Bundesgerichtshof
Mitteilung der Pressestelle

 

 

Nr. 68/2002

Bundesgerichtshof zur Kooperation auf dem Stellenanzeigenmarkt

  • Kooperation zwischen Süddeutscher Zeitung und Frankfurter Rundschau auf dem Prüfstand –

Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat in einem heute verkündeten Beschluß über die kartellrechtliche Zulässigkeit einer Zusammenarbeit der Süddeutschen Zeitung, der Frankfurter Rundschau, der Welt und der Welt am Sonntag auf dem Markt für Stellenanzeigen entschieden.

Der Markt für überregionale Stellenanzeigen wird zur Zeit von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung beherrscht, bei der – trotz deutlich höherer Preise – bei weitem die meisten Stellenanzeigen für gehobene, bundesweit ausgeschriebene Positionen erscheinen und die auch von den entsprechenden Stellenbewerbern bevorzugt erworben wird. Sie läßt damit ihre Konkurrenten weit hinter sich. Um überregionale Stellenanzeigen bemühen sich etwa auch die Frankfurter Rundschau, die Süddeutsche Zeitung, die Welt, die Welt am Sonntag, das Handelsblatt, die Financial Times Deutschland und die Wochenzeitung Die Zeit.

Um eine Alternative zum Stellenanzeigenangebot der Frankfurter Allgemeine Zeitung zu schaffen, gründeten die Verlage der Süddeutschen Zeitung und der Frankfurter Rundschau sowie der Axel Springer Verlag, in dem Welt und Welt am Sonntag erscheinen, ein Gemeinschaftsunternehmen. Dieses Unternehmen sollte für die vier Zeitungen unter dem Titel "Stellenmarkt für Deutschland" einen einheitlichen Stellenteil produzieren, der als eigenes "Buch", also als ein gesondert gefalteter Teil, den Samstagsausgaben der drei Tageszeitungen bzw. der Welt am Sonntag beiliegen sollte. Daneben sollte es den Zeitungen gestattet sein, gesondert Stellenanzeigen zu akquirieren und in einem anderen Teil zu veröffentlichen.

Beim Bundeskartellamt beantragten die drei Verlage eine Freistellung ihres Vorhabens vom Kartellverbot des § 1 GWB. Einschlägig war die erst 1999 eingeführte Bestimmung des § 7 GWB, die der Regelung über die Freistellung vom Kartellverbot in Art. 81 des EG-Vertrages nachgebildet ist. Danach setzt eine Freistellung voraus, daß es sich um eine Vereinbarung handelt, "die unter angemessener Beteiligung der Verbraucher an dem entstehenden Gewinn zu einer Verbesserung der Entwicklung, Erzeugung, Verteilung, Beschaffung, Rücknahme oder Entsorgung von Waren oder Dienstleistungen" beiträgt. Die Freistellung setzt weiter voraus, daß "die Verbesserung von den beteiligten Unternehmen auf andere Weise nicht erreicht werden kann, in einem angemessenen Verhältnis zu der damit verbundenen Wettbewerbsbeschränkung steht und die Wettbewerbsbeschränkung nicht zur Entstehung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung führt".

Das Bundeskartellamt lehnte den Antrag auf Freistellung jedoch ab. Die Beschwerde beim Kammergericht hatte keinen Erfolg. Daraufhin legten die beteiligten Verlage Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof ein.

Unmittelbar vor der mündlichen Verhandlung über die Rechtsbeschwerde vor dem Bundesgerichtshof im April dieses Jahres, teilten die an dem Gemeinschaftsunternehmen beteiligten Verlage überraschend mit, daß der Axel Springer Verlag aus der Kooperation aussteige, die Verlage der Süddeutschen Zeitung und der Frankfurter Rundschau die Kooperation jedoch fortsetzen wollten.

Der Bundesgerichtshof hat in seinem heute verkündeten Beschluß klargestellt, daß sich der ursprünglich gestellte Freistellungsantrag durch das Ausscheiden des Axel Springer Verlags aus der Kooperation erledigt hat. Bei der Zusammenarbeit von Süddeutscher Zeitung und Frankfurter Rundschau handele es sich um ein neues Vorhaben, für das erneut beim Bundeskartellamt ein Freistellungsantrag gestellt werden müsse. Dennoch hat der BGH noch entschieden, daß die Freistellung hätte gewährt werden müssen, wenn der Axel Springer Verlag nicht aus der Kooperation ausgeschieden wäre. Anlaß für diese Entscheidung war ein sogenannter Fortsetzungsfeststellungsantrag der Verlage von Süddeutscher Zeitung und Frankfurter Rundschau, die argumentiert hatten, nur auf diese Weise könne vermieden werden, daß das Bundeskartellamt die Zweierkooperation mit derselben Begründung ablehne wie die Kooperation unter Einschluß des Axel Springer Verlages.

Als Begründung für seine Entscheidung hat der Bundesgerichtshof vor allem auf die Besonderheiten des Stellenanzeigenmarktes abgestellt. Dieser Markt zeichne sich dadurch aus, daß sich die Nachfrage von selbst auf den stärksten Anbieter konzentriere. Sowohl für die Inserenten als auch für die stellensuchenden Leser sei das Angebot des Marktführers besonders interessant; die Konzentration auf den stärksten Anbieter wirke wie die Verabredung eines Treffpunkts. Habe ein Anbieter in einem solchen Markt einen Vorsprung gegenüber seinen Mitbewerbern erreicht, werde sich dieser Vorsprung tendenziell weiter ausbauen. Die stellensuchenden Leser griffen zu dieser Zeitung, weil sie dort die meisten Anzeigen fänden. Die inserierende Wirtschaft werde sich dieser Zeitung besonders gern bedienen, weil sie mit Recht dort die meisten Leser ihrer speziellen Zielgruppe erwarte.

Diese Besonderheiten des Marktes rechtfertigen es nach Ansicht des Bundesgerichtshofs, den sonst kaum chancenreichen Mitbewerbern ausnahmsweise eine Zusammenarbeit zu gestatten. Durch die Kooperation entstehe ein neues Produkt, das die Chance habe, von den Nachfragern als Alternative zum Angebot des Marktführers wahrgenommen zu werden. Dadurch könne eine Belebung des Wettbewerbs, insbesondere des Preiswettbewerbs, erwartet werden, von dem die Verbraucher vor allem durch niedrigere Anzeigenpreise profitieren könnten.

Beschluß vom 9. Juli 2002 – KVR 1/01

Karlsruhe, den 9. Juli 2002

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