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Pressemitteilungen » Pressemitteilungen aus dem Jahr 2024 » Pressemitteilung Nr. 106/19 vom 9.8.2019

Siehe auch:  Urteil des III. Zivilsenats vom 22.8.2019 - III ZR 113/18 -

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Bundesgerichtshof

Mitteilung der Pressestelle


Nr. 106/2019

Verhandlungstermin in Sachen III ZR 113/18 (Schutzpflichten

in Wohnheim für Menschen mit geistiger Behinderung) am

22. August 2019, 10.00 Uhr, Saal N 004

Der unter anderem für Rechtsstreitigkeiten über Dienstverhältnisse zuständige III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs wird über einen Fall verhandeln, in dem die Parteien über Schutzpflichten in einem Wohnheim streiten.

Sachverhalt:

Die Beklagte ist Trägerin eines Wohnheims für Menschen mit einer geistigen Behinderung. Die 1969 geborene, rechtlich von ihrer Mutter vertretene Klägerin lebte dort seit März 2012. Sie ist geistig behindert und hat eine deutliche Intelligenzminderung. Sie nimmt die Beklagte auf Schmerzensgeld und Schadensersatz wegen Verbrühungen in Anspruch, die sie in der Einrichtung erlitt.

Im April 2013 beabsichtigte die Klägerin, ein Bad zu nehmen, und bat eine der Betreuerinnen des Heimes um eine entsprechende Erlaubnis. Diese wurde ihr – wie auch schon in der Vergangenheit – erteilt. Die Klägerin ließ daraufhin heißes Wasser in eine mobile, in der Dusche bereit gestellte Sitzbadewanne ein, wobei die Temperaturregelung über einen Einhebelmischer ohne Begrenzung der Heißwassertemperatur erfolgte. Anders als in früheren – problemlos verlaufenen – Fällen war das ausströmende Wasser so heiß, dass die Klägerin schwerste Verbrühungen an beiden Füßen und Unterschenkeln erlitt. Sie schrie lautstark, konnte sich aber auf Grund ihrer geistigen Behinderung nicht selbst aus der Situation befreien. Dies gelang erst, als ein anderer Heimbewohner ihr zur Hilfe eilte, das Wasser abließ und eine Pflegekraft herbeirief.

Bei der nachfolgenden Heilbehandlung im Krankenhaus wurden mehrere Hauttransplantationen durchgeführt. Es kam zu erheblichen Komplikationen. Unter anderem wurde die Klägerin mit einem multiresistenten Keim infiziert. Sie ist inzwischen nicht mehr gehfähig und auf einen Rollstuhl angewiesen, weil sich so genannte Spitzfüße gebildet haben. Außerdem verschlechterte sich ihr psychischer Zustand, was sich zum Beispiel in häufigen und anhaltenden Schreianfällen äußert.

Die Klägerin hat geltend gemacht, das austretende Wasser müsse annähernd 100 °C heiß gewesen sein. Aber selbst eine konstante Einstellung der Wassertemperatur auf "nur" 60 °C sei zu hoch. Zur Abtötung etwaiger Keime genüge es, das Wasser einmal am Tag auf 60 °C aufzuheizen. In der DIN EN 806-2* für die Planung von Trinkwasserinstallationen werde für bestimmte Einrichtungen wie Krankenhäuser, Schulen und Seniorenheime eine Höchsttemperatur von 43 °C, in Kindergärten und Pflegeheimen sogar von nur 38 °C empfohlen. Es sei pflichtwidrig gewesen, sie ohne Aufsicht und insbesondere ohne Kontrolle der Wassertemperatur ein Bad nehmen zu lassen.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht hat die auf Zahlung eines Schmerzensgeldes von mindestens 50.000 € und einer monatlichen Rente von 300 € sowie auf Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für weitere materielle und immaterielle Schäden gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg gehabt. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts kann aus der DIN EN 806-2 keine Pflicht der Beklagten hergeleitet werden, die Wasserentnahmestelle mit einer Temperaturbegrenzung auszustatten. Es handele sich um eine technische Regel, die die Planung von Trinkwasseranlagen betreffe und überdies erst 2005 und damit erst Jahrzehnte nach Errichtung des Wohnheimgebäudes in Kraft getreten sei. Es könne den Mitarbeitern der Beklagten auch nicht vorgeworfen werden, die Klägerin beim Baden nicht beaufsichtigt und die Wassertemperatur nicht kontrolliert zu haben. Die Klägerin habe stets problemlos allein geduscht und gebadet. Sie sei vor dem Unfall in eine Hilfsbedarfsgruppe eingestuft gewesen. Dies spreche für einen relativ hohen Grad an Selbständigkeit. Die Mitarbeiter der Beklagten hätten nicht ernsthaft mit der Möglichkeit rechnen müssen, dass die Klägerin sich beim Umgang mit der Mischbatterie verbrühen könnte.

Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.

*DIN EN 806-2: Technische Regeln für Trinkwasser-Installationen – Teil 2: Planung

"9.3.2 Vermeidung von Verbrühungen

Anlagen für erwärmtes Trinkwasser sind so zu gestalten, dass das Risiko von Verbrühungen gering ist.

An Entnahmestellen mit besonderer Beachtung der Auslauftemperaturen wie in Krankenhäusern, Schulen, Seniorenheimen usw. sollten zur Verminderung des Risikos von Verbrühungen thermostatische Mischventile oder –batterien mit Begrenzung der oberen Temperatur eingesetzt werden. Empfohlen wird eine höchste Temperatur von 43° C.

Bei Duschanlagen usw. in Kindergärten und in speziellen Bereichen von Pflegeheimen sollte sichergestellt werden, dass die Temperatur 38° C nicht übersteigen kann."

Vorinstanzen:

LG Bremen - 6 O 2099/13 vom 21.09.2017

OLG Bremen - 2 U 106/17 vom 13.04.2018

Karlsruhe, den 9. August 2019

Pressestelle des Bundesgerichtshofs
76125 Karlsruhe
Telefon (0721) 159-5013
Telefax (0721) 159-5501

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