Bundesgerichtshof

Mitteilung der Pressestelle


Nr. 173/2005

Fall Karolina: Urteil des Landgerichts Memmingen aufgehoben

Am 7. Januar 2004 verstarb die dreijährige Karolina. Nach den Feststellungen im Urteil des Landgerichts Memmingen vom 21. April 2005 wurde das Kind vom Angeklagten, dem Lebensgefährten der Mutter des Kindes, der Mitangeklagten, über mehrere Tage hinweg massiv geschlagen und auch auf andere Art und Weise körperlich misshandelt und gequält. Die Angeklagte schritt dagegen nicht ein; wirkte teilweise sogar aktiv mit. Am Abend des 4. Januar 2004 versetzte der Angeklagte Karolina mit solcher Gewalt einen Schlag ins Gesicht, dass sie mit dem Kopf gegen die Zimmerwand prallte, röchelte und bewusstlos zu Boden sank. Die Angeklagten legten das ohnmächtige Mädchen am nächsten Morgen in einer Toilette des Stiftungskrankenhauses Weißenhorn ab, wo es alsbald aufgefunden wurde. Die Angeklagten flohen nach Italien. Trotz ärztlicher Intensivbehandlung war Karolina nicht mehr zu retten. (Bedingten) Tötungsvorsatz hat die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Memmingen bei beiden Angeklagten verneint. Es verurteilte sie wegen Misshandlung eines Schutzbefohlenen (§ 225 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 1 StGB) in Tateinheit mit Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 Abs. 1 StGB) und verhängte gegen den Angeklagten eine Freiheitsstrafe von zehn Jahren und drei Monaten, gegen die Angeklagte eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten

Die dagegen gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft hatte Erfolg. Der Bundesgerichtshof beanstandete die Beweiswürdigung zum - nach den Feststellungen der Strafkammer fehlenden - Tötungsvorsatz, wie auch zur - vom Landgericht beim Angeklagten angenommenen - verminderten Schuldfähigkeit. Der Bundesgerichtshof hat das Urteil des Landgerichts Memmingen deshalb aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht München II zurückverwiesen. Die Angeklagten müssen nun mit einer Verurteilung wegen Mordes rechnen.

Im Folgenden das Tatgeschehen, wie es sich nach den Feststellungen des Landgerichts Memmingen - zusammengefasst - darstellt:

Die Angeklagten lebten seit November 2003 zusammen. Wegen „Nichtigkeiten“, wie Hinauszögerns des angeordneten Mittagsschlafs, Problemen beim abendlichen Einschlafen oder langsamen Essens ärgerte sich der Angeklagte über die dreijährige Tochter Karolina der Angeklagten, die er immer wieder als Bastard bezeichnete und die ihm auch sonst nur im Wege war. Er beschloss, das Mädchen mittels Strafen zu erziehen. (Spätestens) vom 1. Januar 2004 an unterzog der Angeklagte - die Angeklagte nahm dies hin und wirkte teilweise mit - Karolina deshalb einer Tortur, die am 4. Januar 2004 mit der Zufügung der zum Tode des Kindes führenden Verletzungen endete.

Es kam dann - mindestens - zu folgenden Vorfällen, wobei eine genaue zeitliche Einordnung nur teilweise möglich war:

Am 1. Januar 2004 bemalte Karolina in der Wohnung herumliegendes Papier, was missfiel. Zur Strafe brachte der Angeklagte Karolina in einen unbeheizten Raum, die so genannte Kalte Kammer. Dort schlug er dem Kind zunächst mit einem Holzstab auf die Finger beider Hände, so dass jene rot anliefen und anschwollen. Dann musste Karolina, nur mit einem kurzärmligen T-Shirt und mit einer Strumpfhose bekleidet, bei geöffnetem Fenster und bei Minustemperaturen im Außenbereich einige Stunden in der „Kalten Kammer“ stehen bleiben. Nachdem sich der Angeklagte beruhigt hatte, cremte er Karolinas geschwollene Hände ein und verband sie.

Zum Ärger des Angeklagten spielte Karolina am Morgen des 2. Januar 2004 mit der letzten gefüllten Methadonflasche, die dem Angeklagten noch zur Verfügung stand. Er erhitzte mit einem Feuerzeug den Plastikverschluss einer leeren Methadonflasche, packte die am Unterkörper entblößte Karolina am Nacken, drückte sie mit dem Gesicht auf eine Matratze und presste die angeschmorte Spitze des Verschlusses mit Drehungen auf das Gesäß und die Oberschenkel des Mädchens. Dies wiederholte der Angeklagte mehrfach sowohl an diesem wie auch am nächsten Tag. Die Angeklagte half hierbei dem Angeklagten jeweils „weisungsgemäß“, das Kind festzuhalten.

Bei anderer Gelegenheit zwang der Angeklagte Karolina, sich mit dem Bauch auf den Boden zu legen. Dann schlug er mit einem Ledergürtel so auf das entblößte Kind ein, dass es vom Rücken bis zu den Kniekehlen etwa sechs rote Striemen erlitt. Nach diesem Vorfall drohte die Angeklagte dem Angeklagten, ihn zu verlassen. Er entschuldigte sich, cremte das Kind ein und bandagierte es.

