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Pressemitteilungen » Pressemitteilungen aus dem Jahr 2003 » Pressemitteilung Nr. 116/03 vom 14.10.2003

Siehe auch:  Urteil des XI. Zivilsenats vom 14.10.2003 - XI ZR 121/02 -

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Bundesgerichtshof
Mitteilung der Pressestelle

 

 

Nr. 116/2003

Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Frage der

Sittenwidrigkeit einer Arbeitnehmerbürgschaft

Der für das Bankrecht zuständige XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte über die Wirksamkeit einer Bürgschaft zu entscheiden, die ein Arbeitnehmer gegenüber einem Kreditinstitut als Sicherheit für einen seinem Arbeitgeber eingeräumten Kontokorrentkredit übernommen hatte.

Der Beklagte war seit Anfang 1991 bei der neugegründeten, in Mecklenburg-Vorpommern ansässigen H. GmbH i.G. (nachfolgend: Hauptschuldnerin) als Bauleiter angestellt. Sein monatliches Nettoeinkommen betrug ab Mai 1991 2.222,70 DM. Ende 1991 geriet die Hauptschuldnerin in finanzielle Schwierigkeiten und beantragte bei der klagenden Sparkasse einen kurzfristigen Kontokorrentkredit von 200.000,- DM. Nachdem die Klägerin sich zur Gewährung des Kredits nur unter der Voraussetzung bereit erklärt hatte, daß die Hauptschuldnerin ausreichende Sicherheiten stellte, übernahm der Beklagte am 6. Januar 1992 zusammen mit zwei anderen Arbeitnehmern eine selbstschuldnerische Bürgschaft bis zum Höchstbetrag von 200.000,- DM. Kurze Zeit später gab die Hauptschuldnerin das von ihr betriebene Baugeschäft auf und stellte im April 1992 einen Antrag auf Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens, der mangels Masse abgelehnt wurde. Die Klägerin kündigte das Darlehen im Mai 1992. Mit der Klage hat sie den Beklagten aus dem Bürgschaftsvertrag auf Zahlung eines Teilbetrages von 70.000,- DM nebst Zinsen in Anspruch genommen. Dieser hat geltend gemacht, die Bürgschaft sei wegen krasser finanzieller Überforderung und anderer Umstände sittenwidrig. Er habe die Bürgschaft allein aus Sorge um den Erhalt seines Arbeitsplatzes übernommen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht ihr stattgegeben.

Der Bundesgerichtshof hat auf die Revision des Beklagten das Berufungsurteil aufgehoben und das landgerichtliche Urteil wiederhergestellt. Er hat die übernommene Bürgschaft als sittenwidrig und damit nichtig angesehen.

Allerdings folgt die Sittenwidrigkeit nicht aus der in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannten widerleglichen Vermutung, daß ein kraß finanziell überforderter, dem Hauptschuldner persönlich nahestehender Bürge die Bürgschaft nur aus einer durch die emotionale Verbundenheit mit dem Hauptschuldner bedingten unterlegenen Position heraus übernommen und der Gläubiger dies in verwerflicher Weise ausgenutzt hat. Diese Vermutung, die für ruinöse Bürgschaften für einen Ehe- oder Lebenspartner, einen engen Verwandten oder Freund gilt, ist mangels eines entsprechenden persönlichen Näheverhältnisses auf die von einem Arbeitnehmer zugunsten des Arbeitgebers übernommene Bürgschaft nicht zu übertragen.

Der Bundesgerichtshof konnte offenlassen, ob sich eine Vermutung für die Sittenwidrigkeit der Arbeitnehmerbürgschaft unter anderen Gesichtspunkten ergeben kann.

Denn im konkreten Fall kamen jedenfalls zu einer krassen finanziellen Überforderung des Beklagten erschwerende, der Klägerin zuzurechnende Umstände hinzu, die die Sittenwidrigkeit begründeten. Die Hauptschuldnerin befand sich im Zeitpunkt der Bürgschaftsübernahme bereits in ernsten Liquiditätsschwierigkeiten. Der Beklagte, der nur über ein mäßiges Nettoeinkommen verfügte, wurde ohne Gewinnbeteiligung und ohne irgendeine Gegenleistung in einem Umfang mit dem wirtschaftlichen Risiko der Arbeitgeberin und dem Kreditrisiko belastet, der geeignet war, ihn für den Rest seines Lebens wirtschaftlich zu ruinieren. Er hatte – für die Klägerin erkennbar - die Bürgschaft allein aus Angst um seinen Arbeitsplatz übernommen, wofür der Bundesgerichtshof in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit, wie sie seit längerer Zeit vor allem auch in den neuen Ländern herrscht, eine tatsächliche Vermutung annimmt.

Urteil vom 14. Oktober 2003 – XI ZR 121/02

Karlsruhe, den 14. Oktober 2003

Pressestelle des Bundesgerichtshofs

76125 Karlsruhe

Telefon (0721) 159-5013

Telefax (0721) 159-5501

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