Bundesgerichtshof

Mitteilung der Pressestelle


Nr. 9/2009

Verfahren gegen Bundeswehrangehörige im Fall "Coesfeld"

müssen neu verhandelt werden.

Mit Urteil vom 27. August 2007 hat das Landgericht Münster den ehemaligen Stabsunteroffizier H. wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Misshandlung (§ 30 Abs. 1 WStG) und entwürdigender Behandlung (§ 31 Abs. 1 WStG) zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Gegen den früheren Stabsunteroffizier F. hat es wegen entwürdigender Behandlung (§ 31 Abs. 1 WStG) eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 40,- Euro verhängt. Zwei weitere Angeklagte, den ehemaligen Oberfeldwebel K. und den früheren Stabsunteroffizier He., hat es freigesprochen. Der Angeklagte E., ehemals Stabsunteroffizier, wurde vom Landgericht Münster mit Urteil vom 26. November 2007 wegen Misshandlung (§ 31 Abs. 1 WStG) zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 40,- Euro verurteilt. Von dem weiteren Tatvorwurf der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Misshandlung und entwürdigender Behandlung wurde er freigesprochen.

Die fünf Angeklagten waren in der 7. Kompanie des 7. Instandsetzungsbataillons, einer reinen Ausbildungskompanie für Rekruten der Bundeswehr, tätig, die in der Coesfelder Freiherr-vom-Stein-Kaserne stationiert war. Am 8./9. Juni 2004 beteiligten sie sich an einer "Geiselnahmeübung" in der allgemeinen Grundausbildung für etwa 80 Rekruten. Der Angeklagte E. nahm zudem am 24./25. August 2004 erneut an einer derartigen Übung teil. Die erste "Geiselnahmeübung" hatten zwei anderweitig verfolgte Zugführer mit Genehmigung des ebenfalls gesondert verfolgten Kompaniechefs eingeführt, obwohl dies die geltende Anweisung für die Truppenausbildung Nummer 1 (AnTrA1) nicht vorsah und derartige Übungen ausschließlich an drei festgelegten Bundeswehrstandorten - wozu die Kaserne in Coesfeld nicht gehörte - mit speziell geschulten Ausbildern durchgeführt wurden.

Bei der ersten Übung im zweiten Quartal 2004, von der die Rekruten vorher nicht informiert wurden, waren die Angeklagten K., F., He. und E. mit zwei weiteren Ausbildern für das "Überfallkommando" eingeteilt. Gemeinsam überfielen sie die in Gruppen aufgeteilten Rekruten, entwaffneten sie, verbanden ihnen die Augen und fesselten ihnen die Hände mit Kabelbindern auf den Rücken. Dabei erlitten die Rekruten teilweise Schmerzen und trugen Druckstellen davon. So zog etwa der Angeklagte E. bei einem Rekruten die Kabelbinder bewusst fester zu, so dass sie zu stramm saßen.

Der Angeklagte F. stellte nach einem solchen Überfall einem gefesselten und mit verbundenen Augen auf dem Bauch liegenden Soldaten seinen rechten Fuß auf den Rücken. Dabei hielt er in der rechten Hand sein Gewehr, streckte die linke Faust in die Höhe und ließ sich so fotografieren.

Nach den einzelnen Überfällen wurden die Rekruten bei dieser Übung jeweils zu einer Sandgrube gebracht. Dort führte der Angeklagte H. mit ihm zugeteilten Hilfsausbildern ein "Verhör" durch. Bei dieser vom Angeklagten H. geleiteten Befragung mussten die Rekruten unter anderem mit verbundenen Augen Liegestützen oder Kniebeugen machen, es wurden Scheinerschießungen durchgeführt und teilweise wurde den Soldaten mit einer Kübelspritze Wasser in den gewaltsam geöffneten Mund oder in die Nase gepumpt, so dass sie zum Teil keine Luft mehr bekamen. Vereinzelt wurde Rekruten auch Wasser in die zuvor geöffnete Hose gepumpt, teilweise danach auch Sand in die Hose zwischen die Beine geworfen. Ein Soldat wurde vom Angeklagten H. anschließend als "Bettnässer" verhöhnt. Auch der Angeklagte E. beteiligte sich an der Befragung eines Rekruten in der Sandgrube. Dabei fasste er ihn an den Haaren, zog seinen Kopf nach hinten und drohte mit seiner Erschießung.

