Bundesgerichtshof
Mitteilung der Pressestelle

 

 

Nr. 81/2003

Bundesgerichtshof verneint Ersatzsansprüche der Geschädigten des Distomo-Massakers gegen die Bundesrepublik Deutschland

Die Kläger sind griechische Staatsangehörige. Ihre Eltern wurden am 10. Juni 1944 im damals besetzten Griechenland von Angehörigen einer in die Deutsche Wehrmacht eingegliederten SS-Einheit nach einer vorausgegangenen bewaffneten Auseinandersetzung mit Partisanen im Zuge einer gegen das Dorf Distomo (Böotien) gerichteten "Sühnemaßnahme" erschossen, zusammen mit weiteren 300 an den Partisanenkämpfen unbeteiligten Dorfbewohnern - überwiegend Frauen und Kindern - sowie zwölf gefangengenommenen Partisanen. Das Dorf wurde niedergebrannt.

Die Kläger haben im Wege einer Feststellungsklage die Bundesrepublik Deutschland auf Schadensersatz, hilfsweise auf Entschädigung in Anspruch genommen. Das Landgericht Bonn und das Oberlandesgericht Köln als Berufungsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision haben die Kläger ihre Ansprüche weiterverfolgt. Das seit dem Jahre 1998 beim Bundesgerichtshof anhängige Revisionsverfahren wurde eine Zeitlang im Hinblick auf parallel laufende Verfahren in Griechenland nicht betrieben. In einem in Griechenland u.a. für die Kläger des vorliegenden Prozesses geführten Schadensersatzprozeß hatte eine Zivilkammer des Landgerichts Livadeia im Oktober 1997 den Klägern bestimmte Zahlungsansprüche gegen die Bundesrepublik zuerkannt. Den von der Bundesrepublik Deutschland gestellten Antrag auf Kassation dieses Urteil hatte der Areopag zurückgewiesen. Der Versuch einer Zwangsvollstreckung aus diesem Urteil in in Griechenland belegenes Vermögen der Bundesrepublik Deutschland scheiterte jedoch, weil die griechische Regierung nicht die nach dortigem Recht dazu erforderliche Genehmigung erteilte. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Kläger an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte hatte keinen Erfolg (Beschluß vom 12. Dezember 2002).

In dem (nunmehr fortgesetzten) Revisionsverfahren stand der u.a. für das Amtshaftungsrecht zuständige III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs zunächst vor der Frage, ob einer umfassenden sachlichen Prüfung der Ansprüche der Kläger die Rechtskraft des erwähnten Urteils des Landgerichts Livadeia entgegenstand. Das war nach Auffassung des III. Zivilsenats nicht der Fall, weil das betreffende Urteil in Deutschland nicht anerkannt werden kann. Das griechische Gericht hat nämlich gegen den völkerrechtlichen Grundsatz der Staatenimmunität verstoßen. Nach diesem Grundsatz kann ein Staat Befreiung von der Gerichtsbarkeit eines fremden Staates beanspruchen, soweit es um die Beurteilung seines hoheitlichen Verhaltens geht. Um einen solchen Fall handelte es sich hier. Neuere Versuche, den Grundsatz der Staatenimmunität enger zu fassen, haben sich bisher nicht durchgesetzt, wie auch aus einer Entscheidung des Obersten Sondergerichts Griechenlands vom 17. September 2002 in einer ähnlich gelagerten Sache und aus dem bereits zitierten Beschluß des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 12. Dezember 2002 hervorgeht.

In der Sache selbst war zunächst zu unterscheiden zwischen selbständigen Nachkriegsverpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland und einer Haftung der Bundesrepublik Deutschland für Schulden des Deutschen Reiches - etwa unter dem Gesichtspunkt der Funktionsnachfolge. Eine selbständige Nachkriegsverpflichtung hätte sich allenfalls aus dem Bundesentschädigungsgesetz von 1953 ergeben können. An den gesetzlichen Voraussetzungen dieses Gesetzes fehlt es jedoch.

Die Prüfung einer Einstandspflicht der Bundesrepublik Deutschland für eine Schuld des Deutschen Reiches scheitert nach Auffassung des Bundesgerichtshofs nicht (mehr) an dem Londoner Schuldenabkommen von 1953, das ein Moratorium (Stundungsregelung) enthielt. Dieses Abkommen ist durch den sogenannten Zwei-Plus-Vier-Vertrag vom September 1990 im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung Deutschlands gegenstandslos geworden.

