Verknüpftes Dokument, siehe auch: Urteil des 12. Senats vom 30.10.2013 - B 12 R 17/11 R -, Urteil des 12. Senats vom 30.10.2013 - B 12 AL 2/11 R -, Urteil des 12. Senats vom 30.10.2013 - B 12 R 3/12 R -, Urteil des 12. Senats vom 30.10.2013 - B 12 R 14/11 R -, Urteil des 12. Senats vom 30.10.2013 - B 12 KR 21/11 R -, Urteil des 12. Senats vom 30.10.2013 - B 12 KR 17/11 R -
Kassel, den 30. Oktober 2013
Terminbericht Nr. 52/13
(zur Terminvorschau Nr. 52/13)
Der 12. Senat des Bundessozialgerichts berichtet über seine Sitzung vom 30. Oktober 2013.
1) Die Revision der Klägerin blieb ohne
Erfolg. Sie kann die Erstattung der von ihr als Arbeitgeberin vom
25.2.1980 bis 30.11.1996 für den Gesellschafter-Geschäftsführer L. zu
Unrecht entrichteten und von ihr getragenen Beiträge zur
Arbeitslosenversicherung nicht verlangen. Zwar war der Anspruch auf
Beitragserstattung entstanden und fällig, weil die Einzugsstelle
rückwirkend bestandskräftig feststellte, dass L. nicht
versicherungspflichtig war. Der Anspruch für die noch offene, über den
Zeitraum von vier Jahren zurückreichende Zeit ist indessen nach § 27
Abs 2 S 1 SGB IV verjährt. Es war nicht ermessensfehlerhaft und stellt
auch keine unzulässige Rechtsausübung dar, dass sich die Beklagte auf
die Einrede der Verjährung berief. Eine unbillige Härte, die
ausnahmsweise hätte Anlass geben können, dem Schutz der Klägerin vor
unvorhergesehenen Belastungen Vorrang gegenüber dem Interesse der
Versichertengemeinschaft einzuräumen, kann nicht angenommen werden.
Insbesondere rechtfertigt der Umstand, dass in der Vergangenheit
durchgeführte Arbeitgeberprüfungen ohne Beanstandungen blieben, nicht
die Annahme eines der Beklagten zuzurechnenden fehlerhaften
Verwaltungshandelns der Prüfbehörden. Es entspricht der ständigen
Rechtsprechung des Senats (zB BSGE 93, 119 = SozR 4-2400 § 22 Nr 2; SozR
4-2400 § 27 Nr 1), dass Arbeitgeber aus Betriebsprüfungen, die ohne
Beanstandungen geblieben sind, keinen besonderen Schutz gegen später
folgende nachteilige behördliche Entscheidungen herleiten können. Diese
Prüfungen haben nur den Zweck, die Beitragsentrichtung zu den einzelnen
Zweigen der Sozialversicherung im Sinne einer Kontrollfunktion zu
sichern. Eine Betriebsprüfung muss nicht umfassend oder erschöpfend
sein, sondern darf sich auf bestimmte Einzelfälle oder Stichproben
beschränken. Unterbliebene Beanstandungen schaffen keine
Vertrauensgrundlage für den Arbeitgeber, der verschiedene
verfahrensrechtliche Möglichkeiten hat, eine verbindliche Klärung über
die Versicherungs- oder Beitragspflicht der für ihn tätigen Personen
herbeizuführen. Diese Grundsätze gelten nach der oben zitierten
Rechtsprechung auch für Betriebsprüfungen in Klein- oder
Kleinstbetrieben, weil sich eine Unterscheidung zwischen Klein- und
Großbetrieben hinsichtlich Umfang und Schutzzweck von Betriebsprüfungen
dem geltenden Recht nicht entnehmen lässt. Daran hält der Senat trotz
von der BSG-Rechtsprechung teilweise abweichender Äußerungen in
instanzgerichtlichen Entscheidungen und im Schrifttum fest. Eine vom
Sozialversicherungsrecht abweichende rechtliche Ausgestaltung ist zwar
im Steuerrecht erfolgt (vgl die Änderungssperre nach § 173 Abs 2 S 1
Abgabenordnung), jedoch auf diesen Bereich beschränkt geblieben.
