Bundesgerichtshof
Mitteilung der Pressestelle

 

 

Nr. 25/2004

Privater Krankenversicherer eines zeugungsunfähigen Mannes muß die Kosten einer In-vitro-Fertilisation übernehmen

Der Kläger hat von seinem privaten Krankenversicherer die Erstattung der Kosten für eine In-vitro-Fertilisation verlangt. Während seine (gesetzlich krankenversicherte) Ehefrau nicht unter Fertilitätsstörungen leidet, ist er in seiner Zeugungsfähigkeit erheblich eingeschränkt.

Um gleichwohl ihren Kinderwunsch zu verwirklichen, unterzogen sich die Ehegatten im Februar 2002 dem Versuch einer extrakorporalen Befruchtung im Wege der In-vitro-Fertilisation (IVF) in Verbindung mit einer intra-cytoplasmatischen Spermien-Injektion (ICSI). Bei der In-vitro-Fertilisation werden der Frau nach vorangegangener Stimulation Eizellen aus dem Eierstock entnommen und mit dem Samen des Ehemannes befruchtet. Nach etwa zwei Zellteilungen wird der extrakorporal erzeugte Embryo in die Gebärmutter der Frau übertragen. Im Wege der intra-cytoplasmatischen Spermien-Injektion werden zuvor Spermien zum Zwecke der Befruchtung in eine Eizelle injiziert. Die Beklagte hat lediglich die Kosten für die intra-cytoplasmatischen Spermien-Injektion übernommen, die Erstattung der restlichen Kosten in Höhe von rund 7.000 € aber verweigert. Sie ist der Auffassung, die In-vitro-Fertilisation sei keine Heilbehandlung des Klägers, weil sie nicht an ihm, sondern an seiner Ehefrau vorgenommen worden sei. Es sei darum allein Sache der gesetzlichen Krankenversicherung der Ehefrau, für diese Kosten aufzukommen (die Krankenkasse der Ehefrau hatte eine solche Kostenübernahme aber abgelehnt).

Die Klage war in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben. Das Berufungsgericht hatte eine bedingungsgemäße Heilbehandlung des Klägers im Sinne des § 1 der Musterbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung (MB/KK 94) mit der Begründung verneint, es fehle an einer Einwirkung auf seinen Körper.

Auf die Revision des Klägers hat der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs die Beklagte zur Zahlung verurteilt. Zur Begründung hat er ausgeführt, daß die In-vitro-Fertilisation eine Heilbehandlung des Klägers im Sinne der Versicherungsbedingungen darstelle. Unter diesen Begriff fällt nämlich auch die Linderung einer Krankheit und damit eine ärztliche Tätigkeit, die auf die Beseitigung von Krankheitsfolgen gerichtet ist oder eine Ersatzfunktion für ein ausgefallenes Organ bezweckt. Daß eine homologe In-vitro-Fertilisation als Heilbehandlung in diesem Sinne anzusehen ist, wenn sie dazu eingesetzt wird, um die Fortpflanzungsunfähigkeit einer Frau zu überwinden, ist vom Bundesgerichtshof bereits seit langem anerkannt (BGHZ 99, 228 ff.).

Wird die In-vitro-Fertilisation eingesetzt, um die organisch bedingte Unfruchtbarkeit eines Mannes zu überwinden, so kann für die Frage, inwieweit eine Linderung der Unfruchtbarkeit angestrebt wird und damit eine bedingungsgemäße Heilbehandlung vorliegt, im Ergebnis nichts anderes gelten. Auch insoweit spielt es keine Rolle, daß die Maßnahme sich nicht dazu eignet, die Ursachen der Unfruchtbarkeit zu beheben. Denn dem Begriff der Linderung einer Krankheit wohnt gerade nicht inne, daß damit notwendig auch eine Behebung ihrer Ursachen verbunden sein muß.

Die gesamte Behandlung zielt darauf ab, einen Zustand zu erreichen, der ohne die Fertilitätsstörung mit Hilfe der natürlichen Körperfunktionen hätte herbeigeführt werden können. Die In-vitro-Fertilisation bildet dabei zusammen mit der intra-cytoplasmatischen Spermien-Injektion eine auf das Krankheitsbild des Klägers abgestimmte Gesamtbehandlung. Ohne die zur In-vitro-Fertilisation zählende Eizellenentnahme kann die Injektion der Spermien nicht durchgeführt werden. Sämtliche ärztlichen Maßnahmen haben nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn eine befruchtete Eizelle in die Gebärmutter übertragen wird, um sich dort einzunisten. Erst danach läßt sich davon sprechen, daß die gestörte Körperfunktion durch den ärztlichen Eingriff ersetzt und die der Linderung dienende Heilbehandlungsmaßnahme eines unfruchtbaren Mannes beendet ist. Ohne die damit einhergehende Mitbehandlung der Frau wäre die Behandlung insgesamt sinnlos und für sich genommen auch nicht zur Linderung der Unfruchtbarkeit des Klägers geeignet.

Daß möglicherweise die Ehefrau des Klägers nach § 27a SGB V ebenfalls einen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die In-vitro-Fertilisation gegen ihren gesetzlichen Krankenversicherer hat, führt zu keiner Kürzung des vertraglichen Anspruchs des Klägers. Ob und inwieweit ein Kostenausgleich zwischen seinem privaten Krankenversicherer und dem gesetzlichen Krankenversicherer der Ehefrau erfolgen kann, hatte der Senat hier nicht zu entscheiden.

Urteil vom 3. März 2004 – IV ZR 25/03

Karlsruhe, den 4. März 2004

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