Bundesgerichtshof

Mitteilung der Pressestelle


Nr. 169/2012

Gegenwertforderung der Versorgungsanstalt

des Bundes und der Länder (VBL)

Der für das Versicherungsvertragsrecht zuständige IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass § 23 Abs. 2 der Satzung der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBLS), der die Zahlung eines Gegenwerts für die bei der VBL verbleibenden Versorgungslasten bei Beendigung einer Beteiligung regelt, wegen unangemessener Benachteiligung des ausgeschiedenen Beteiligten unwirksam ist.

Der Kläger des Verfahrens IV ZR 10/11 ist Trägerverein einer Klinik und gehörte dem Abrechnungsverband Ost der VBL seit 1996 an. Er kündigte das Beteiligungsverhältnis zum 31. Dezember 2003. Auf Grundlage des § 23 Abs. 2 VBLS forderte die VBL einen Gegenwert in Höhe von 957.125,77 € für neun Rentner und 135 Leistungsanwärter, der vom Kläger bezahlt wurde. Nunmehr verlangt er die Rückzahlung eines Teilbetrages von 400.000 €.

Landgericht und Oberlandesgericht haben einen Rückzahlungsanspruch wegen Unwirksamkeit der Satzungsbestimmung über den Gegenwert bejaht. Mit ihrer Revision hat die VBL ihr Klageabweisungsbegehren weiterverfolgt.

Der Beklagte des Verfahrens IV ZR 12/11 war schon an der Vorgängeranstalt der VBL seit 1940 beteiligt. Er kündigte seine Beteiligung zum 31. Dezember 2002. Die VBL berechnete einen Gegenwert von 18.357.553,15 € und verlangt mit der Klage den nach Anrechnung von zwei Abschlagszahlungen verbleibenden Restbetrag von 8.126.996,65 €.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision hat die VBL ihren Zahlungsanspruch weiterverfolgt.

Der Senat hat beide Revisionen der VBL zurückgewiesen.

§ 23 Abs. 2 VBLS unterliegt der vollen AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle. Eine Grundentscheidung der Tarifvertragsparteien, die eine weitgehende Gestaltungsfreiheit des Satzungsgebers bei deren Umsetzung und inhaltlicher Ausgestaltung zur Folge hat, setzt eine wirksame tarifvertragliche Regelung voraus. Diese liegt hier nicht vor. Der Änderungstarifvertrag Nr. 6 zum Tarifvertrag über die betriebliche Altersversorgung der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes (Tarifvertrag Altersversorgung - ATV) vom 24. November 2011 stellt hinsichtlich seiner rückwirkend zum 1. Januar 2001 in Kraft gesetzten Regelungen zum Gegenwert für Beteiligungen, die vor Abschluss dieses Tarifvertrages beendet wurden, eine unzulässige echte Rückwirkung dar.

Die in § 23 Abs. 2 VBLS vorgesehene volle Berücksichtigung von Versicherten ohne erfüllte Wartezeit bei der Berechnung des Gegenwerts benachteiligt den ausgeschiedenen Beteiligten unangemessen. Weiterhin liegt eine unangemessene Benachteiligung des ausgeschiedenen Beteiligten in der Ausgestaltung des Gegenwerts als Einmalzahlung eines Barwerts. Ferner ist § 23 Abs. 2 VBLS intransparent, weil nicht alle Berechnungsgrundlagen des Gegenwerts offen gelegt werden.

Allerdings kann die durch die Unwirksamkeit der Gegenwertregelung in § 23 Abs. 2 VBLS eingetretene Satzungslücke nach den Grundsätzen der ergänzenden Vertragsauslegung auch durch eine neue Satzungsregelung, die den ausgeschiedenen Beteiligten nicht unangemessen benachteiligt, mit Wirkung für eine bereits beendete Beteiligung geschlossen werden.

Urteil vom 10. Oktober 2012 - IV ZR 10/11

LG Mannheim - Urteil vom 19. Juni 2009 - 7 O 124/08 (Kart.)

OLG Karlsruhe - Urteil vom 23. Dezember 2010 - 12 U 224/09

Urteil vom 10. Oktober 2012 - IV ZR 12/11

LG Mannheim - Urteil vom 18. Dezember 2009 - 7 O 290/08 (Kart.)