SG Frankfurt am Main - S 19 AL 4287/02 -
Hessisches LSG - L 7 AL 30/08 -
Bundessozialgericht - B 12 AL 2/11 R -
2) Die Revision
der Klägerin war erfolglos. Die Vorinstanzen haben zutreffend
entschieden, dass die Beklagte die Aufhebung der ursprünglich für die
Zeit vom 1.1.1998 bis 31.10.2002 ergangenen Beitragsbescheide auf § 45
Abs 1 S 1 iVm Abs 2 S 2 Nr 3 SGB X stützte und dass die
Beitragsnachforderung rechtmäßig ist. Die ursprünglichen
Beitragsbescheide waren insbesondere rechtswidrig begünstigende
Verwaltungsakte, weil sie eine zu niedrige Beitragsbemessung enthielten.
Nach § 240 Abs 1 S 1 SGB V in der bis 31.12.2008 geltenden Fassung oblag
es bei freiwillig versicherten Mitgliedern der jeweiligen
Krankenkassensatzung, die der Beitragspflicht unterliegenden Einnahmen
im gesetzlich zulässigen Rahmen festzulegen. Das geschah durch die der
Satzung der Beklagten in Einklang mit höherrangigem Recht und führte
dazu, dass auch Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung bei der
Beitragsbemessung herangezogen werden mussten (vgl zB schon BSGE 97, 41
= SozR 4-2500 § 240 Nr 8). Die Berücksichtigung solcher Einkünfte war in
den die Klägerin betreffenden Beitragsbescheiden gänzlich unterblieben.
Es verhielt sich auch nicht so, dass der Klägerin überhaupt keine
Einnahmen aus Vermietung zuzurechnen gewesen wären. Zwar sind bei der
Ermittlung der Mieteinnahmen diejenigen Aufwendungen einkommensmindernd
in Abzug zu bringen, die sich als Werbungskosten darstellen, etwa
Schuldzinsen und Sanierungskosten. Jedoch muss es sich dabei jeweils um
Aufwendungen handeln, die auch in der Person des Beitragspflichtigen
selbst angefallen sind. Ein interpersoneller Verlustausgleich findet im
Sozialversicherungsrecht nicht statt (anders als im Einkommensteuerrecht
mit der dort möglichen Zusammenveranlagung). Nach § 240 Abs 2 S 1 SGB V
sind nämlich Einnahmen der Beitragsbemessung mindestens in dem Umfang zu
Grunde zu legen wie bei einem vergleichbaren versicherungspflichtig
Beschäftigten; dieser aber hätte die Möglichkeit einer
beitragsmindernden Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung seines
Ehepartners auch nicht. Der Nachweis darüber, in welchem Umfang ein der
Beitragsbemessung zu Grunde zu legender Gewinn dem Versicherten selbst
einkommensmindernd zuzurechnen ist, lässt sich zuverlässig nur mit Hilfe
von Einkommensteuerbescheiden führen. Insoweit überträgt der Senat seine
Rechtsprechung zum Nachweis des Einkommens hauptberuflich selbstständig
Tätiger, die in der GKV freiwillig versichert sind (BSGE 104, 153 = SozR
4-2500 § 240 Nr 12), sinngemäß auf Einnahmen aus Vermietung und
Verpachtung. Da abzugsfähige Posten bei der Einkommensteuer hier dem
Ehemann der Klägerin zugeordnet worden waren, können sie im Rahmen der
Beitragsbemessung bei der Klägerin in der freiwilligen
Krankenversicherung nicht mindernd in Abzug gebracht werden. ‑ Die
Klägerin kann sich gegenüber der Aufhebung der Beitragsbescheide nicht
mit Erfolg auf Vertrauensschutz berufen, da ihr zumindest grob
fahrlässiges Verhalten vorzuwerfen ist. Obwohl in den ihr überlassenen
Fragebögen zu den Einkommensverhältnissen ausdrücklich Rubriken für
Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung vorgesehen waren, nahm sie dort
in Kenntnis der von ihr tatsächlich erzielten Einkünfte aus Vermietung
und Verpachtung keinerlei Eintragungen vor, ohne Zweifel durch Rückfrage
bei der Beklagten zu klären. Die vom LSG durchgeführte Beweisaufnahme
