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BundesgerichtshofMitteilung der PressestelleNr. 25/2008 Systemwechsel bei der Entschädigung für
rechtsstaatswidrig verzögerte Strafverfahren
Der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs hatte aufgrund einer Vorlage des 3. Strafsenats über die Frage zu entscheiden, in welcher Form ein Angeklagter dafür zu entschädigen ist, dass das gegen ihn betriebene Strafverfahren von den Strafverfolgungsbehörden in rechtsstaatlich nicht mehr hinnehmbarer Weise verzögert worden ist. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs waren die Belastungen, denen ein Angeklagter durch eine rechtsstaatswidrige Verzögerung des gegen ihn gerichteten Strafverfahrens ausgesetzt ist, durch eine bezifferte Herabsetzung der ohne diese Verzögerung angemessenen Strafe auszugleichen (Strafabschlagsmodell). Anlass für die Vorlage des 3. Strafsenats war vor diesem Hintergrund die Revision der Staatsanwaltschaft gegen ein Urteil des Landgerichts Oldenburg, in dem der Angeklagte wegen besonders schwerer Brandstiftung und versuchten Betruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt worden war, obwohl das Strafgesetzbuch (§ 306 b Abs. 2 Nr. 2 StGB) schon allein für das Brandstiftungsdelikt Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren vorsieht. Das Landgericht hat diese Mindeststrafe unterschritten, um dem Angeklagten einen Ausgleich dafür zu gewähren, dass zwischen dem Eingang der Anklage am 5. Oktober 2004 und dem Erlass des Eröffnungsbeschlusses am 24. Mai 2006 ein unvertretbar langer Zeitraum gelegen habe, in dem das Verfahren nicht betrieben worden sei. Es ist dabei davon ausgegangen, dass der Angeklagte auch ohne Berücksichtigung dieser Verfahrensverzögerung für das Brandstiftungsdelikt nur die Mindeststrafe von fünf Jahren Freiheitsstrafe verwirkt gehabt hätte. Um der Rechtsprechung des Bundesgerichtshof zum Ausgleich rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerungen gerecht zu werden, hat das Landgericht keine andere Möglichkeit gesehen, als den Strafrahmen des § 306 b Abs. 2 Nr. 2 StGB (Freiheitsstrafe von fünf bis fünfzehn Jahre) analog § 49 Abs. 1 StGB zu mildern und innerhalb des so eröffneten Strafrahmens (zwei Jahre bis elf Jahre drei Monate Freiheitsstrafe) eine Einzelstrafe von drei Jahren und zehn Monaten festgesetzt. Für den versuchten Betrug hat es nicht auf die an sich für verwirkt erachteten Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr, sondern auf eine solche von sechs Monaten erkannt und sodann aus diesen beiden Einzelstrafen eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren gebildet; ohne die Verfahrensverzögerung hätte es eine solche von fünf Jahren und zehn Monaten ausgesprochen. Diese Vorgehensweise hat die Staatsanwaltschaft nach Auffassung des 3. Strafsenats mit Recht beanstandet. Die gesetzlich vorgegebenen Strafrahmen seien von den Gerichten zu respektieren; sie dürften auch nicht unterschritten werden, um dem Angeklagten einen Ausgleich für die Verzögerung des Verfahrens zu verschaffen. Um ihm dennoch in allen Fällen die nach den Vorgaben des Grundgesetzes und der Europäischen Menschenrechtskonvention gebotene Kompensation gewähren zu können, sei der Ausgleich nicht durch einen Abschlag auf die an sich schuldangemessene Strafe vorzunehmen. Vielmehr sei diese Strafe im Urteil festzusetzen und gleichzeitig auszusprechen, dass ein angemessener Teil hiervon zum Ausgleich für die Verfahrensverzögerung als bereits vollstreckt gelte (Vollstreckungsmodell). Weil sich diese Lösung allgemein besser in das Rechtsfolgensystem des Strafgesetzbuchs einpasse als der bisher praktizierte Strafabschlag, will es der 3. Strafsenat für alle Fälle rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerungen angewendet wissen. Da hiermit eine Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung verbunden wäre, hat er die Sache dem Großen Senat für Strafsachen wegen grundsätzlicher Bedeutung zur Fortbildung des Rechts vorgelegt. Dieser hat sich mit Beschluss vom 17. Januar 2008 für das Vollstreckungsmodell entschieden. Er hat den Systemwechsel für geboten erachtet, weil - wie der Ausgangsfall zeigt - die notwendige Kompensation im Wege des Strafabschlags in besonderen Konstellationen innerhalb der gesetzlichen Strafrahmen nicht möglich ist und damit in Widerstreit zu der Bindung der Gerichte an das Gesetz tritt. Dieser Konflikt darf aus übergeordneten rechtlichen Gesichtpunkten nur dann durch Unterschreiten der gesetzlich vorgesehenen Mindeststrafe gelöst werden, wenn keine andere Möglichkeit der Kompensation vorhanden ist, die die Grundsätze des Strafzumessungsrechts des StGB unberührt lässt; diese Möglichkeit ist in Form des Vollstreckungsmodells jedoch gegeben. Dieses ist auch deswegen dem Modell des Strafabschlags vorzuziehen, weil es in vollem Umfang den Kriterien gerecht wird, die nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bei der Gewährung einer Kompensation für die rechtsstaatswidrige Verfahrenszögerung zu beachten sind. Außerdem hat die Vollstreckungslösung den Vorzug, dass sie bei der Strafzumessung nicht Fragen des Ausgleichs von Unrecht und Schuld mit der Strafzumessung wesensfremden Aspekten der Entschädigung für dem Staat zuzurechnende Verstöße gegen das Beschleunigungsgebot vermengt; hierdurch belässt sie der unrechts- und schuldangemessenen Strafe die Funktion, die ihr in straf- und außerstrafrechtlichen Folgeregelungen beigelegt wird. Sie, und nicht eine aus Entschädigungsgründen reduzierte Strafe bleibt etwa maßgeblich dafür, ob Strafaussetzung zur Bewährung möglich ist, die Strafe Grundlage für die Anordnung der Sicherungsverwahrung sein kann oder nach ausländerrechtlichen Bestimmungen die Ausweisung des Angeklagten rechtfertigt. Diese Folgen sind gesetzlich vorgesehen und daher als Konsequenz des Systemwechsels sachgerecht. Beschluß vom 17. Januar 2008 – GSSt 1/07 Landgericht Oldenburg, Urteil vom 9. August 2006 – 1 KLs 115/04 Karlsruhe, den 8. Februar 2008
Pressestelle des Bundesgerichtshofs
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