Bundesgerichtshof
Mitteilung der Pressestelle

 

 

Nr. 25/2003

 

Zur Unterhaltspflicht von Kindern gegenüber ihren Eltern

Der u. a. für Familiensachen zuständige XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte sich erneut mit der Frage zu befassen, in welchem Umfang Kinder zu Unterhaltsleistungen für ihre betagten Eltern herangezogen werden können. In dem nunmehr entschiedenen Fall hatte die klagende Stadt der verwitweten Mutter von zwei Söhnen, die noch in einer eigenen Wohnung lebt, Sozialhilfe geleistet. Die Mutter bezieht außerdem Wohngeld sowie – seit Januar 1996 – eine Altersrente, die im Jahr 1999 rund 320 DM im Monat betrug. Bis März 1997 war sie teilschichtig erwerbstätig und verdiente rund 900 DM netto monatlich. Die Stadt nahm die Söhne für die Zeit ab 1994 auf rückständigen Unterhalt und ab Januar 1999 auf laufenden Unterhalt in Anspruch.

Das Amtsgericht hat der Klage für die Zeit ab April 1997 teilweise stattgeben und die weitergehende Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Bedarf der Mutter sei ebenso zu bemessen wie derjenige eines volljährigen Kindes mit eigenem Haushalt; diesen Bedarf habe die Mutter bis März 1997 durch ihr eigenes Einkommen decken können.

Die (nur) von einem der Söhne eingelegte Revision und die Anschlußrevision der Stadt führten zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht. Der XII. Zivilsenat hat die Auffassung des Oberlandesgerichts, der Bedarf der Mutter sei von dem Amtsgericht zu niedrig angesetzt worden, bestätigt. Er hat die Ansicht vertreten, daß sich das Maß des einem Elternteil geschuldeten Unterhalts nach dessen eigener Lebensstellung bestimme. Als angemessener Unterhalt müßten aber auch bei bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen diejenigen Mittel angesehen werden, durch die das Existenzminimum sichergestellt werden könne und die demgemäß als Untergrenze des Bedarfs zu bewerten seien. Insofern sei es nicht rechtsfehlerhaft, zur Ermittlung des Bedarfs auf die in den Unterhaltstabellen enthaltenen Eigenbedarfssätze zurückzugreifen und denjenigen Betrag als Bedarf anzusetzen, der der jeweiligen Lebenssituation des unterhaltsberechtigten Elternteils entspreche. Hinzuzurechnen seien die Kosten der Kranken- und Pflegeversicherung.

Hinsichtlich der unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit des Sohnes hat der Senat entschieden, daß diesem von dem Zeitpunkt an, in dem er nicht mehr sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei, weil sein Einkommen über der Beitragsbemessungsgrenze zur Rentenvericherung gelegen habe, ähnlich wie einem Selbständigen zugebilligt werden müsse, anderweit in angemessener Weise für sein Alter Vorsorge zu treffen. Insofern hat der Senat die Auffassung vertreten, daß es in Anlehnung an die Beitragssätze zur gesetzlichen Rentenversicherung als angemessen angesehen werden könne, wenn ein Anteil von etwa 20 % des Bruttoeinkommens für die primäre Altersvorsorge eingesetzt werde. In welcher Weise der Unterhaltspflichtige diese Vorsorge treffe, stehe ihm dabei grundsätzlich frei.

Zu den zu berücksichtigenden sonstigen Verpflichtungen des Sohnes gehört auch die Unterhaltspflicht gegenüber seiner Ehefrau. Hierzu hat der Senat die Auffassung vertreten, daß dieser Anspruch nicht von vornherein auf einen Mindestbetrag beschränkt sei, sondern das Maß des der Ehefrau geschuldeten Unterhalts nach den individuell ermittelten Leben-, Einkommens- und Vermögensverhältnissen, die den ehelichen Lebensstandard bestimmten, zu bemessen sei. Da die Ehefrau der Schwiegermutter nicht unterhaltspflichtig sei, brauche sie mit Rücksicht auf deren – nachrangige – Unterhaltsansprüche keine Schmälerung ihres angemessenen Anteils am Familienunterhalt hinzunehmen.

Urteil vom 19. Februar 2003 – XII ZR 67/00

Karlsruhe, den 20. Februar 2003

Pressestelle des Bundesgerichtshofs

76125 Karlsruhe

Telefon (0721) 159-422

Telefax (0721) 159-831