftigung des Beigeladenen zu 1. für den
Zeitraum vom 1.4.2003 bis 30.11.2004 bezogene Beitragsnachforderung des
beklagten Rentenversicherungsträgers rechtmäßig ist. Zudem halten
zentrale rechtliche Erwägungen des LSG einer revisionsrechtlichen
Überprüfung nicht Stand.
Bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung der Sache wird das LSG
Folgendes beachten müssen: Wird vom Arbeitgeber eine Beitragsforderung
bestritten, ist zunächst das dem Arbeitnehmer geschuldete
Bruttoarbeitsentgelt zu ermitteln, aus dem sich ‑ im Grundsatz ‑ in
Verbindung mit dem Beitragssatz die Höhe der Beitragsforderung
errechnet. Dafür gilt das Entstehungsprinzip (§ 22 Abs 1 S 1 SGB IV).
Erst wenn feststeht, ob und in welcher Höhe der Arbeitsentgeltanspruch
entstanden ist, kommt es darauf an, ob Teile des so ermittelten
Entgeltanspruchs nach § 1 ArEV iVm § 3b Abs 1 Nr 1 EStG von der
Beitragsbemessung auszunehmen sind. Letzteres wäre der Fall, wenn sie
als lohnsteuerfreie Zuschläge für tatsächlich geleistete Arbeit an Sonn-
und Feiertagen sowie zur Nachtzeit (SFN-Zeiten) zusätzlich zu dem
laufenden Arbeitslohn, der dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden
regelmäßigen Arbeitszeit ‑ die das Berufungsgericht ebenfalls nicht
festgestellt hat ‑ für den jeweiligen Lohnzahlungszeitraum zusteht,
gezahlt worden sind. Deshalb ist zunächst zu ermitteln, was dem
Beigeladenen zu 1. nach dem Inhalt des Arbeitsvertrags unter Beachtung
zwingender tarifvertraglicher und gesetzlicher Regelungen an
Arbeitsentgelt im jeweiligen Entgeltabrechnungszeitraum zustand. Dazu
sind auch Ermittlungen zur betrieblichen Praxis bei dem Kläger
notwendig, durch die der Inhalt des schriftlichen Arbeitsvertrags in
rechtlich zulässiger Weise konkretisiert oder modifiziert worden sein
könnte. Sollte sich danach ergeben, dass der vereinbarte Effektivlohn
von 7,47 Euro ‑ ein Nettobetrag ‑ in Wirklichkeit unabhängig davon
geschuldet bzw gezahlt wurde, ob und in welchem konkreten Umfang Arbeit
zu SFN-Zeiten geleistet wurde, wäre der Entgeltanspruch ‑ vorbehaltlich
gewährter bezahlter arbeitsfreier Tage und abweichender
tarifvertraglicher Regelungen ‑ nach § 6 Abs 5 ArbZG für die ggf
geleistete Nachtarbeit (anders für Arbeit an Sonn- und Feiertagen) um
einen angemessenen Zuschlag zum sich hieraus ergebenden
Bruttoarbeitsentgelt zu erhöhen.
Erst wenn das LSG den Entgeltanspruch des Beigeladenen zu 1. nach diesen
Grundsätzen festgestellt hat, ist weiter zu klären, ob die für eine
beitragsrechtliche Privilegierung der SFN-Leistungen nach dem hier
streitigen Modell die vom BFH zu § 3b EStG aufgestellten, über § 1 ArEV
auch für die Beitragsfestsetzung relevanten Voraussetzungen erfüllt
sind: Der BFH verlangt für die Einkommensteuerfreiheit pauschaler
Zuschläge in stRspr, dass die Arbeitsvertragsparteien die zunächst zur
Auszahlung kommenden Leistungen übereinstimmend als Abschlagszahlungen
oder Vorschüsse auf eine spätere Einzelabrechnung einordnen (vgl zB
zuletzt BFH Urteil vom 24.9.2013 – VI R 48/12; BFH Urteil vom 8.12.2011
- VI R 18/11, BFHE 236, 97 mwN); eine Einzelabrechnung zum jährlichen
Abschluss des Lohnkontos ist dabei grundsätzlich unverzichtbar. Ob
Entsprechendes ‑ wie in § 4 Arbeitsvertrag vorgesehen ‑ im Betrieb des
Klägers tatsächlich praktiziert wurde, muss tatrichterlich geklärt
werden.
Unbeschadet
dessen stellt sich die weitere Frage, ob das vom BFH akzeptierte
Berechnungsmodell (grundsätzlich mit einem jedenfalls
kalenderjahresbezogenen Ausgleichsmechanismus) ‑ sofern der Kläger es
überhaupt modellgetreu anwandte ‑ mit zwingendem
Sozialversicherungsrecht vereinbar ist. Selbst bei einem inhaltlichen
Gleichklang von § 1 ArEV und § 3b EStG ist zu beachten, dass das
Beitragsrecht der Sozialversicherung durch Geltung des
Entstehungsprinzips anstelle des Zuflussprinzips vom EStG abweicht. Ein
Arbeitsentgeltanspruch ist grundsätzlich im jeweiligen
Entgeltabrechnungszeitraum zu verbeitragen. Ausnahmen davon sieht das
Gesetz nur teilweise vor, zT erst für Zeiten, die nach der vorliegend
streitigen Beschäftigungszeit liegen. Eine ausdrückliche
sozialversicherungsrechtliche Regelung, die dem Wunsch entspricht,
SFN-Zuschläge bei der Entlohnung möglichst gleichmäßig
‑ pauschalierend ‑ mit beitragsfreier Wirkung zu verteilen, gibt es
dagegen nicht. Auf der Grundlage der bisher getroffenen tatsächlichen
Feststellungen des LSG ist indessen auch eine abschließende Prüfung der
Vereinbarkeit des abstrakten Vergütungs- und Abrechnungsmodells mit dem
Beitragsrecht der Sozialversicherung nicht möglich. Hierzu müssten die
genauen Konturen des ‑ vom LSG und dem Kläger unterschiedlich
dargestellten ‑ Modells feststehen; das Modell bleibt in seinen Details
jedoch selbst auf der Grundlage des revisionsrechtlich ohnehin nur
eingeschränkt berücksichtigungsfähigen Vorbingens der Klägerseite
unklar.