Die weitere Übung im dritten Quartal 2004, an der der Angeklagte E. ebenfalls teilnahm, lief ähnlich ab. Der Angeklagte E. begleitete hierbei seine Gruppe auf dem nächtlichen Orientierungsmarsch zu dem Ort des Überfalls. Anschließend wurden die Rekruten mit einem Transporter zu einem Kasernenblock gebracht, in dessen Keller dieses Mal das "Verhör" stattfand. Der Angeklagte E. beteiligte sich am "Abladen" der Rekruten von einem Transporter, indem er die Soldaten, deren Augen nach wie vor verbunden waren, aufforderte, von der Ladekante zu springen. Dadurch sollte bei den Rekruten Angst und Unsicherheit erzeugt werden. Während der Befragung wurde einer der Rekruten fest auf Arme, Beine und Rücken geschlagen. Teilweise wurden die Rekruten mit Wasser nass gemacht beziehungsweise übergossen und mussten Zwangshaltungen einnehmen. Einem Rekruten wurde ein Eimer über den Kopf gestülpt.

Das Landgericht hat wegen der Vorfälle im zweiten Quartal 2004 in der Sandgrube lediglich den Angeklagten H. verurteilt. Bezüglich des Angeklagten F. hat die Kammer das Posieren für das Foto als strafbar erachtet. Den Angeklagten E. hat sie wegen der zu strammen Fesselung eines Rekruten bei der Übung im zweiten Quartal 2004 der Misshandlung für schuldig befunden. Im Übrigen hat es ein strafbares Verhalten der Angeklagten F., K., He. und E. nicht festzustellen vermocht.

Gegen diese Urteile hat sich die Staatsanwaltschaft mit ihren jeweils zu Ungunsten der Angeklagten K., He., F. und E. erhobenen Revisionen gewendet, mit denen sie die Verletzung materiellen Rechts beanstandet. Die Angeklagten H., F. und E. haben ebenfalls jeweils die Sachbeschwerde erhoben.

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat die beiden Urteile - das Urteil vom 27. August 2007 jedoch nur soweit es die Angeklagten K., He. und F. betrifft - auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft aufgehoben; die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen blieben jeweils aufrechterhalten.

Das Landgericht hat den Angeklagten die Vorfälle bei den beiden Geiselnahmeübungen nur insofern zugerechnet, als sie daran selbst aktiv beteiligt waren. Dies widerspricht den Grundsätzen der mittäterschaftlichen Zurechung und ist rechtsfehlerhaft. Zudem hielt die Annahme der Strafkammer, die Angeklagten K., He., F. und E. hätten sich in einem den Vorsatz ausschließenden Tatbestandsirrtum nach § 16 Abs. 1 StGB befunden, weil sie von der Rechtmäßigkeit der Übung ausgegangen seien, rechtlicher Überprüfung nicht stand. Denn ein solcher Irrtum eines Untergebenen in der Bundeswehr unterfällt dem besonderen Schuldausschließungsgrund des § 5 Abs. 1 WStG. Schließlich hielt auch die Beweiswürdigung des Landgerichts zur subjektiven Tatseite der revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand, da sie lückenhaft ist und die Strafkammer entlastende Einlassungen der Angeklagten, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine Beweise gibt, den Urteilsfeststellungen ohne weiteres als unwiderlegbar zu Grunde legt.

Deshalb hat der 1. Strafsenat die Verfahren zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die Revisionen der Angeklagten F., H. und E. hat der 1. Strafsenat als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung der Urteile keinen Rechtsfehler zu deren Nachteil ergeben hat.

Urteile vom 14. Januar 2009 – 1 StR 158/08 und 1 StR 554/08

Landgericht Münster - Urteil vom 27. August 2007 - 8 KLs 81 Js 1751/07 (33/07)

und

Landgericht Münster - Urteil vom 26. November 2007 - 8 KLs 81 Js 2660/07 (40/07)

Karlsruhe, 14. Januar 2009

§ 5 WStG. Handeln auf Befehl. (1) Begeht ein Untergebener eine rechtswidrige Tat, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht, auf Befehl, so trifft ihn eine Schuld nur, wenn er erkennt, daß es sich um eine rechtswidrige Tat handelt oder dies nach den ihm bekannten Umständen offensichtlich ist.

§ 30 WStG. Misshandlung. (1) Wer einen Untergebenen körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit beschädigt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

...

§ 31 WStG. Entwürdigende Behandlung. (1) Wer einen Untergebenen entwürdigend behandelt oder ihm böswillig den Dienst erschwert, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft

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