Bundesgerichtshof
Mitteilung der Pressestelle

 

 

Nr. 20/2003

 

Urteil wegen Heimtückemordes an Erpresser aufgehoben

Das Landgericht Nürnberg-Fürth hatte den Angeklagten T im März 2002 wegen Heimtückemordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Auf die Revision des Angeklagten hat der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs dieses Urteil aufgehoben.

Der später von dem Angeklagten getötete Konstantin M erpreßte den Angeklagten mit der Drohung, seinen illegalen Handel mit sog. Raubpressungen von CDs bei Polizei und Finanzamt anzuzeigen. Nach neuerlichen, von dem Angeklagten zunächst zurückgewiesenen Geldforderungen des M ließ der Angeklagte ihn und dessen Begleiter abends in seine Wohnung ein, obgleich dieser angekündigt hatte, er werde "das Geld eintreiben" und den Angeklagten auch zusammenschlagen lassen. Nach einem Streit über die Geldforderung und sich daran anschließendem gemeinsamen Whiskeytrinken drohte M - der nun 5.000 DM verlangte - mit der Zerstörung der Wohnungseinrichtung des Angeklagten und der Mitnahme von Einrichtungsgegenständen; er trat gegen die CD-Sammlung des Angeklagten. Dieser erklärte sich schließlich bereit, den geforderten Betrag zu zahlen, wenn M "seine Sachen in Ruhe ließe". Er holte aus einem Versteck im Bad seiner Einraumwohnung eine Tüte mit 5.000 DM und 500 US-Dollar. Diese nahm der Begleiter des M an sich. Der Angeklagte, der wütend darüber war, daß M ihm sein angespartes Geld wegnehmen wollte, trat hinter M, faßte diesen am Kopf und schnitt ihm von hinten mit einem kleinen Küchenmesser mehrfach von links nach rechts durch den Hals. M verstarb. Sein Begleiter konnte zunächst mit dem Geld flüchten.

Der 1. Strafsenat hat die Annahme des Landgerichts beanstandet, der Angeklagte habe heimtückisch gehandelt und damit einen Mord begangen. Heimtücke setzt nach ständiger Rechtsprechung u.a. voraus, daß der Getötete arglos gegenüber einem erheblichen Angriff auf seine körperliche Integrität oder gar auf sein Leben ist. Der Senat hat entschieden, daß der Erpresser, welcher in einer von ihm gesuchten Konfrontation mit dem Erpreßten und in dessen Angesicht im Begriff sei, seine Tat zu vollenden (Geldübergabe oder -wegnahme), nicht arglos im Sinne des Mordmerkmals der Heimtücke ist. Das gelte auch dann, wenn er mit einer Gegenwehr seines Opfers nicht rechne und von dieser überrascht sei. Der Erpresser sei der wirkliche Angreifer. Dem Erpreßten gestehe die Rechtsordnung das Notwehrrecht zu. Mit dessen Ausübung müsse jeder Angreifer in solcher Lage grundsätzlich rechnen. Das sei auch von der strafrechtlichen Werteordnung und damit normativ prägend vorgegeben. Dem entspreche, daß das Notwehrrecht generell tief im Rechtsbewußtsein der Bevölkerung verankert sei. Grundsätzlich ergebe sich auch dann nichts anderes, wenn der Erpreßte die Grenzen erlaubter Verteidigung überschreite.

Da das Landgericht darüber hinaus mit rechtsfehlerhafter Begründung das Vorliegen einer objektiv gegebenen, zum Zeitpunkt des Tötungsaktes andauernden Notwehrlage des Angeklagten verneint hatte, muß eine andere Strafkammer des Landgerichts nun auch prüfen, ob die Gegenwehr des Angeklagten erforderlich und geboten war, um den Verlust des Geldes abzuwenden. Dabei wird zu erörtern sein, ob in der gegebenen Situation die Möglichkeit bestand, noch rechtzeitig polizeiliche Hilfe zu erlangen. Auch wird die Frage zu beantworten sein, ob das Notwehrrecht des Angeklagten einer Einschränkung unterlag. Hierzu hat der Senat Hinweise gegeben. Er hat es abgelehnt, eine Einschränkung des Notwehrrechts wegen des eigenen strafbaren Vorverhaltens des Angeklagten (Urheberrechtsverletzungen) anzunehmen. Dieses habe sich nicht gegen Rechtsgüter des Erpressers gerichtet und auch nicht in unmittelbarem zeitlichem und räumlichem Zusammenhang mit den Erpressungen gestanden. Auch das Einlassen des Erpressers in die eigene Wohnung führe für sich gesehen nicht zu einer Schmälerung der Notwehrbefugnis, weil es kein rechtlich oder sozial-ethisch zu mißbilligendes Vorverhalten sei. Auf die in der Fachliteratur erwogene Einschränkung des Notwehrrechts für Fälle der sog. Schweigegelderpressung ("Chantage": Androhung kompromittierender Enthüllungen zum Zwecke der Erpressung) brauchte der Senat nicht näher einzugehen, weil der Erpresser hier eine "gemischte Drohkulisse" aufgebaut und auch mit Sachbeschädigungen und dem Einsatz räuberischer Mittel gedroht hatte (Schutzgeldkomponente).

Urteil vom 12. Februar 2003 - 1 StR 403/02

Karlsruhe, den 12. Februar 2003

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