hat insoweit nichts zu Gunsten der Klägerin ergeben, ohne dass insoweit
Revisionsgründe geltend gemacht wurden. Unterlassene Auskünfte des
Steuerberaters können die Klägerin in Bezug auf die durch die Beklagte
vorzunehmende Beitragsfestsetzung nicht entlasten. Abwägungs- oder
Ermessensdefizite der Beklagten im Zusammenhang mit der
Bescheidrücknahme sind nicht erkennbar. Auch die festgesetzte
Beitragshöhe ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
SG Osnabrück - S 3 KR 61/05 -
LSG
Niedersachsen-Bremen - L 4 KR 39/08 -
Bundessozialgericht - B 12 KR 21/11 R -
3) Die Revision
der Beklagten führte zur Wiederherstellung des klageabweisenden
SG-Urteils. Zu Unrecht hat das LSG angenommen, dass die Klägerin auch
für die Zeit vom 1.10.2000 bis 27.6.2001 sowie ab 2.3.2003 von der
Rentenversicherungspflicht zu befreien war. Das im August 2006 erneut
geäußerte Befreiungsbegehren der Klägerin lehnte die Beklagte rechtmäßig
ab. Die Klägerin war in den streitigen Zeiträumen als
arbeitnehmerähnliche Selbstständige versicherungspflichtig. Nach dem
einzig in Betracht kommenden Befreiungstatbestand des § 6 Abs 1a S 1
Nr 2 SGB VI werden diese Personen, "von der Versicherungspflicht befreit
… nach Vollendung des 58. Lebensjahres, wenn sie
nach einer
zuvor
ausgeübten selbstständigen Tätigkeit erstmals nach § 2 S 1 Nr 9 SGB VI
versicherungspflichtig werden". Die Klägerin wurde zwar nach Vollendung
des 58. Lebensjahres jedenfalls ab 1.10.2000 in ihrer Tätigkeit als
Versicherungsvertreterin erstmals nach § 2 S 1 Nr 9 SGB VI
versicherungspflichtig. Es fehlt aber ‑ anders als vom LSG angenommen ‑
am Eintritt von Versicherungspflicht "nach" einer zuvor vor Vollendung
des 58. Lebensjahres ausgeübten selbstständigen Tätigkeit. Die nach § 2
S 1 Nr 9 SGB VI versicherungspflichtige Tätigkeit wurde nicht "nach" der
(früheren) selbstständigen Tätigkeit der Klägerin als Hotel- und
Restaurantbetreibern aufgenommen, sondern erst nach einer sodann
folgenden mehr als dreijährigen selbstgewählten Phase der
Nichterwerbstätigkeit, die nicht als für die Befreiung unschädlich
angesehen werden kann. Der Befreiungstatbestand des § 6 Abs 1a S 1 Nr 2
SGB VI erfordert einen zeitlichen Zusammenhang zwischen der bereits vor
Vollendung des 58. Lebensjahres ausgeübten selbstständigen Tätigkeit und
der nach Vollendung des 58. Lebensjahres erstmals
versicherungspflichtigen Tätigkeit. Dieser Zusammenhang darf weder durch
eine dazwischentretende Beschäftigung noch durch eine (nachhaltige)
gewillkürte Nichterwerbstätigkeit unterbrochen worden sein. Das folgt
sowohl aus dem Wortlaut der Regelung als auch aus dem in den
Gesetzesmaterialien zum Ausdruck kommenden Gesetzeszweck. Die
Befreiungsregelung sollte nur Selbstständigen in der Phase des
altersbedingten, einheitlichen Prozesses des Übergangs von der
Selbstständigkeit in die Nichterwerbstätigkeit ein dauerhaftes
Befreiungsrecht von der Rentenversicherungspflicht einräumen, und es
ihnen dadurch ermöglichen, eine bisher schon vorhandene Form der
Altersvorsorge außerhalb der Rentenversicherung auszubauen (vgl
BT-Drucks 14/1855 S 9 zu Art 2 Nr 2).
SG Konstanz - S 4 R 1124/07 -
LSG
Baden-Württemberg - L 9 R 255/09 -
Bundessozialgericht - B 12 R 17/11 R -
Die Urteile, die ohne mündliche Verhandlung ergehen, werden nicht in der
Sitzung verkündet. Sofern die Ergebnisse von allgemeinem Interesse sind,
erscheint ein Nachtrag zum Terminbericht nach Zustellung der Urteile an
die Beteiligten.
