Verknüpftes Dokument, siehe auch: Urteil des 12. Senats vom 19.12.2012 - B 12 KR 20/11 R -, Urteil des 13. Senats vom 24.10.2013 - B 13 R 1/13 R -, Urteil des 12. Senats vom 3.7.2013 - B 12 KR 27/12 R -, Urteil des 12. Senats vom 3.7.2013 - B 12 KR 8/11 R -, Urteil des 12. Senats vom 3.7.2013 - B 12 KR 2/11 R -
Kassel, den 3. Juli 2013
Terminbericht Nr. 32/13
(zur Terminvorschau Nr. 32/13)
Der 12. Senat des Bundessozialgerichts
berichtet über seine Sitzung vom 3. Juli 2013.
1) Die Revision der Beklagten erwies sich als
erfolgreich, sodass das klageabweisende SG-Urteil wiederherzustellen
war. Im Ergebnis zutreffend haben Beklagte und SG entschieden, dass die
Klägerin ab 1.4.2007 nicht nach § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V in der GKV
versicherungspflichtig ist. Die Klägerin unterfiel mit Blick auf § 5
Abs 11 S 1 SGB V nicht dem persönlichen Anwendungsbereich dieser Norm,
weil nicht angenommen werden kann, dass sie iS von Abs 1 Nr 13 "keinen
anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall" hatte. Nach
der Sonderregelung für Nicht-EU- und Nicht-Vertrags-Ausländer nach § 5
Abs 11 SGB V werden nicht privilegierte Ausländer - wie die aus
Afghanistan kommende Klägerin - von der Versicherungspflicht nur
erfasst, "wenn sie eine Niederlassungserlaubnis oder eine
Aufenthaltserlaubnis mit einer Befristung auf mehr als 12 Monate nach
dem AufenthG besitzen" - was bei der Klägerin der Fall war - "und für
die Erteilung dieser Aufenthaltstitel keine Verpflichtung zur Sicherung
des Lebensunterhalts nach § 5 Abs 1 Nr 1 AufenthG besteht". Zum hier
maßgebenden Beurteilungszeitpunkt am 1.4.2007 fehlte es bei der
Klägerin daran, dass "keine Verpflichtung zur Sicherung des
Lebensunterhalts nach § 5 Abs 1 Nr 1 AufenthG" bestand. Zwar hat das LSG
Gegenteiliges angenommen, jedoch trägt der von ihm festgestellte Inhalt
des Hessischen Ministerialerlasses vom 27.7.2005 diese Schlussfolgerung
nicht. Das LSG hat zu dieser ministeriellen "Anordnung" festgestellt,
dass bei vorhandenen unterhaltspflichtigen Familienangehörigen von einer
Sicherung des Lebensunterhalts des Betroffenen auszugehen sei. Entgegen
der Ansicht des LSG wird durch den so verstandenen Erlass jedoch gerade
nicht iS von § 5 Abs 11 S 1 SGB V von der "Verpflichtung zur Sicherung
des Lebensunterhalts nach § 5 Abs 1 Nr 1 AufenthG" abgesehen - was
aufenthaltsrechtlich in bestimmten Fällen vorgesehen bzw möglich ist (vgl
§ 5 Abs 3 iVm §§ 24, 25 Abs 1 bis 3, § 26 Abs 3 sowie Kap 2 Abschn 5
AufenthG). Vielmehr lässt der Erlass das Erfordernis eines
gesicherten Lebensunterhalts des Betroffenen unberührt, unterstellt aber
dessen Vorliegen unter bestimmten Umständen. Eine solche Auslegung des
§ 5 Abs 11 S 1 SGB V ist vor allem im Hinblick auf den Zweck der
Auffang-Versicherungspflicht geboten. Diese Pflichtversicherung soll
- auch bei nichtprivilegierten Ausländern aus Drittstaaten - nur
subsidiär eingreifen, dh nur dann, wenn von keiner anderweitig
vorhandenen Sicherung ihres Lebensunterhalts ausgegangen werden kann.
Wird eine solche Sicherung dagegen aufenthaltsrechtlich für
erforderlich gehalten, muss dies auch im Versicherungsrecht der GKV
entsprechende Folgewirkungen entfalten und dazu führen, dass solche
Betroffenen nicht von der Versicherungspflicht nach § 5 Abs 1 Nr 13
SGB V erfasst werden. So verhält es sich im Falle der Klägerin.
SG Marburg
- S 6 KR 42/08 -
Hessisches LSG
- L 8 KR 111/09 -
Bundessozialgericht
- B 12 KR 2/11 R -
2) Die Revision
der Beklagten hatte keinen Erfolg. Der Kläger ist als Bezieher von
Arbeitslosengeld II (Alg II) seit 29.9.2009 nach § 5 Abs 1 Nr 2a SGB V
pflichtversichertes Mitglied der Beklagten in der GKV geworden. Die
Ausschlussregelung des § 5 Abs 5a S 1 SGB V greift nicht ein. Danach
scheidet die Versicherungspflicht in der GKV ua aus, wenn der Kläger
"unmittelbar vor dem Bezug von Arbeitslosengeld II privat
krankenversichert war oder weder gesetzlich noch privat
krankenversichert war und zu den in Abs 5 … genannten Personen gehört".