Zu einem weiteren Zeitpunkt versetze der Angeklagte dem Kind einen Schlag mit der flachen Hand ins Gesicht, sodass das Mädchen mit dem Kopf gegen die Wand prallte.

An einem der Abende holte der Angeklagte Karolina aus dem ungeheizten Keller - dorthin hatte er sie einige Stunden zuvor verbracht - ins Schlafzimmer, haute ihr das schnurlose Telefon zwei Mal gegen den Kopf, setzte sich mit der Angeklagten auf das Bett und schlug dem vor ihm stehenden Kind mit der Hand so gegen den Hinterkopf, dass es mit dem Gesicht auf der Kommode aufschlug und dann zu Boden fiel. Dies wiederholte er auf ähnliche Art und Weise noch vier Mal, allerdings ohne dass sich das Mädchen erneut an der Kommode stieß. Karolina erlitt an den Ohren und im Gesicht blutende Verletzungen. Diese cremte der Angeklagte dann zwar ein und ließ den Kopf des Kindes von der Angeklagten in ein Tuch wickeln. Dann verbrachte er Karolina aber wieder in einen unbeheizten und dunklen Kellerraum und zwang sie, sich - Schuhe trug sie nicht - ohne Abstützen an der Wand auf einem Bein hinzustellen. Die Angeklagte versuchte nun, telefonisch polizeiliche Hilfe herbeizurufen. Dies unterband der Angeklagte, indem er ihr das schnurlose Telefon entriss.

In einer weiteren Nacht brachte der Angeklagte die bereits verletzte und am Auge stark geschwollene Karolina erneut in den Keller und legte sie bäuchlings auf einem Schrank ab. Von dort zog er sie einige Stunden später an den Beinen fassend wieder herunter und ließ sie in einem Nebenraum im Keller, wiederum auf einem Bein stehend, zurück. Erst am Morgen durfte die Angeklagte das vor Kälte zitternde Kind ins Bett bringen.

Als beim Essen Brotkrümel herunterfielen, schlug der Angeklagte Karolina mit der flachen Hand gegen den Kopf, brachte das Kind in die kalte Speisekammer und dann in den Keller. Nach einigen Stunden holte er Karolina - ihre Augen waren zugeschwollen, sie blutete, ihre Haare hatte ihr der Angeklagte teilweise, tonsurartig, ausgerissen - nach oben, indem er sie an der Kleidung am Hals packte und so die Treppe hinauftrug, der auf dem Bett sitzenden Angeklagten vor die Füße warf, wobei das laut schreiende und weinende Kind mit dem Kopf am Nachttisch anschlug. Die Angeklagte sollte das Mädchen waschen, da es sich eingekotet hatte. Als Karolina in der Badewanne wegen eines Wasserspritzers ins Gesicht aufschrie, schlug ihr der Angeklagte mit dem Duschkopf auf den Kopf. Anschließend rasierten die Angeklagten dem Mädchen die restlichen Haare vom Kopf. Kurze Zeit später schlug der Angeklagte Karolina mit der flachen Hand gegen die Brust, sodass sie gegen einen Schrank fiel und zu Boden sank. Der Angeklagte riss sie an den Kleidern hoch und warf sie zuerst aufs Bett. Dann sollte sich Karolina ins Zimmereck stellen. Karolina sank jedoch kraftlos zu Boden. Der Angeklagte verweigerte dem Mädchen gleichwohl zunächst den Schlaf, bis sie sich auf ein auf dem Boden zubereitetes Lager legen durfte. Als der Angeklagte bemerkte, dass sie eingenässt hatte, drückte er eine brennende Zigarette an ihrem Knie aus.

Am Nachmittag des 4. Januar 2004 sperrte der Angeklagte Karolina in den Tankraum im 2. Untergeschoss. Am Abend, nach der Rückkehr der Angeklagten vom Besuch bei einer Nachbarin, drückte der Angeklagte den heißen Kopf eines Feuerzeugs auf die nackte Haut des Kindes. Später öffnete er mindestens vier Brandblasen vollends und cremte sie ein.

Als der Angeklagte im weiteren Verlauf des Abends über die Angeklagte in Wut geraten war, reagierte er sich an Karolina ab. Er schlug sie mit einem Ledergürtel ins Gesicht und auf den Kopf. Danach schlug er das Kind mit der flachen linken Hand „mit einer Wucht von mindestens 80 G“ seitlich gegen das Gesicht, so dass Karolina mit dem Kopf gegen die Zimmerwand prallte. Karolina röchelte und sank bewusstlos zu Boden.

Am Tag darauf legten die Angeklagten die immer noch bewusstlose Karolina kurz nach 14.00 Uhr in einer Toilette des Stiftungskrankenhauses Weißenhorn ab. Um 15.45 wurde sie gefunden. Trotz sofortiger Intensivbehandlung erlangte Karolina das Bewusstsein nicht mehr und verstarb am 7. Januar 2004 um 10.40 Uhr.

Urteil vom 13. Dezember 2005 - 1 StR 410/05

Landgericht Memmingen - Entscheidung vom 21.4.2005 -1 Ks 20 Js 294/04

Karlsruhe, den 13. Dezember 2005

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