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| Die Revision der Klägerin hat im Sinne der Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung an das LSG Erfolg. |
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| Im Ausgangspunkt zutreffend hat das LSG dargelegt, dass die Prüfgremien auf der Grundlage des § 106 Abs 2 SGB V idF des Gesundheitsstrukturgesetzes iVm § 8 Abs 3 der Prüfvereinbarung eine Einzelfallprüfung durchführen durften. Gegenstand der Prüfung war hier die Zulässigkeit der Verordnung von Polyglobulin-Infusionslösungen zugunsten der Versicherten S. in den vier streitbefangenen Quartalen (vgl dazu allg BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 30 RdNr 10/11). Streitgegenstand ist bei (potenziell) unzulässigen Verordnungen eine verschuldensunabhängige Maßnahme der Wirtschaftlichkeitsprüfung und nicht die Festsetzung eines "sonstigen Schadens". |
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| 1. Zu Recht rügt die Klägerin indessen, dass das Berufungsgericht angenommen hat, den Prüfgremien stehe bei der Festsetzung von Regressen wegen unzulässiger Verordnungen hinsichtlich der Höhe des Regresses hier ein Ermessen zu. Der Senat hat in seinem Urteil vom 3.2.2010 (SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 43) ausdrücklich ausgeführt, dass für ein Ermessen im Rahmen der Festsetzung von Regressen wegen unzulässiger Arzneiverordnungen kein Raum ist. Die Zulassung einer Ausnahme von diesem Grundsatz ist weder geboten noch sinnvoll. |
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| Die für die Prüfung der Rechtmäßigkeit eines Regresses wegen unzulässiger bzw rechtswidriger Verordnungen maßgeblichen Grundsätze lassen - anders als das Berufungsgericht meint - in vieler Hinsicht Raum für Erwägungen zur besonderen Behandlungssituation des Patienten, zu seiner Vorgeschichte und zum Ineinandergreifen von stationären und ambulanten Behandlungen. Im Übrigen müssen die Prüfgremien nach der Rechtsprechung des Senats sowohl unter dem Gesichtspunkt eines Off-Label-Use als auch im Hinblick auf die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 2 Abs 1a SGB V bzw die dort kodifizierten Aussagen des BVerfG im Beschluss vom 6.12.2005 (BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5) prüfen, ob der Versicherte unter Berücksichtigung der bei ihm vorhandenen schwerwiegenden Gesundheitsstörung Anspruch auf die entsprechende Verordnung hatte (SozR 4-2500 § 106 Nr 30 RdNr 30). Wenn das (auch) unter Berücksichtigung der möglicherweise bestehenden Schwierigkeiten bei der exakten Zuordnung des Beschwerdebildes des Versicherten zu einer medizinischen Diagnose nicht der Fall war, besteht keine Notwendigkeit, der - vom LSG deutlich angesprochenen - Härte der Festsetzung eines Regresses unter dem Gesichtspunkt einer Ermessensausübung hinsichtlich seiner Höhe Rechnung zu tragen. |
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| Auch aus der Perspektive der betroffenen Ärzte hält der Senat den vom LSG an dieser Stelle gewiesenen Ausweg in potenziellen Härtefällen nicht für sinnvoll. Wenn die umstrittene Verordnung zumindest unter Berücksichtigung der "weichen" Kriterien der neuesten Rechtsprechung des BVerfG und des BSG zulässig war, ist es nicht gerechtfertigt, die Ärzte, die eine entsprechende Verordnung ausgestellt haben, auch nur zu einem begrenzten, möglicherweise kleinen Teil an den Kosten dieser Verordnung zu beteiligen. Nicht die Ärzte, sondern die Krankenkassen haben für die Kosten solcher Arzneiverordnungen aufzukommen, die Vertragsärzte im Rahmen der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung rechtmäßig ausgestellt haben. Auf der anderen Seite besteht eine entsprechende Zahlungsverpflichtung der Krankenkassen überhaupt nicht - auch nicht zu einem gewissen Anteil -, wenn der Vertragsarzt bei der Verordnung die Regeln des vertragsärztlichen Systems nicht eingehalten hat. |
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| Im Übrigen stünde die Verpflichtung der Prüfgremien zur Ausübung von Ermessen zur Regresshöhe mit dem Aspekt der Rechtssicherheit in Widerspruch. Es lassen sich schwerlich allgemeine Grundsätze dazu entwickeln, wann ein - vom LSG hier offenbar ausgenommener - Grenz- oder Extremfall eines Kostenregresses vorliegt, der Anlass für Ermessenserwägungen geben könnte. Auch wäre es den Prüfgremien kaum möglich, § 54 Abs 2 Satz 2 SGG zu genügen und schlüssig darzulegen, dass sie von ihrem Ermessen - nur zur Höhe des Regresses - in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht haben. Es ist insoweit bezeichnend, dass das LSG hier nicht einmal angedeutet hat, wie weit tendenziell der Beklagte den Regress vermindern soll, damit aus der Sicht des Gerichts den besonderen Umständen des Einzelfalls angemessen Rechnung getragen wird. Das beruht vor allem darauf, dass keine sinnvolle Relation herstellbar ist zwischen nicht ausräumbaren Zweifeln an der Angemessenheit eines Regresses dem Grunde nach und dem Ausmaß seiner deshalb gebotenen Verminderung. Die angesprochenen Zweifel im Sinne des Berufungsurteils sind nicht durch die Verpflichtung der Prüfgremien zur Ausübung von Ermessen zur Höhe eines Regresses, sondern durch Anwendung der allgemeinen Rechtsgrundsätze zum Bestehen von Schadensersatzansprüchen aufzulösen. Wenn sich nach Ausschöpfung aller Aufklärungsmöglichkeiten nicht feststellen lässt, dass der Vertragsarzt die umstrittenen Verordnungen nicht hätte ausstellen dürfen, hat er der Krankenkasse des Versicherten keinen Schaden zugefügt, den er ausgleichen müsste. |