Der Kläger war nicht unmittelbar vor dem Alg II-Leistungsbezug in der
PKV versichert, weil bei Beginn des Leistungsbezugs insoweit bereits
mehr als 1½ Jahre verstrichen waren. Ebenso folgt nichts daraus, dass
der Kläger bis 30.6.2009 als hauptberuflich Selbstständiger zum
Personenkreis des § 5 Abs 5 SGB V gehörte, und weder gesetzlich noch
privat versichert war; auch der Zeitraum von ca 3 Monaten kann nicht
mehr als "unmittelbarer" Anschluss angesehen werden. Das Merkmal kann
nach Wortlaut, Gesetzessystematik auch unter Berücksichtigung der
Gesetzesmaterialien nicht ohne zeitliche Betrachtung ausgelegt werden.
Es wird in diesem Sinne gleichermaßen in vielen Regelungen des SGB
verstanden. Das ergibt sich auch aus der von einer engen Sichtweise
geprägten Rechtsprechung des Senats, der zB bei § 28a SGB III eine
Ein-Monats-Frist als maßgebende Grenze angesehen hat (SozR 4-4300
§ 28a Nr 4). Selbst wenn man sich hieran auch bei § 5 Abs 5a SGB V
orientiert und nicht der in der Literatur vertretenen Auffassung folgt,
dass der Tag entscheidend sei, der demjenigen des Beginns des
Alg II-Bezugs vorausgeht, wäre diese Zeit hier jedenfalls verstrichen.
Es kann demgegenüber nicht darauf abgestellt werden, ob "zuletzt" vor
dem Alg II-Bezug Versicherungsschutz in der PKV bestand. Das scheidet
aus, weil dieses Merkmal in § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V verwendet wird, aber
gerade nicht in Abs 5a. Auch bei einem Verstoß des Klägers gegen die
Pflicht des § 193 Abs 3 S 1 VVG, eine private Versicherung gegen
Krankheit abzuschließen, kann nicht im Wege richterlicher
Rechtsfortbildung bewirkt werden, dass die Rechtsfolge des § 5 Abs 1
Nr 2a SGB V in solchen Fällen nicht eintritt.
SG Berlin
- S 166 KR 527/10 -
LSG
Berlin-Brandenburg
- L 1 KR 326/10 -
Bundessozialgericht
- B 12 R 11/11 R -
3) In dieser
Sache, in der die Beteiligten den Streit vorab noch auf die Zeit bis
31.12.2008 beschränkt und im Übrigen eine Neubescheidung entsprechend
dem Ausgang des Revisionsverfahrens vereinbart haben, blieb die Revision
der Beklagten ohne Erfolg. Die Vorinstanzen haben zu Recht entschieden,
dass die dem Kläger gewährte besondere Zuwendung nach § 17a StrRehaG
nicht beitragspflichtig ist. Die Beitragsbemessung der
Pflichtversicherten nach § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V ist gem § 227 SGB V
entsprechend § 240 SGB V vorzunehmen, so dass auch für diesen
Versichertenkreis die für § 240 SGB V maßgebenden Grundsätze gelten.
Durch die Fassung des § 240 Abs 1 S 1 SGB V sollte zwar erreicht werden,
dass der Beitragspflicht grundsätzlich alle Einnahmen und Geldmittel zu
Grunde gelegt werden, die das Mitglied zum Lebensunterhalt verbrauchen
könnte. Nach der Rechtsprechung des Senats ist die Beitragspflicht daher
nicht auf bestimmte Einkunftsarten beschränkt, mögen die Einkünfte dem
Versicherten auch als Sozialleistungen als Ausgleich für ein
finanzielles Defizit zufließen. Der Senat hat daher zB auch
Mehrbedarfszuschläge nach dem BSHG, Wohngeld (BSGE 87, 228 = SozR
3-2500 § 240 Nr 34) sowie Verletztenrente der gesetzlichen
Unfallversicherung (SozR 3-2500 § 240 Nr 41) der
Beitragspflicht unterworfen. Andererseits hat der Senat gleichwohl
Sozialleistungen mit einer besonderen Zweckbestimmung, die dem
Betroffenen ungekürzt zur Verfügung stehen sollen, als beitragsfrei
behandelt (SozR 4-2500 § 240 Nr 9 - Beschädigtenrente nach § 31 BVG;
BSGE 71, 237 = SozR 4-2500 § 240 Nr 12 - Hilfen in besonderen
Lebenslagen nach dem BSHG; BSGE 110, 62 = SozR 4-2500 § 240 Nr 16 sowie
Urteil vom 19.12.2012 – B 12 KR 20/11 R
SG
Berlin
- S 28 KR 2441/08 -
LSG
Berlin-Brandenburg
- L 1 KR 188/10 -
Bundessozialgericht
- B 12 KR 27/12 R -
4) In dieser
Sache hat der Senat den Termin kurzfristig aufgehoben, nachdem sich die
Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung
einverstanden erklärt hatten. Der Senat hat ohne mündliche Verhandlung
entschieden und wird nach Zustellung der Entscheidung gesondert
berichten.