OLG Karlsruhe - Urteil vom 23. Dezember 2010 - 12 U 1/10

Karlsruhe, den 10. Oktober 2012

§ 23 der Satzung der VBL in der zum 31. Dezember 2003 geltenden Fassung (Auszug) :

(2) Zur Deckung der aus dem Anstaltsvermögen nach dem Ausscheiden zu erfüllenden Verpflichtungen auf Grund von


a) Leistungsansprüchen von Betriebsrentenberechtigten aus einer Pflichtversicherung bzw. einer beitragsfreien Versicherung sowie


b) Versorgungspunkten von Anwartschaftsberechtigten und


c) künftigen Leistungsansprüchen von Personen, die im Zeitpunkt des Ausscheidens aus der Beteiligung als Hinterbliebene in Frage kommen, hat der ausscheidende Beteiligte einen von der Anstalt auf seine Kosten zu berechnenden Gegenwert zu zahlen.

Der Gegenwert ist nach versicherungsmathematischen Grundsätzen zu berechnen, wobei als Rechnungszins 3,25 v.H. während der Anwartschaftsphase und 5,25 v.H. während des Rentenbezuges zu Grunde zu legen ist. Zur Deckung von Fehlbeträgen ist der Gegenwert um 10 v.H. zu erhöhen; dieser Anteil wird der Verlustrücklage nach § 67 zugeführt. Als künftige jährliche Erhöhung der Betriebsrenten ist der Anpassungssatz nach § 39 zu berücksichtigen.

Bei der Berechnung des Gegenwertes werden die Teile der Leistungsansprüche und Anwartschaften nicht berücksichtigt, die aus dem Vermögen im Sinne des § 61 Abs. 2 oder § 66 zu erfüllen sind.

Ansprüche die im Zeitpunkt des Ausscheidens aus der Beteiligung ruhen, werden nur dann nicht berücksichtigt, wenn das Ruhen auf § 65 Abs. 6 der am Tag vor In-Kraft-Treten dieser Satzung geltenden Satzung beruht.

Der Gegenwert ist zur Abgeltung der Verwaltungskosten um 2 v.H. zu erhöhen. Der zunächst auf den Ausscheidestichtag abgezinste Gegenwert ist für den Zeitraum vom Tag des Ausscheidens aus der Beteiligung bis zum Ende des Folgemonats nach Erstellung des versicherungsmathematischen Gutachtens mit Jahreszinsen in Höhe des durchschnittlichen Vomhundertsatzes der in den letzten fünf Kalenderjahren vor dem Ausscheiden erzielten Vermögenserträge, mindestens jedoch mit 5,25 v.H. aufzuzinsen. …

Tarifvertrag Änderungstarifvertrag Nr. 6 vom 24. November 2011 zum Tarifvertrag über die betriebliche Altersversorgung der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes (Tarifvertrag Altersversorgung – ATV) vom 1. März 2002 (Auszug):

§ 1 Änderung des ATV

1. Dem § 16 werden folgende Absätze 4 und 5 angefügt:

"(4) Zur Sicherung der Finanzierung der Umlage- und Solidargemeinschaft müssen Arbeitgeber, die aus einer ganz oder teilweise umlagefinanzierten Zusatzversorgung ausscheiden, einen Gegenwert für die bei der Zusatzversorgungseinrichtung verbleibenden Rentenanwartschaften und -ansprüche zahlen.

Die Höhe des Gegenwerts ist nach versicherungsmathematischen Grundsätzen so zu bemessen, dass verbleibende Rentenanwartschaften und -ansprüche, die dem ausgeschiedenen Arbeitgeber zuzurechnen sind, ausfinanziert und zukünftige Ausgaben der Zusatzversorgungseinrichtung zur Deckung der Verwaltungskosten und möglicher Fehlbeträge abgegolten sind. Die dabei verwendeten Rechnungsgrundlagen, insbesondere der Rechnungszins und die Sterbetafeln, müssen so kalkuliert sein, dass die Finanzierung gesichert ist. Die Einzelheiten der Gegenwertberechnung nach den Sätzen 2 und 3 regeln die Zusatzversorgungs einrichtungen eigenständig. …

§ 2 Inkrafttreten

Dieser Tarifvertrag tritt mit Wirkung vom 1. Januar 2001 in Kraft. …"

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