SG München
- S 30 R 2948/06 -
Bayerisches LSG
- L 5 R 425/08 -
Bundessozialgericht
- B 12 R 18/11 R -
3) Die Revision
der Beklagten ist erfolglos geblieben. Die Beklagte kann von der
Klägerin Gesamtsozialversicherungsbeiträge und Umlagen aus den
Beschäftigungen der Beigeladenen zu 1. und 2. vom 1.1.2003 bis
31.12.2005 nicht verlangen. Zwar waren die Beigeladenen ‑ wie zwischen
den Beteiligten auch außer Streit ist ‑ Beschäftigte der Klägerin iS von
§ 7 SGB IV und unterlagen damit grundsätzlich der Versicherungspflicht.
Allerdings bestand wegen Zeitgeringfügigkeit gemäß § 8 Abs 1 Nr 2 SGB IV
Versicherungsfreiheit. Eine den gesamten Zeitraum umfassende
"durchgehende" Dauerbeschäftigung bzw eine Beschäftigung auch in den
zwischen den jeweiligen Arbeitseinsätzen liegenden Zeiträumen war nach
den Feststellungen des LSG nicht gegeben. Die Beschäftigungen waren
jeweils zwar nicht entgeltgeringfügig, wohl aber zeitgeringfügig iS von
§ 8 Abs 1 Nr 2 SGB IV (in der bis 31.3.2003 geltenden Fassung des
Gesetzes vom 21.12.2000 BGBl I 1983). Das ist der Fall, wenn die
Beschäftigung innerhalb eines Jahres seit ihrem Beginn auf längstens
zwei Monate oder 50 Arbeitstage nach ihrer Eigenart begrenzt zu sein
pflegt oder im voraus vertraglich begrenzt ist, es sei denn, dass die
Beschäftigung berufsmäßig ausgeübt wird und ihr Entgelt 325 Euro bzw (ab
1.4.2003) 400 Euro im Monat übersteigt. Nach stRspr des BSG (vgl näher
SozR 3-2400 § 8 Nr 3, 4) hängt die Annahme von Zeitgeringfügigkeit davon
ab, ob die Beschäftigung regelmäßig oder nur gelegentlich erfolgt; dies
ergibt sich aus dem Zusammenspiel der genannten Regelung mit den
Voraussetzungen der in § 8 Abs 1 Nr 1 SGB IV geregelten
Entgeltgeringfügigkeit. Daran hält der Senat fest. Das LSG hat ausgehend
davon zutreffend die Zeitgeringfügigkeit bejaht. Regelmäßig ist eine
Beschäftigung, die bei vorausschauender Betrachtung von vornherein auf
ständige Wiederholung gerichtet ist und über mehrere Jahre hinweg
ausgeübt werden soll. Nach den für den Senat bindenden Feststellungen
des LSG (§ 163 SGG) trafen die Arbeitsvertragsparteien hier aber nur
beim ersten Kontakt im jeweiligen Kalenderjahr eine mündliche
Rahmenvereinbarung über die grundsätzliche Bereitschaft zu
Arbeitsleistungen. Die Arbeitsleistung war danach von vornherein nicht
vorhersehbar und folgte auch keinem Muster oder Rhythmus. Nach jedem
Arbeitseinsatz war unklar, ob es zu weiteren Einsätzen kommen würde,
auch war der Geschäftsbetrieb der Klägerin nicht darauf angelegt, auf
die Beigeladenen zu 1. und 2. iS eines Arbeitskräftepools
zurückzugreifen; die Klägerin versuchte vielmehr, Vertretungsbedarf
zunächst mit ihrer Stammbelegschaft aufzufangen. Die Arbeitseinsätze
erfolgten im Übrigen auch tatsächlich von ihrer zeitlichen Lage in
unterschiedlichen Monaten sowie zu unterschiedlichen Anlässen sowie von
der Anzahl der jeweiligen Arbeitstage her ohne erkennbares Schema. Die
Ansicht der Beklagten, "gewisse Zeitfenster" bzw ein "grober Rahmen"
hätten "sicherlich" vorgelegen, ist spekulativ und würde zudem bewirken,
dass für die Regelung zur Zeitgeringfügigkeit kaum noch Anwendungsfälle
blieben. Das Ausschlusskriterium der "berufsmäßigen" Ausübung der
Beschäftigung nach § 8 Abs 1 Nr 2 aE SGB IV war nicht erfüllt, weil die
Beigeladenen zu 1. und 2. nach den Feststellungen des LSG als
Altersrentner auf Einkünfte aus den streitigen Beschäftigungen nicht
angewiesen waren.
SG
Mannheim
- S 7 R 3401/09 -
LSG
Baden-Württemberg
- L 4 R 3335/11 -
Bundessozialgericht
- B 12 R 5/12 R -
4) In dieser -
zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung vorgesehen gewesenen - Sache
haben die Beteiligten den Rechtsstreit kurz vor dem Termin auf Vorschlag
des Senats durch einen Vergleich beendet.
SG Speyer
- S 7 KR 103/08 -
LSG
Rheinland-Pfalz
- L 5 KR 109/10 -
Bundessozialgericht
- B 12 KR 11/12 R -