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| 2. Erweist sich damit das Berufungsurteil als unvereinbar mit Bundesrecht, kann der Senat gleichwohl nicht im Sinne der Revision der Klägerin den angefochtenen Bescheid des Beklagten aufheben (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG). |
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| Die Ausführungen des LSG zur Rechtmäßigkeit des Regresses dem Grunde nach und zur Notwendigkeit der Ausübung von Ermessen zur Höhe bilden eine erkennbare Einheit. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht die Zulässigkeit der Verordnung von Polyglobulin-Infusionen durch die beigeladene Praxis anders beurteilt hätte, wenn es davon hätte ausgehen müssen, dass Zweifeln an der Vertretbarkeit der Verordnungen nicht durch eine Ermessensbetätigung des Beklagten zur Regresshöhe Rechnung getragen werden kann. Das LSG stellt nämlich zunächst fest, die Versicherte S. habe an einer CIDP gelitten, sodass mangels arzneimittelrechtlicher Zulassung der Polyglobulin-Infusionen zur Behandlung dieser Erkrankung ein Regress festgesetzt werden durfte. In der Passage der Entscheidungsgründe, die sich zur Notwendigkeit der Ausübung von Ermessen verhalten, lässt das LSG dann aber deutliche Zweifel anklingen, ob die Krankheitsbilder der CIDP bzw des G-B-S bei der Versicherten so eindeutig voneinander abgegrenzt waren, dass die Beurteilung, die Verordnung sei wegen des Vorliegens "nur" einer CIDP eindeutig unzulässig gewesen, dem Gericht selbst fraglich erscheint. Für die Zulässigkeit der Verordnung ist jeweils der zum Zeitpunkt ihrer Ausstellung maßgebliche Rechts- und Sachzustand zu berücksichtigen. Dasselbe gilt grundsätzlich für die Kenntnisse der behandelnden Ärzte vom Krankheitsbild der Versicherten. Wenn - was auf der Basis des vom LSG eingeholten Gutachtens und der ergänzenden Stellungnahme des MDK möglich erscheint - die jeweiligen Krankheitsbilder, die ersichtlich nicht grundlegend verschieden sind, nur schwer voneinander abgegrenzt werden können, kann es nicht zu Lasten der verordnenden Ärzte gehen, wenn sie sich nach Abschluss der ihnen möglichen Diagnostik für das Vorliegen einer bestimmten Krankheit entschieden und diese dann sachgerecht behandelt haben. |
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| Im hier zu beurteilenden Fall war es für die Ärzte der Beigeladenen kaum möglich, das Krankheitsgeschehen der Versicherten S. eindeutig einer der beiden in Betracht kommenden Krankheitsbezeichnungen - CIDP oder G-B-S - zuzuordnen. Auf der Grundlage der differenzialdiagnostischen Erwägungen der N. im Anschluss an die stationäre Behandlung der Versicherten dort kamen beide Krankheitsbezeichnungen in Betracht. Wenn die Versicherte an einem G-B-S gelitten hat, kann auch eine Therapie dieser Erkrankung mit den dafür zugelassenen Medikamenten regelkonform gewesen sein. |
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| Insoweit würde sich dann - wie vom SG richtig gesehen - die Frage nach einem zulässigen Off-Label-Use nicht stellen, weil Polyglobulin-Infusionen zur Behandlung des G-B-S zugelassen waren. Die mehrere Jahre nach Abschluss der streitbefangenen Behandlung erfolgte gutachterliche Einschätzung, dass bei der Versicherten S. doch eher eine anders bezeichnete Krankheit, nämlich eine CIDP, wahrscheinlicher gewesen sei, würde an der Rechtmäßigkeit der Verordnungen nichts ändern. Das gilt selbstverständlich nur unter dem Vorbehalt, dass die Ärzte nicht offensichtlich fernliegende Diagnosen zu Grunde gelegt haben und keine unvollständige Diagnostik erfolgt ist. Soweit sich die behandelnden Ärzte aber auf dem Wissensstand der jeweiligen Zeit, unter Ausschöpfung der ihnen praktisch möglichen Diagnostik sowie nach Auswertung der vorhandenen Befunde für einen bestimmten Therapieweg entschieden und auf der Basis dieser Entscheidung sachgerecht therapiert haben, ist, wenn zur Behandlung dieser Erkrankung die vorgenommenen Arzneiverordnungen zulässig waren, kein Raum für einen Regress. |
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| Das LSG wird im Hinblick auf die rechtlich ausgeschlossene Möglichkeit, den bestehenden Zweifeln an der Unzulässigkeit der Verordnungen durch eine Ermessensausübung des Beklagten hinsichtlich der Regresshöhe Rechnung zu tragen, gegebenenfalls durch erneute Befragung des Sachverständigen zu prüfen haben, ob eine klare Zuordnung des Krankheitsbildes der Versicherten zu einer der in Betracht kommenden Krankheitsbezeichnungen möglich war. Wenn das bezogen auf den Zeitpunkt der Ausstellung der Verordnungen nicht möglich war, ist die medizinische Vertretbarkeit der Entscheidung der Beigeladenen zu 1. für die Verordnung von Polyglobulin-Infusionen - gegebenenfalls auch unter Einbeziehung der Grundsätze des Off-Label-Use - zu klären. |
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| Das LSG wird bei seiner erneuten Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens mit zu entscheiden haben.
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