Soweit es um die Haftung der Bundesrepublik für eine Schuld des Deutschen Reiches geht, ist für die Beurteilung der Klageansprüche sowohl aus völkerrechtlichen Gesichtspunkten als auch nach nationalem Recht die Rechtslage zur Zeit der hier in Rede stehenden Tat, also diejenige des Jahres 1944, maßgebend. Daß bei der Ermittlung und Würdigung dieser Rechtslage nationalsozialistisches Gedankengut unberücksichtigt zu bleiben hat, versteht sich von selbst. Ein Anspruch der Kläger wegen eines völkerrechtlichen Delikts scheitert daran, daß nach der im Zweiten Weltkrieg bestehenden Rechtslage im Falle von Verletzungen des Kriegsvölkerrechts etwaige Schadensersatzansprüche gegen den verantwortlichen fremden Staat nicht einzelnen geschädigten Personen, sondern nur deren Heimatstaat zustanden. Dieses Prinzip der ausschließlichen Staatenberechtigung galt auch für die Verletzung von Menschenrechten. Art. 2 der Haager Landkriegsordnung, wonach deren Bestimmungen "nur zwischen den Vertragsmächten" Anwendung finden, bestätigt diese Sicht. Daß das Völkerrecht heute, wie das Bundesverfassungsgericht ausgeführt hat, weitergehende Schutzsysteme zur Verfügung stellt, muß für die auf das Jahr 1944 bezogene Würdigung außer Betracht bleiben. Auch ein von den Klägern vorgelegtes Rechtsgutachten rechtfertigte keine andere Beurteilung. Insbesondere konnte der Bundesgerichtshof diesem nicht in der Auffassung folgen, bei den hier zu beurteilenden Vorgängen handele es sich um außerhalb des "Kriegsgeschehens" liegende Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung im Sinne einer bloßen "Polizeiaktion" der Besatzungsmacht. Das Massaker von Distomo geschah nach dem oben dargestellten - im Prozeß unstreitigen - Sachverhalt in einem von der Haager Landkriegsordnung unmittelbar erfaßten Bereich. Der Umstand, daß die wehrlose, an dem vorausgegangenen Kampfgeschehen unbeteiligte Zivilbevölkerung das Opfer war, ändert an diesen Zusammenhängen und der Würdigung, daß es sich um eine militärische Operation handelte, nichts.

Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs gibt es auch für einen Schadensersatzanspruch der Kläger gegen das Deutsche Reich aus dem Gesichtspunkt der Amtshaftung nach § 839 BGB i.V.m. Art. 131 der Weimarer Reichsverfassung aus der Sicht des Jahres 1944 keine Grundlage. Nach damaligem Verständnis war eine Einstandspflicht des Staates für Amtspflichtverletzungen seiner Bediensteten gegenüber durch Kriegshandlungen im Ausland geschädigten Ausländern nicht gegeben. Der Krieg wurde als völkerrechtlicher Ausnahmezustand gesehen, der seinem Wesen nach auf Gewaltanwendung ausgerichtet ist und die im Frieden geltende Rechtsordnung weitgehend suspendiert. Die Verantwortlichkeit für den Beginn eines Krieges und die Folgen der damit zwangsläufig verbundenen kollektiven Gewaltanwendung wie auch die Haftung für individuelle Kriegsverbrechen der zu den bewaffneten Mächten gehörenden Personen wurde auf der Ebene der kriegführenden Staaten geregelt bzw. als regelungsbedürftig angesehen. Aus dieser Sicht des Krieges als eines in erster Linie kollektiven Gewaltakts, der als "Verhältnis von Staat zu Staat" aufgefaßt wurde, lag damals die Vorstellung fern, ein kriegführender Staat könne sich durch Delikte seiner bewaffneten Macht während des Krieges im Ausland (auch) gegenüber den Opfern unmittelbar schadensersatzpflichtig machen. Aus ähnlichen Überlegungen scheidet auch ein Anspruch der Kläger unter dem Gesichtspunkt eines enteignungsgleichen bzw. aufopferungsgleichen Eingriffs aus.

Urteil vom 26. Juni 2003 - III ZR 245/98

Karlsruhe, den 26. Juni 2003

Pressestelle des Bundesgerichtshofs

76125 Karlsruhe

Telefon (0721) 159-422

Telefax (0721) 159-831