Bundesgerichtshof
Mitteilung der Pressestelle

 

 

Nr. 23/2003

 

Gebietsabsprache in Gaslieferungsvertrag kartellrechtswidrig

Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat heute entschieden, daß Gebietsabsprachen, die im Rahmen eines Energielieferungsvertrages vereinbart werden, ein verbotenes Kartell darstellen können. Er hat zwei Untersagungsverfügungen des Bundeskartellamts bestätigt, durch die es zwei in den neuen Bundesländern tätigen Gasversorgungsunternehmen – der Verbundnetz Gas AG (VNG) und der Erdgasversorgung Thüringen-Sachsen GmbH (EVG) – verboten worden war, in Lieferverträgen mit ihren Gaslieferanten eine Gebietsabsprache zu treffen.

VNG und EVG sind Ferngasunternehmen, die private und gewerbliche Endverbraucher in den neuen Bundesländern mit Gas versorgen. Die vom Bundeskartellamt beanstandeten Vereinbarungen waren bereits Anfang 1994 mit einer Laufzeit von zwanzig Jahren abgeschlossen worden. In ihnen hatten sich VNG und EVG gegenüber Lieferanten von russischem Erdgas – der Wingas GmbH und der Wintershall Erdgas Handelshaus GmbH (WIEH), die beide Gemeinschaftsunternehmen der zur BASF-Gruppe gehörenden Wintershall AG und des russischen Energiekonzerns Gazprom sind – zur Abnahme bestimmter Mengen russischen Erdgases verpflichtet. WIEH und Wingas hatten in diesem Vertrag ihrerseits die Verpflichtung übernommen, Kunden – von namentlich benannten Ausnahmen abgesehen – in den traditionellen Versorgungsgebieten von VNG und EVG nicht zu beliefern. Zuvor hatten Wingas und WIEH Lieferbeziehungen zu Abnehmern entlang der durch die neuen Bundesländer führenden konzerneigenen Ferngasleitung mit abzweigenden Stichleitungen aufgebaut.

Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat nun in Übereinstimmung mit der Vorinstanz entschieden, daß eine solche Vereinbarung – unabhängig davon, ob sie schon unter altem Recht als ein Mißbrauch der Freistellung anzusehen wäre – ein verbotenes Kartell darstellt. Der Senat hat klargestellt, daß das Kartellverbot, das wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen zwischen miteinander im Wettbewerb stehenden Unternehmen untersagt, auch auf Austauschverträge wie die hier in Rede stehenden Gaslieferungsverträge Anwendung finden kann, für die normalerweise eine großzügigere Regelung gilt. Wenn es sich um einen Lieferungsvertrag zwischen Wettbewerbern handele, seien wettbewerbsbeschränkende Nebenabreden nur ge-stattet, soweit für sie ein berechtigtes Interesse bestehe. Das sei vorliegend zu verneinen.

Dabei hat der Senat darauf abgestellt, daß Gebietsabsprachen (oder Demarkationen) den Wettbewerb in leitungsgebundenen Märkten erheblich beschränkten. Dies gelte jedenfalls dann, wenn der Energielieferant zugleich in der Versorgung der Endabnehmer tätig sei. Der durch die Gebietsabsprache verhinderte Wettbewerb sei im Streitfall um so höher einzuschätzen, als VNG und EVG in ihren Versorgungsgebieten aufgrund der Verfügungsgewalt über die Leitungsnetze gegenüber anderen Anbietern bevorzugt seien, die sich häufig den Weg zu ihren Kunden erst durch mühsame Auseinandersetzungen um eine Durchleitung durch das fremde Leitungsnetz freikämpfen müßten. Die Gebietsabsprachen seien weder funktionsnotwendig für die in Rede stehenden Energielieferungsverträge, noch seien sie mit Blick auf die Mindestabnahmeverpflichtung, die VNG und EVG eingegangen seien (sog. "take-or-pay"-Verpflichtungen), zu rechtfertigen. Zwar bestehe zwischen Gebietsabsprache und Mindestabnahmeverpflichtung ein Zusammenhang, der aber nicht dazu führen könne, daß die Gebietsabrede hinzunehmen sei. Vielmehr werde die Mindestabnahmeverpflichtung unter Umständen von der Unwirksamkeit der Gebietsabsprache erfaßt.

Der Bundesgerichtshof hat schließlich betont, daß die beanstandeten Gebietsabsprachen der Zielrichtung des Gesetzes widersprächen. Mit der Aufhebung der bis 1998 geltenden Freistellung der Energielieferungsverträge sei deutlich geworden, daß sich die vom Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen verfolgte Zielrichtung eines freien Wettbewerbs nunmehr uneingeschränkt auch auf die frühere Bereichsausnahme der Energieversorgung richte. Mit dieser Zielrichtung sei die Abgrenzung der räumlichen Tätigkeitsbereiche von Wettbewerbern nicht zu vereinbaren.

Beschlüsse vom 18. Februar 2003 – KVR 24/01 und KVR 25/01

Karlsruhe, den 18. Februar 2003

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