Bundesgerichtshof
Mitteilung der Pressestelle

 

 

Nr. 51/2002

Bundesgerichtshof legt dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Fragen zur Wahrnehmung der Bankenaufsicht vor

 

Die Kläger hatten Einlagen bei der BVH Bank für Vermögensanlagen und Handel AG in Düsseldorf, die keinem Einlagensicherungssystem angehörte und im Jahr 1987 vom Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen die Erlaubnis zum Betrieb von Bankgeschäften unter der Auflage erhalten hatte, die Kunden über das Nichtbestehen einer Sicherungseinrichtung zu informieren. Die schwierige Vermögenssituation der Bank veranlaßte das Bundesaufsichtsamt in den Jahren 1991, 1995 und 1997 zu Sonderprüfungen. Im Anschluß an die dritte Sonderprüfung ordnete das Bundesaufsichtsamt mit Wirkung vom 19. August 1997 ein Moratorium gemäß § 46 a des Kreditwesengesetzes (KWG) an. Im November 1997 stellte es Konkursantrag und entzog der Bank die Erlaubnis zum Betrieb von Bankgeschäften. Das Konkursverfahren wurde am 1. Dezember 1997 eröffnet. Die Kläger sind mit ihren Einlagen vom Vermögensverfall der BVH Bank betroffen. Inwieweit ihnen eine Konkursquote zusteht, ist noch offen.

Im anhängigen Verfahren haben die Kläger von der beklagten Bundesrepublik Ersatz des ihnen entstandenen Schadens mit der Begründung begehrt, sie habe die Richtlinie 94/19/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 1994 über Einlagensicherungssysteme nicht rechtzeitig vor dem 1. Juli 1995 in das nationale Recht umgesetzt, und das Bundesaufsichtsamt sei seiner Verpflichtung zur Bankenaufsicht nicht ordnungsgemäß nachgekommen. Das Landgericht hat der Klage wegen verspäteter Umsetzung der Einlagensicherungsrichtlinie unter dem rechtlichen Gesichtspunkt eines gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs im Rahmen der nach dieser Richtlinie vorgesehenen Haftungshöchstgrenze von 20.000 ECU entsprochen.

Demgegenüber blieb die Klage in den Vorinstanzen wegen des darüber hinausgehenden Schadens ohne Erfolg. Die Vorinstanzen haben einen Amtshaftungsanspruch der Kläger verneint, weil das Bundesaufsichtsamt – eine Pflichtverletzung unterstellt – ihnen gegenüber keine Amtspflichten wahrzunehmen gehabt hätte. Denn es nehme nach der Bestimmung des § 6 Abs. 4 KWG, an deren Stelle – inhaltsgleich - mit Wirkung vom 1. Mai 2002 § 4 Abs. 4 des Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetzes getreten ist, die ihm zugewiesenen Aufgaben nur im öffentlichen Interesse wahr.

Die Revision der Kläger vertritt die Auffassung, der Gesetzgeber sei aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht befugt gewesen, Amtshaftungsansprüche von Einlagegläubigern auszuschließen, die nach der früheren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 74, 144; 75, 120) anerkannt gewesen seien. Darüber hinaus stehe die Vorschrift des § 6 Abs. 4 KWG nicht in Einklang mit verschiedenen Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft, mit denen – auch zum Schutz der Sparer und Anleger - das Recht der Bankenaufsicht zunehmend harmonisiert worden sei.

Der unter anderem für das Amtshaftungsrecht zuständige III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat sich im jetzigen Verfahrensstadium noch nicht mit der Frage beschäftigt, ob § 6 Abs. 4 KWG einer verfassungsrechtlichen Überprüfung standhält. Hierauf würde es nämlich nicht entscheidend ankommen, wenn sich bereits aus der Anwendung von EG-Richtlinien ergeben würde, daß das Bundesaufsichtsamt, soweit es im EG-rechtlich harmonisierten Aufsichtsbereich tätig wird, Amtspflichten auch im Interesse der Sparer und Anleger wahrzunehmen hat. Da diese Frage in der Einlagensicherungsrichtlinie und in anderen zum Bankenaufsichtsrecht erlassenen Richtlinien nicht ausdrücklich angesprochen ist – die Richtlinien erwähnen den Sparer- und Anlegerschutz vorwiegend nur in ihren Begründungserwägungen -, hat der Bundesgerichtshof das Revisionsverfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Fragen vorgelegt, die sich auf die den Sparern und Anlegern verliehene Rechtsstellung und die Wirkung dieser Richtlinien beziehen.

 

Beschluß vom 16. Mai 2002 - III ZR 48/01

Karlsruhe, den 16. Mai 2002

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