Kassel, den 28. April 2014
Nachtrag
zum Terminbericht
Nr. 52/13
Der 12. Senat des Bundessozialgerichts berichtet nach Zustellung
der Urteile an die Beteiligten über die drei in der Sitzung vom 30.
Oktober 2013 ohne mündliche Verhandlung entschiedenen
Revisionsverfahren.
1) (= Nr. 4 der
Terminvorschau Nr. 52/13)
Der Senat hat auf die Revision der
beklagten Deutschen Rentenversicherung Bund hin die vorinstanzlichen
Urteile aufgehoben und die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Ein
Ermessens- bzw Abwägungsdefizit der Beklagten im Rahmen des § 45 Abs 2
SGB X lag nicht vor. Sie musste ihren eigenen (Verwaltungs-)Fehler bei
der Betätigung des Rücknahmeermessens in die Interessenabwägung nicht
als relevanten Belang mit einstellen. Der 12. Senat ist der
Rechtsprechung des 7. Senats des BSG (SozR 3‑1300 § 45 Nr 2) gefolgt,
wonach das jedenfalls bei "normalen" Fehlern der Verwaltung, die keinen
Vertrauensschutz des Betroffenen auslösen, nicht geboten ist; solche
Fehler können nicht gleichwohl auf der späteren Ebene der
Ermessensprüfung zugunsten des Bürgers dennoch von Bedeutung sein.
SG Frankfurt aM - S 13 R 314/09 -
Hessisches LSG - L 2 R 161/10 -
Bundessozialgericht - B 12 R 14/11 R -
2) (= Nr. 5 der
Terminvorschau Nr. 52/13)
Die Revision der Klägerin zu 1. ist erfolgreich gewesen und hat zur
Wiederherstellung des der Klage stattgebenden erstinstanzlichen Urteils
geführt. Nach den für die Abgrenzung zwischen selbstständiger Tätigkeit
und Beschäftigung maßgebenden Kriterien, insbesondere im Rahmen der
insoweit vorzunehmenden Gesamtwürdigung aller Umstände, sprachen
gewichtigere Gesichtspunkte für eine Selbstständigkeit der als
"telefonische Gesprächspartnerin" für die Klägerin zu 1. tätigen
Klägerin zu 2.. Letztere verfügte im konkreten Fall in zentralen
vertraglich geregelten Punkten und auch tatsächlich über weitreichende,
für eine Beschäftigung untypische Spielräume ohne wesentliche
Weisungsunterworfenheit; das gilt insbesondere hinsichtlich Umfang und
Lage der Arbeitszeit, der Wahrnehmung der Tätigkeit von zu Hause aus und
der Möglichkeit zur Heranziehung von Erfüllungsgehilfen. Nach der Art
der Tätigkeit fiel demgegenüber nicht entscheidend ins Gewicht, dass die
Klägerin zu 2. über so gut wie keine eigenen Betriebsmittel verfügte.
SG Darmstadt - S 10 KR 325/06 -
Hessisches LSG - L 8 KR 306/08 -
Bundessozialgericht - B 12 KR 17/11 R -
3) (=
Nr. 6 der Terminvorschau Nr. 52/13)
Der Senat hat auf die Revision des Klägers das Berufungsurteil
aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an
das LSG zurückverwiesen. Bei rentenversicherungspflichtigen
selbstständig Tätigen kann die Frage des (Fort-)Bestehens ihrer
Tätigkeit nicht schematisch wie bei Beschäftigten (§ 7 Abs 3 S 1 SGB IV)
bei Unterbrechungen von mehr als einem Monat verneint werden. An die
Stelle eines Arbeitsverhältnisses als verbindendes Element für ein
Fortbestehen tritt bei Selbstständigen deren Wille, die "Tätigkeit"
fortzusetzen. Dieser muss sich in hinreichenden objektiven
Anhaltspunkten manifestieren, zB in der aus einer Rahmenvereinbarung
ableitbaren, gefestigten Erwartung erneuter Engagements oder einem
Auftreten am Markt, etwa durch Werbung oder Kundenakquise. Insoweit
fehlte es an tatrichterlichen Feststellungen.
SG Aurich - S 6 R 5/08 -
LSG
Niedersachsen-Bremen - L 10 R 38/09 -
Bundessozialgericht - B 12 R 3/12 R -