Bundesgerichtshof

Mitteilung der Pressestelle


Nr. 42/2016

Gemeinsames Symposium des Bundesgerichtshofs und

des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma

In einem vom Bundesgerichtshof gemeinsam mit dem Zentralrat Deutscher Sinti und Roma am 17. Februar 2016 in Karlsruhe veranstalteten Symposium befassten sich Experten mit der Aufarbeitung der früheren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Entschädigungssachen wegen nationalsozialistischer Verfolgung von Sinti und Roma. Mit der Veranstaltung fand der zwischen der Präsidentin des Bundesgerichtshofs, Bettina Limperg und dem Vorsitzenden des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose vereinbarte Dialog vor über 200 Zuhörern aus Politik, Justiz und Gesellschaft seine Fortsetzung.

In ihrer Begrüßung hob Limperg mit Blick auf die in Rede stehenden Urteile erneut hervor, dass es ihr zwar nicht zustehe, Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zu bewerten oder deren Begründungen zu kommentieren. "Angesichts der völligen Verkennung der Werte des Grundgesetzes und des Zwecks der Entschädigung für unendliches Leid kann ich mich dafür allerdings nur schämen".

Die Staatssekretärin im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Dr. Stefanie Hubig unterstrich in Vertretung des kurzfristig verhinderten Bundesministers Heiko Maas in ihrem Grußwort den hohen Stellenwert der kritischen Auseinandersetzung mit der früheren höchstrichterlichen Rechtsprechung. "Die heutige Veranstaltung ist nicht weniger als die symbolische Bitte der deutschen Justiz um Entschuldigung für eine Rechtsprechung, die Menschen wegen ihrer Abstammung pauschal diskriminiert hat." Aus dem historischen Kontext folge zugleich eine Verpflichtung auch für die Gegenwart: "Schließlich begründet die Vergangenheit auch die Pflicht, heute unsere Stimme zu erheben, wenn Menschen wegen ihrer Abstammung, ihrer Hautfarbe oder ihrer Religion diskriminiert werden - ganz gleich, ob auf der Straße, im Verein oder am Arbeitsplatz," betonte Hubig.

In anschließenden Impulsreferaten sprachen Prof. Dr. Dr. Ingo Müller über "Das Dritte Reich in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs" und Richter am Bundesgerichtshof a. D. Dr. Detlev Fischer über "Die Urteile des Bundesgerichtshofs vom 7. Januar 1956 - Entscheidung, Vorgeschichte und Entwicklung." Im Rahmen der von Dr. Helene Bubrowski moderierten Podiumsdiskussion vertieften die Referenten sodann zusammen mit Romani Rose sowie dem Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Andreas Mosbacher die Thematik. Im diesem Rahmen führte Rose unter anderem aus: "Die heutige Veranstaltung im BGH hat für unsere Minderheit eine historische Bedeutung, denn es wird ein wichtiges Zeichen gesetzt, die auch im Bereich der Justiz von fatalen Kontinuitäten geprägte bundesdeutsche Nachkriegsgeschichte aufzuarbeiten. Auch heute geht es wieder darum, unseren Rechtsstaat und die demokratischen Werte gegen alle verfassungsfeindlichen Bestrebungen entschlossen zu verteidigen. Gerade wir als Minderheit sind darauf angewiesen, dass die in unserer Verfassung verbrieften Grundrechte nicht nur auf dem Papier stehen, sondern im Alltag auch eingelöst werden."

Zum Abschluss zeigte sich die Präsidentin des Bundesgerichtshofs überzeugt, dass das Symposium wesentlich zur Aufarbeitung der vor 60 Jahren ergangenen Rechtsprechung beigetragen hat. "Es ist meine feste Überzeugung, dass in einem Rechtsstaat gerade auch die Rechtsprechung selbst sich fortwährend kritisch hinterfragen muss. Aus Fehlern der Vergangenheit müssen wir für die Zukunft lernen. Hierzu hat die heutige Veranstaltung einen wichtigen Beitrag geleistet", sagte Limperg.

Hintergrund:

In einem Urteil vom 7. Januar 1956 hatte der Bundesgerichtshof entschieden, dass Sinti und Roma jedenfalls bis 1943 nicht aus rassistischen Gründen verfolgt worden seien. Sie seien zwar von den Nationalsozialisten rechtsstaatswidrig, grausam und unmenschlich behandelt worden. Jedoch sei dies nicht - wie es für eine Entschädigung erforderlich gewesen wäre - rassistisch motiviert gewesen, sondern habe letztlich polizeiliche Gründe gehabt. Dazu zog das Urteil unter Verwendung entgleisender Formulierungen vorurteilsbeladene Feststellungen über angebliche Eigenschaften der betroffenen Bevölkerungsgruppen heran. In einer späteren Entscheidung aus dem Jahr 1963 hat der Bundesgerichtshof diese Rechtsprechung im Ergebnis aufgegeben und eine rassistische Verfolgung auch für die Zeit vor 1943 bejaht, sich dabei allerdings nicht von den früheren Formulierungen distanziert. Die Präsidentin des Bundesgerichtshofs, Bettina Limperg hat bereits anlässlich eines Besuchs des Dokumentationszentrums der Sinti und Roma in Heidelberg am 12. März 2015 (vgl. dazu die Pressemitteilung Nr. 32/2015 des Bundesgerichtshofs) klargestellt, dass ihr zwar die Kommentierung gerichtlicher Entscheidungen und ihrer Begründungen nicht zustehe, man sich aber angesichts der Tragweite des historischen Unrechts und der nicht hinnehmbaren Ausführungen in dem Urteil von 1956 für diese Rechtsprechung nur schämen könne.

Karlsruhe, den 17. Februar 2016

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