SG Speyer
- S 7 KR 442/07 -
LSG
Rheinland-Pfalz
- L 5 KR 9/10 -
Bundessozialgericht
- B 12 KR 8/11 R -
Die Urteile, die ohne mündliche
Verhandlung ergehen, werden nicht in der Sitzung verkündet. Sofern die
Ergebnisse von allgemeinem Interesse sind, erscheint ein Nachtrag zum
Terminbericht nach Zustellung der Urteile an die Beteiligten.
Kassel, den 6. Februar 2014
Nachtrag
zum
Terminbericht Nr. 32/13
Der 12. Senat des Bundessozialgerichts berichtet nach
Zustellung der Urteile an die Beteiligten über die beiden in der Sitzung
vom 3. Juli 2013 ohne mündliche Verhandlung entschiedenen Revisionen.
1) (= Nr. 4 der Terminvorschau Nr. 32/13)
Die Revision des Klägers war erfolgreich. Die klageabweisenden
vorinstanzlichen Urteile sowie Rücknahmebescheid und
Widerspruchsbescheid der beklagten Ersatzkasse wurden aufgehoben. Der
Ausgangsbescheid vom 5.7.2005 durfte mit Blick auf § 49 SGB X nicht ohne
die Beschränkungen des § 45 SGB X zurückgenommen werden. Er wurde nicht
während eines dagegen noch offenen Rechtsbehelfsverfahrens aufgehoben,
sondern erwuchs - obwohl möglicherweise rechtswidrig - in Bestandskraft,
weil die beigeladene DRV Bund dagegen nicht rechtzeitig Klage erhoben
hatte. Für ihre Klageerhebung galt nach den Grundsätzen von Treu und
Glauben nicht die Ein-Jahres-Frist des § 66 Abs 2 S 1 SGG (wegen
fehlender bzw unrichtiger Rechtsbehelfsbelehrung der Beklagten), weil
die Unrichtigkeit der Rechtsmittelbelehrung von den
Rentenversicherungsträgern zurechenbar selbst mitherbeigeführt worden
war. Nach der "Gemeinsamen Verlautbarung zur Behandlung von
Beitragsbescheiden durch die am gemeinsamen Beitragseinzug beteiligten
Versicherungsträger" vom 29.3.2001 ist von einer Verwaltungspraxis
der Träger auszugehen, die zum Nachteil desjenigen, dessen
sozialversicherungsrechtlicher Status beurteilt werden soll (hier des
Klägers), zu einer rechtswidrigen Verkürzung des Vertrauensschutzes in
Bescheide der Einzugsstelle führt; die Verlautbarung verstößt in
mehreren Punkten gegen zwingende Regelungen des SGB X, nämlich durch die
verabredete Nichtbeteiligung betroffener anderer Versicherungsträger am
Verwaltungsverfahren, die Nichtbekanntgabe von Bescheiden an diese und
das Unterbleiben von Rechtsbehelfsbelehrungen gegenüber diesen.
Demzufolge war der Rücknahmebescheid rechtswidrig; denn die Beklagte war
- mangels Eingreifens von § 49 SGB X - von der Beachtung der
Rücknahmevoraussetzungen nach § 45 Abs 2 bis 4 SGB X ("Vertrauensschutz"
und "Ermessensausübung") nicht entbunden.
SG Speyer
- S 7 KR 442/07 -
LSG Rheinland-Pfalz
- L 5 KR 9/10 -
Bundessozialgericht
- B 12 KR 8/11 R -
2) (= Nr. 5 der
Terminvorschau Nr. 32/13)
Die Revision der Klägerin war
erfolgreich. In diesem Verfahren kommen die gleichen
materiell-rechtlichen Gründe zur Anwendung wie im Terminbericht Nr 32/13
zum Fall 3) - B 12 KR 27/12 R dar-gelegt. Die besondere Zuwendung nach §
17a StrRehaG ist nicht beitragspflichtig iS von § 240 Abs 1 SGB V. Die
Leistung darf nicht als der Befriedigung des allgemeinen
Lebensunterhalts zuzuordnendes Einkommen gewertet werden, weil ihr - wie
§ 16 Abs 4 StrRehaG unterstreicht - der für das soziale
Entschädigungsrecht charakteristische Gedanke zu Grunde liegt, ein
erlittenes Sonderopfer zu entschädigen.
SG Koblenz
- S 16 KR 576/09 -
LSG Rheinland-Pfalz
- L 5 KR 203/10 -
Bundessozialgericht
- B 13 R 1/13 R -